Januar-Gedicht 2020 der Künstlergruppe 14 Zoll: „Aus dem Schatzkästchen“ - Page 3

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von Axel C. Englert

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noch was vor heute!" Dann hat sie mich in den Kindersitz verfrachtet, meine Wange gestreichelt und „Entschuldige, Lena, dass ich so geschimpft habe" gesagt.
Und hinter ihrem Rücken zaubert sie einen bunten Lutscher hervor!
Mama hat mich lieb ...
 
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Du hast mir mein Leben gegeben. Und du hast reichlich ausgeschenkt. Du weißt selber, dass das meistens nur Katzengold war, wenn es in meinem Leben geglänzt hat. Immer wieder hat es sich zu einem „Ja – aber“ entpuppt.
Trotzdem habe ich die Hoffnung nie aufgegeben und immer daran geglaubt, dass du Gebete erhörst. Früher oder später.
Gott, ich weiß ja, dass du es nie böse gemeint hast mit mir. Im Gegenteil, wie oft habe ich erlebt, dass du mich getragen hast durch die Scheiße, die ich mir selber angerührt habe.
Und gerade, als ich dachte, jetzt kann nichts Gutes mehr kommen, hast du mir meinen größten Wunsch ans Leben erfüllt: Einmal die große Liebe zu erleben, einmal im Leben!
Dazu hast du mich vor einem Jahr davon abgebracht, mich vor den Zug zu werfen; die Stelle hatte ich mir schon ausgesucht.
Du wusstest, was ich noch nicht wusste, dass die Krankheit schon im ganzen Körper wuchert, aber du wolltest mir meinen Lebenswunsch noch erfüllen. Darum hast du mich damals im letzten Moment davon abgebracht und es mich ein letztes Mal noch versuchen lassen. Und mir Elfie über den Weg geschickt, Elfie, wie der Name schon sagt, bevor meine Zeit endgültig abgelaufen sein würde. Du hast meine Frist noch einmal verlängert.
Inzwischen habe ich mich damit abgefunden, dass du mich zu dir holst. Ich habe meinen Frieden gemacht mit dir.
Aber, Gott, du sollst wissen, dass ich in der vollen Liebe sterbe!
 
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Draußen rinnt der Regen. Alles ist so traurig. Und so still.
Der Postbote ist wieder vorbeigegangen, nicht mal eine Reklame hat er für mich gehabt. Die Inge führt ihren Pudel Gassi. Da! Sie tut wieder so, als wenn sie das aufsammelt, was er abgelegt hat. Dabei bückt sie sich nur, lässt aber alles liegen. Und der nächste Parkende macht direkt vom Auto aus Bekanntschaft mit der Tretmine.
Drei Familien im Haus sind in Urlaub. Alles wie ausgestorben. Und diese Stille. Warum soll ich morgens überhaupt aufstehen ...
Ist schon Zeit für Mittagessen? Nein, noch zu früh ... Was mache ich mir denn heute? Ach, ein paar Bohnen aus der Dose und ein Rührei, das wird schon reichen.
Telefon? Ja! Moment! Ich komme!
„Peter? DAS ist aber schön, dass du dich mal meldest! Sonntag? Ja, da habe ich noch nichts vor. Und Claudia und Lena! Natürlich kannst du die Zwei mitbringen! Ich freu mich auf euch! Nein, mach dir keine Sorgen, das wird mir nicht zu viel! Schön, dass ihr kommen könnt! Bis Sonntag dann!"
 
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So! Das war's! Endlich kann ich diese Bauruine abreißen lassen. Lange genug hat's gedauert.
Diese alte Kuh wollte doch einfach nicht ausziehen! 60 Jahre! Was interessiert mich, ob die hier schon 60 Jahre gewohnt hat! Ich bin nur halb so alt.
Und immer das Gesülze von „Heimat" und „Erinnerungen" und „Mein armer Horst, wenn DER noch leben würde!" Tut er nun mal nicht mehr.
Aber endlich ist sie raus. Dann doch noch in die Altenaufbewahrungsanstalt abgeschoben. Man muss nur lang genug die richtigen Methoden anwenden. Der Schlaganfall kam genau richtig. Morgen rücken die Bagger an und dann steht dem neuen Einkaufszentrum endlich nichts mehr im Wege!
Der Rubel rollt – kommt zu Papi! Alles gut!
 
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Fünf Jahre sind rum. Und er ist NICHT wiedergekommen! Die Ärzte sagen, jetzt kann ich davon ausgehen, den Krebs besiegt zu haben. Fünf Jahre lang war da diese Angst vor jedem Kontrollbesuch.
Wie habe ich diesem Moment entgegengefiebert! Klar, bin ich froh, dass auch bei dieser Untersuchung nicht der geringste Verdacht mehr gefunden wurde. Hat er sich tatsächlich vermieselt? Hat sich der Kampf wirklich gelohnt!? Heute Morgen noch schlug mir das Herz im Halse, jetzt hat mich die Luft verlassen wie einen zusammengeschnatterten Luftballon.
Wirklich frei? Nichts mehr da? Darf ich das wirklich glauben? Lieber Gott, ich bin so froh!
 
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Ja. Das ist es, genau so habe ich es mir vorgestellt!
Da brauche ich jetzt nichts mehr zu ändern oder auszubessern. Es ist fertig, hat es mir gesagt. Nochmal von weitem anschauen ... Perfekt! Harmonisch, nichts mehr, das noch stört.
War gut, dass ich da nochmal mit dem Grau ein paar Akzente gesetzt habe und hier noch ein paar Lichter. Auch die Perspektive stimmt. Und das Blau des Himmels fängt die farbige Unruhe des Vordergrunds auf. Gut gemacht! Genau so wollte ich es haben, jetzt stimmt es mit dem inneren Bild überein.
Noch schnell ein paar Fotos fürs Archiv ... Jetzt habe ich mir ein Bierchen verdient.
 
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Er schläft. Wie verbissen er schläft! Als würde er Schwerarbeit leisten. Seine Haut zieht meine Finger an. So wie er schläft, wird er nicht gerade aufwachen, wenn ich ihn berühre.
Wie kann ein so gestandener Mann eine so zarte Haut haben … Es ist immer wieder ein Wunder für mich. Die Haare auf seiner Brust werden schon grau. Das Grau, das sich in seinen Schläfen wiederholt. Hier liegt er neben mir und ist in seine Träume verstrickt. Während ich nicht schlafen kann, weil ich ihn ansehen muss. Dieses Vertrauen, das er mir entgegenbringt, sich mir im Schlaf so vollkommen auszuliefern!
Auch nach all der Zeit kann ich mein Glück einfach nicht fassen!
 
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Die Grube ist gut abgeschirmt, überall Sandsäcke. Das Viertel ist erfolgreich geräumt, haben sie mir gerade durchgesagt.
Dieses Modell kenne ich, ich habe davon schon drei entschärft. Das Schlimme ist immer der Rost. Aber der liebe Gott ist mit die Doofen. Und schließlich weiß ich ja, was ich hier tue, bin schon lange genug im Geschäft.
Volle Konzentration! Die Weste würde im Ernstfall auch nichts helfen. Wenn ich das geschafft habe, geht's in Urlaub, gepackt ist schon alles und Anke drückt mir die Daumen. Sie betet jedes Mal für mich. Ja, da kann man drüber lachen, aber mir tut es gut, das zu wissen. Schließlich kann ich sie doch nicht alleine in Urlaub schicken.
Nein, Spaß beiseite, vorsichtig jetzt, Konzentration! Einmal innehalten – ein letzter Dreh! Prima.
Anke-Schatz, wir können los!
 
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Wie viele Bilder ich schon davon gemacht habe! Und ich kann mich nicht sattsehen. Das ist einfach nur ehrfurchtgebietend schön: Unsere Erde, so blau und so leuchtend, so perfekt und so vertraut dort vor diesem samtschwarzen Hintergrund des endlosen Alls. Wie wunderschön sie ist! Mein Herz schmerzt vor lauter Sehnsucht. So viel Schönheit! Von hier oben sieht alles so unberührt und so verletzbar aus!
Und dann alle diese Kriege und Scharmützel, die man von hier aus nicht sieht, all dieser Hass und Neid und diese Missgunst, die gewissenlose Geschäftemacherei und leben-verachtende Umweltverschmutzung ohne jede Rücksichtnahme ...
Leute! Wisst ihr überhaupt, auf was für einem JUWEL ihr lebt?! Jeder, der etwas zu sagen hat bei uns, sollte einmal eine Woche hier oben zubringen, das sollte Vorbedingung sein für das Regieren!
Wir sind einzigartig! Das wird mir hier erst richtig bewusst. Und das macht demütig.
Eine zweite Welt wie unsere gibt es nicht zum Tausch. Es geht nicht Ex-und-hopp mit dieser Erde. Wenn da alles ein Ende hat, wird es keinen Neuanfang geben anderswo. Jedenfalls jetzt noch nicht. Und schon gar nicht für alle. Was macht ihr mit der, mit UNSERER Welt!
Schaut euch meine Fotos an, vielleicht geht euer Herz dann genau so auf wie meines.
Wunderschöner blauer Planet, wie perfekt du bist. Ich freue mich auf dich!
Welch ein Glück ich habe! 

© noé/2015 Alle Rechte bei der Autorin

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