Eines Tages werde ich dort wandern -
mit dir, Hand in Hand; ich weiß eine Menge,
du alles besser und willst mir erklären, weshalb
der Kot des Auerhahns nach Fichtennadeln duftet.
Ach ja?, fragst du und hebst tatsächlich die
Nase aus deinem Buch.
Weil er Fichtennadeln frisst, werde ich sagen,
weil er sich im Winter nur von Fichtennadeln
ernährt, sein einziges Gemüse und zugleich sein Fleisch.
Und manchmal krepiert er - verhungert,
obgleich er frisst, der Arme.
Das ist Wildnis pur und zugleich geschützt.
Wo? - Deine Stimme klingt skeptisch.
Im Bayerischen Wald, Nationalpark,
sage ich. Niemand greift ein. Man lässt die
Natur zufrieden. Auf diese Weise schützt
man die Wildnis: Ein Kommen und Gehen,
Werden und Enden. - Etwas lebt auf, ein
anderes stirbt.
Eines Tages werden wir dort wandern …
auf den Spuren des leichtfüßigen Luchs',
der Rehe reißt, sage ich. Der verhungert nicht ...
Tatsächlich?, fragst du und streichst mit einem
gelben Neonstift irgendetwas in deinem Buch an.
Überall Spuren der Zeit: Pilze, Algen ..., fahre ich
ungerührt fort, obwohl ich mir nicht sicher bin,
ob du noch zuhörst.
Morsche Brücken, Totholz: Das morbide Werk
des Bibers, sage ich. Spitze Stümpfe, an denen selbst die
Waldgeister scheitern – um Mitternacht, wenn sie
mit ihren flatternden Gewändern daran hängenbleiben.
Unheimlich, aber schön …
Hmh, hmh …! - (Du wirkst irgendwie geistesabwesend;
'absent-minded' trifft es noch besser).
Einst der Borkenkäfer, sage ich laut, Mitte der Neunziger,
fraß alles kahl, sorgte damit für natürliche Verjüngung -
durch keusche kleine Bäumchen.
Jetzt lächelst du! - Immerhin etwas!
In geschützter Wildnis werden keine Bäume gefällt
und keine Tiere geschossen – alles darf geschehen.
Die Artenvielfalt lebt auf: Tiere und Pflanzen
dürfen sich entfalten wie die Natur es vorsieht.
Keine Reaktion.
200 Menschen arbeiten im Bayrischen Wald -
zum Schutz der Freiheit in der Wildnis, fahre ich
energischer fort. Damit sich niemand einmischt und
trotzdem daran teilhaben und sich freuen kann.
Hmh, hmh ...
In vielleicht 150 Jahren erst wird man sehen,
wie sich das wunderbare Projekt entwickelt hat.
Wir reisen vorher an – wollen uns nicht einfrieren
lassen. Wir sind tausendmal lieber 'Wilde',
halten es mehr mit der Natur. -
Oder?, erkundige ich mich herausfordernd.
Einfrieren?, fragst du. Was gibt es denn heute zum
Mittag, Schatz?
Dieser Text ist entstanden, nachdem ich einen Bericht von Frank Patalong im Spiegel „Wissen“ gelesen habe. Das Magazin für ein besseres Leben. Untertitel: „Paradies Erde. Wie wir unseren Lebensraum retten“.
Mit 243 Quadratkilometern besitzt der Nationalpark Bayerischer Wald die größte Landfläche unter den deutschen Nationalparks.
geschrieben am 11.05.2017