Mein Gewissen sagt das Gesetz ist Nebensache!

Bild von Dieter J Baumgart
Bibliothek

     Nanu, da fehlt doch was? Richtig, dieser Aussage mangelt es an einem – oder gar an mehreren? – Beistrichen, Kommata oder Kommas. In deutschen Landen herrscht seit jeher eine Inflation in Sachen Zeichen aller Art. Nicht nur an Hinweis-, Ge- und Verbots-, nein, auch an Satzzeichen mangelt es uns im allgemeinen  nicht. Und so ist es für ein Volk, welches das Wörtchen "Ja" gern zu einem untertänigsten Jawollja! aufbläst, nur normal, den oben angeführten, mehrsinnigen Satz mit möglichst vielen Kommata anzureichern. Was dabei herauskommt? Na, probieren Sie’s doch mal. Ein Volk von Untertanen läßt sich seine Sprache verordnen. Von oben (siehe auch Friedrich Zwo), vom Zeitgeist (siehe Werbung) und schließlich und nachhaltig von einer Kommission zur Nivellierung der Deutschen Sprache. So ist es auch nachvollziehbar, daß ein ehemaliger Gesundheitsminister in der Tabakwerbung einen informativen Gehalt erkennt und vehement gegen ein Verbot derselben anstreitet. Er hat dabei keine Probleme, diese Einstellung mit seiner Aufgabe als Hüter der Volksgesundheit zu vereinbaren. Warum sollten da Kultusminister auch nur um einen Deut besser sein? Zumal sie nicht die Gesundheit, sondern lediglich die Sprache ruinieren. Der Begriff Kultur ist nicht nur entfernt mit Kultus verwandt, sondern auch längst und unwiderruflich unter die Räder geraten. Und so war denn auch Sprache einmal ein Kulturgut.
     Doch halt, ich will hier nicht, zahllosen schlechten Beispielen folgend, das Kind mit dem Bade ausschütten, zumal es bekanntlich schon in den Brunnen gefallen ist. Jenen, die sich auch gedanklich mit Sprache beschäftigen, ist es unbenommen, sie als Kulturgut weiter zu pflegen und zu hegen, zeitvergeistigtem und kultusministeriellem Schwachsinn die Stirn im Sinne des Wortes zu bieten. Denn schließlich ist es nicht verboten, die Regeln der bisherigen Rechtschreibung auch weiterhin anzuwenden. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Ausspruch unseres literarischen Vordenkers, Johann Wolfgang von G., in seinem Sinngehalt – und nur für diesen Fall – umkehren: Genug der Gesetze! Es ist nicht verboten, auf die Schloßtreppe zu scheißen, und trotzdem tut es niemand. Es ist nicht verboten, die Regeln der verblichenen Rechtschreibung auch weiterhin anzuwenden. Also tut es! Womit wir uns einer ganz besonderen Gemeinheit im Rahmen dieser Sprachpfuscherei bewußt werden. Den Kindern wird das    Regelwerk    Rechtschreibung     eingetrichtert!
     Und wenn sich die Eltern wehren, wie in Schleswig-Holstein meerumschlungen zu konstatieren war, dann wird das Land zur Sprachinsel erklärt, und die armen Kleinen werden bedauert, daß sie sich, wenn sie Schloß auch weiterhin mit ß schreiben, dem Gelächter der Besserwisser aussetzen. Da hört man sie aufjaulen, die Beflissenen, die Funktionäre und die Profitgeier. Ganz schnell wurde den Bewohnern der Sprachinsel klargemacht, daß ihre Schulkinder dann eben sehen müßten, wie sie an die eingestampften Regeln kommen. Man werde ganz gewiß keine Extrawurst in der Form von bisherigen Schulbüchern braten. Geradezu pervers erscheint es, wenn heute jenen, die sich nicht mit dieser Wortfummelei abfinden, vorgeworfen wird, daß sie ihre Einwände früher hätten einbringen sollen. Sie haben! Allerdings wurden sie nicht zur Kenntnis genommen, was wohl damit zu tun hat, daß gegen besondere Dümmlichkeiten auch kein intelligentes Kraut hilft. Zugegeben, einige wenige Neuregelungen sind tatsächlich Verbesserungen. Sie werden aber von sinnentstellenden Affigkeiten überwuchert, was die Ansicht geradezu aufdrängt, daß keine Reform letzten Endes besser gewesen wäre. Da reißen die Rechtschreibkünstler den Worten die Wurzeln aus, ohne Not werden Lehnworte eingedeutscht – wer Portemonnaie nicht schreiben kann, soll doch bitte bei der Geldbörse bleiben. Und ob die freiere Anwendung der Kommaregeln zu einem Verzicht auf ihre Nutzung als interpunktioneller Fallstrick bei Deutscharbeiten führt, möchte ich bezweifeln.
     Sprache ist der Humus, auf dem Kultur gedeiht – und das Gift, an dem sie zugrunde geht. Schriftsprache ist Informations-, Verständigungs- und Gestaltungsmittel. Und so eignet sie sich auch nicht als Hilfsmittel zur Einschätzung menschlicher Wertigkeiten. EDV-Spezialisten werden im beruflichen Umgang mit der Schriftsprache andere Schwerpunkte als Schriftsteller oder gar Dichter setzen. Ein schlechter Gedanke macht noch keinen Gutmenschen, nur weil er ihn elegant formulieren kann. Und umgekehrt. Nicht die bisherige Rechtschreibung ist im Grunde reformbedürftig, sondern ein dürftiges Bildungssystem, in dem das Konkurrenzdenken im Vordergrund steht und entsprechend der Erwerb von Wissen in erster Linie der Festigung eigener Machtpositionen dient.

Interne Verweise

Kommentare

11. Jul 2016

Erfrischend die Wut im Bauch! Habe den Deutschunterricht für drei Söhne miterlebt. Es ist noch viel schlimmer...