Am Abend am Ufer der Moldau

Bild von Sophie Albrecht
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Im Juni 1788

Des Abendhimmels Röthe bleicht,
Im Grau der Dämmerung;
Der volle Mond am Felsen steigt,
Und schafft Begeisterung.

Und leiser küßt der laue West
Die junge Rosenflur,
In Thal und Hain ist stilles Fest
Der feiernden Natur.

Doch durch der Berge Ufer-Grün,
In feierlicher Pracht,
Rauscht ernst die stolze Moldau hin,
In der die Nixe lacht.

Schwimm' eilend her, du kleiner Kahn,
Fort aus dem Stadtgewühl,
Führ' mich von wilder Freude Wahn
Zum ruhigen Asyl.

Schwimm' zur vertrauten Insel hin,
Wo ich im Lindenhain
So gern mit meiner Liebe bin;
Sie nur und ich allein.

Einst war das Plätzchen feste Stadt,
Was jetzt der Strom umfließt;
Und ein verfolgtes Pärchen hat
Dort manchen Tag geküßt.

Da riß es sich vom Ufer los,
Und floh im Sturm hieher;
In der verschwieg'nen Wellen Schooß
Lauscht kein Verräther mehr.

Dies sagte mir ein Genius,
Der am Gestade weilt,
Und mit der Hoffnung Zauberkuß
Der Trennung Wunden heilt.

Färbt blauer das Vergißmeinnicht,
Das rings am Ufer lacht,
Und pflegt, wo sich die Welle bricht,
Des Lindenhaines Pracht.

Und Ahndung von Verschwiegenheit
Schuf nach so manchem Jahr,
Dem frommen Nepomuck geweiht,
Hier Andacht und Altar.

Dem Märt'rer ihrer Herrlichkeit
Webt oft aus Sternenglanz,
Für Tugend jener alten Zeit,
Ihr Engel Palm und Kranz.

Und streut der Ruhe süßen Mohn
Ins heiße, wunde Herz,
Spricht von der Zukunft hohem Lohn
Für treuer Liebe Schmerz.

Doch still mein Lied – nun bin ich hier;
Willkommen, trauter Strand!
Horch! Baum und Blüthen lispeln mir
Den Namen – Ferdinand!

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