Sunnyboy

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von Marie Mehrfeld

Jetzt flüst’re ich euch ʼne Geschichte ins Ohr, die kommt in den besten Familien vor: Zuletzt hat sie ihn zum Bahnhof gebracht, so hat er’s gewollt, der stets heitere Knabe, da war’s bereits kurz vor Mitternacht. Im Stehen wurdʼn Kaffee getrunken, auf Gleis Vier, da stand sein Zug nach Berlin,

er hat ihr noch mal kurz gewunken, da hatte er sie schon nicht mehr im Sinn, da träumte er, sie weiß es genau, sie sah es an seinem entrückten Blick, von ʼner andren, der nächsten Frau, er ließ sie wohl durchaus gerne zurück. Damit er nur ja ihre Tränen nicht sieht und nicht noch viel schneller

vor ihr flieht, hat sie den Kopf zur Seite gebogen, das ist nicht gelogen, er umarmte die Frau ein letztes Mal, sie war ihm ganz offen sichtlich egal, stieg in den Zug und verschwand für immer. Und es kam schlimmer - denn sogleich begann sie, sich selbst zu verachten und sich das Ganze genau

zu betrachten, und sie spürte, das ist doch allerhand, es bringt mich ganz um meinen Verstand, er hat mich von jetzt auf gleich verlassen, was kann ich tun, wie kann ich ihn hassen. Zwar hat sie gewusst, dass es nichts als ein Spiel ist mit diesem elenden Egoist, doch ist sie seelisch nicht so robust

wie ihr Sunnyboy, und als Typ eher treu. Dem Gedankenwust ist sie ausgewichen und danach mutlos nach Hause geschlichen, ist sehnsüchtig wieder ins Bett gekrochen, s’hat dort noch sehr nach ihm gerochen, dann hat sie von ihm Abschied genommen, ist zu sich selbst zurückgekommen,

hat aufgehört, sich länger zu hassen für jenes verliebte Sich-Gehen-Lassen, hat das Bett neu bezogen, sich ausgiebig geduscht, ist umher gehuscht, um aufzuräumen und hat sich verboten, von ihm zu träumen, denn sie weiß, diese Liebe, sie war verlogen, sie hat sich selbst getäuscht und betrogen.

Doch ihr Schmerz, er währte nur kurze Zeit, sie war sehr schnell zu vergessen bereit, die Affäre sollt’ ihr den Tag nicht vermiesen, sie nahm sich vor, sie sogar zu genießen. Am Abend ist sie zum Bahnhof gegangen, etwas gelangweilt und ohne Verlangen, sie wartete dieses Mal auf Gleis Drei,

der Zug aus Hamburg, er zischte herbei, und dann stieg er aus, ihr Ehegemahl, der Langeweiler, er war ihr egal, von einer Geschäftreise kam er zurück, doch weiß sie längst um sein zweites Glück, sie merkt es ihm an und sie kennt ihren Namen, die Geliebte gehört zu gewissen Damen.

Nun denkt sie sogar mit Zufriedenheit an die misslung’ne Affäre zurück, sie scheint ihr schick und nichts tut ihr leid. Ihr Leben als Paar geht wie bisher weiter, sie geben sich beide nach außen heiter, sprechen darüber nicht mehr sehr viel, so hielten sie’s immer, das ist halt ihr Stil.

Sie heucheln sich gegenseitig vor, sie seien froh, und es wär’ ihnen auch viel lieber so. Nun leben sie nebeneinander her, von Nähe ist längst keine Rede mehr, sie können sich weder lieben noch hassen, jedoch auch nicht von einander lassen, und das wissen sie beide ganz genau,

der bequeme Mann, die verwöhnte Frau. Gemeinsam schweigen sie sich nun aus, der Scheinfrieden bleibt gewahrt im Haus, gelassen reichen sie sich die Hände und sagen, so gestalten wir’s bis zum Ende, wir geben’s nicht her und halten es fest, das trauliche glückliche häusliche Nest.

Nur manchmal im Traum, da sieht sie ihn wieder, den Sunnyboy, den Mann ohne Treu’, den Typ voller List, dann hört sie seine betörenden Lieder und fühlt, wie er sie wissend küsst. Und dann denkt sie öfter mal ganz verschwommen, ach, hätt’ er mich damals doch mit genommen …

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