Wertvoll

Bild von Anita Zöhrer
Bibliothek

Immer weiter drängten sie mich in die Enge. Nur wenn ich genug Leistung erbrachte, war ich für sie wertvoll. Einzig mein Nutzen zählte und nicht ich als Mensch. Ich war nicht perfekt. Ich beging Fehler und hatte meine Schwächen. So sehr ich mich auch bemühte, es zu ändern, es gelang mir nicht.
Was Liebe war, wusste ich schon lange nicht mehr. Geborgenheit, Wärme, Halt waren für mich Fremdwörter geworden, die mit meinem Leben nichts zu tun hatten.

Jeden Abend, wenn ich von der Arbeit nach Hause in meine leere Wohnung kam, betrank ich mich, um den Schmerz tief in mir nicht zu spüren. Ich verdrängte meine Probleme, hatte niemanden, dem ich sie anvertrauen hätte können. Wie es mir ging, war meinen Mitmenschen gleichgültig. Nur wer stark war, hatte eine Chance in dieser Welt.

Zunehmend verließen mich meine Kräfte. Mein Kampf kostete mich schon bald meine Existenz. Mitten in der Arbeit brach ich erschöpft zusammen. Ehe ich mich versah, feuerte mich mein Chef und ich stand auf der Straße, konnte mir meine Miete nicht mehr leisten. Das Sozialamt war überfordert. Viel zu viele vom Schicksal hart getroffene Menschen kamen und suchten Hilfe. Es hätte mich auch gewundert, wenn sich endlich jemand um mich gekümmert hätte. Ich hatte versagt, es nicht verdient, dass sich meine Mitmenschen mir zuwandten. Eine Enttäuschung war ich für die Gesellschaft. Eine Last, doch ich wollte dem nun ein Ende setzen.

Noch nie zuvor hatte ich mich so frei gefühlt wie in jenem Moment, als ich in die Tiefe sprang. Das Wasser des Flusses unter mir toste, war der Eintritt zu einer Reise ohne Wiederkehr. Mit meinem Leben entschwand auch mein Kummer. Ein helles Licht erleuchtete meine Seele. Ein Mann, der ebenso einsam war wie ich, empfing mich mit offenen Armen.

Veröffentlicht / Quelle: 
https://www.thalia.at/shop/home/artikeldetails/ID151048505.html