Die Stimme des Sandes

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Endlos, die Wüste,
und totenstill …
Die Stille der Toten –
ihr Wille zu leben,
als dieser Wille noch in ihnen war,
die Felder noch nicht mit ihnen gedüngt,
vernichtet, zum Schweigen gebracht.

Ein Hauch erhebt sich,
Wind nimmt die Klage auf,
die Klage der Vielen,
der Rest von ihnen,
verschleppt, geschändet, verhungert, verhöhnt …
Sandkörner singen ihr Totenlied.

So viele Stimmen erheben sich:
ein Knistern … ein Flüstern …
ein Rascheln … ein Pfeifen …
auf dass sie niemals verstumme,
die Klage der Wehrlosen, Entrechteten,
die Anklage des Volkes,
das, ausgelöscht, sich Gehör verschafft

in Sand und Wind,
als lebendes Gewissen,
auf Lufthänden getragen,
scharf-schneidend,
in jedes Ohr, das hören kann:
Armenier.

© noé/2017

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Kommentare

06. Jul 2017

Denen, die nicht mehr am Leben,
Hast (D)eine Stimme Du gegeben ...

LG Axel

06. Jul 2017

Danke, Axel!
Was ich sonst nicht mache, an dieser Stelle tue ich es mal - im Kommentar Buchtipps geben, für die, die sich dafür interessieren und vielleicht ein wenig vertrauter machen wollen mit einem Thema, von dem man an keiner anderen Stelle mehr etwas (Erhel-lendes) hört. Es sind zwei veritable Wälzer, bei denen sich aber jede einzelne Seite lohnt. Das erste bietet einen etwas schwereren Einstieg zu Anfang, aber dann kann man es nicht mehr aus der Hand legen, auch nachts nicht : "Die vierzig Tage des Musa Dagh" (Franz Werfel/1955, in div. Neuauflagen erhältlich); beim zweiten war ich so "angefixt", da entstand der Suchteffekt direkt von der ersten Seite an: "Die Armenierin" (Thomas Hartwig/2014, inspiriert durch den Nachlass des deutschen Schriftstellers und Sanitätssoldaten Armin Theophil Wegener, *1886, †1978, der zeitlebens nicht dazu kam, seine Aufzeichnungen selber zu bearbeiten).

06. Jul 2017

Auf dass sie niemals verstumme, die Klage der Wehrlosen und Entrechteten ... feinfühlig in Worte gefasst. Auch deine Buchtipps zu diesem wichtigen Thema interessieren mich sehr. Es sind die Armenier, an die du denkst, deine Anteilnahme teile ich. Es war Völkermord. Man kann das Gedenken noch ausweiten, wie du weißt. Schon immer gab es Vertreibungen in der Menschheitsgeschichte. Auch Deutschland hat in gewaltigem Maß vertrieben und gemordet – und Deutsche sind vertrieben worden. Jede der Vertreibungen war eine zuviel.
LG Marie

06. Jul 2017

Richtig.
Man kann nicht genug Informationen sammeln ...
Danke, Marie.

06. Jul 2017

Danke, noé, für dieses wundervolle, wenn auch traurige Gedicht. Einer meiner Lieblingssänger, Charles Aznavour, ist Armenier. Seine Eltern sind 1915 vor dem Völkermord geflüchtet. Gülcin Wilhelm hat ein Buch über den Völkermord geschrieben: "Meine armenische Großmutter". Grausame Dinge werden darin geschildert. Ich glaube, es liegt bereits in deutscher Sprache vor.

Liebe Grüße.
Annelie

06. Jul 2017

Danke, Annelie, für Lob und Buchtipp!
Das mit den grausamen Dingen steht ebenfalls in den von mir erwähnten Büchern. Aber das ist wohl auch wichtig für die Authentizität.
Warum sollte man es verschweigen, wenn es doch getan wurde.