Wunde auf der stillen
Böschung des Ufers –
Wunde, die nicht
heilen will …
Vom Olymp herab
stürzt und zerbricht
in tausend Stücke:
ein kleiner Engel.
O Erde, die sich weigert,
das Kind zu retten –
hart wie die Mutter.
Erde: kaltblütig wie Hera,
Kindmutter, Schwester
und Gemahlin des Zeus.
O lahmendes Kind:
Verbannt aus dem Himmel
der Götter, zu hässlich
befunden, um geliebt
zu werden.
Schön hingegen dünkt
sich Hera, verehrt auf
Samos, geheimnisvolle
Insel im Meer,
zu erneuern die
Jungfräulichkeit.
Mit Zeus ein Leib: Hera – verhüllt
vom Nebel goldener Wolken ...
Da weint sich das Gras
ein Bächlein vor Freude,
und das Lächeln der
Blumen pflanzt sich fort ...
Zerschmettert?
Mitnichten!
Einen grausamen Tag lang
fiel 's – das Kindchen
unbarmherziger Götter ...
wer 's hinüber wähnt, irrt.
Gelandet auf Lemnos:
Hephaistos, ungeliebter
Sohn, herzlich empfangen
vom Volk, wird schmieden
die Eisen im Feuer – solang,
bis sie zum Leben erwachen
und von dannen ziehn.
Woher aber stammt das Blut,
hingekauert wie ein gewaltiger
Schmerz … dort, auf der
Böschung am Ufer?
Hera war die höchste der griechischen Göttinnen, Königin des Himmels, herrschte über Wolken und Wetter, wachte über das Leben der Frauen, beschützte Mutterschaft und Geburt. Aber sie war auch hart und konnte sehr gemein sein. Aus Scham über die von ihr empfundene Hässlichkeit ihres Sohnes Hephaestos schleuderte sie den Neugeborenen vom Olymp zur Erde herab. An anderen Stellen liest man, dass Hephaestos bereits älter war und hinkte, als die Untat geschah.
Zeus verprügelte Hera oft – wegen ihrer Eifersucht auf seine zahlreichen Geliebten. Ihr seht, es ging bei den Göttern auch nicht besser zu als bei uns Menschen.
Kommentare
Götter, die stark zu Fehlern neigen -
Quasi menschlich sich uns zeigen ...
LG Axel
Bei uns säße Frau Hera Zeus gewiss im Knast,
weil sie im zwölften Stock den kleinen Sohn
hat aus dem Fenster fies geschasst.
LG Annelie
So werden doch alle uns bekannten Göttinnen und Götter von Menschen ersonnen,
deshalb findet man diese Janusköpfigkeit, diese Ähnlichkeit zum Menschenreich.
Ein sehr anregendes, feinsinniges Gedicht, das leider auch noch heutige Zustände beschreibt.
LG Monika
Dank, liebe Monika, für Deinen Kommentar;
ich wünsche auch, dass sich was ändert, klar.
Ist doch ein jedes Kindlein schön - auf seine Weise.
Man sollt nicht nur das Puppenhafte sehn ...
Ich denke auch, die Hera hat' 'ne Meise.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende,
Annelie
Danke, lieber Jürgen, für diese Informationen, eine Fortsetzung, die ich so noch nicht kannte. Ich las, dass die Götter "in unauslöschliches Gelächter" ausbrachen, sobald Hephaistos bei Tisch "aufwartete" - wegen seines unbeholfenen Gebarens. Mobbing und Schadenfreude gab es schon bei den Göttern. Bei Homer ist dieser Sohn Heras allerdings ein voll anerkannter Olympier.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende,
Annelie
In Schwabs „Sagen des klassischen Altertums“ lese ich heute noch ab und zu, die griechischen Götter mit ihren menschlichen Eigenschaften faszinieren (nicht nur) mich, wir erkennen uns wieder in ihren Handlungen, und das Schicksal des Hephaistos hast Du mir mit Deinem feinen Gedicht wieder in Erinnerung gebracht, danke dafür, liebe Annelie, passend und schön auch das Bild dazu ...
Liebe Grüßüe nach Lübeck - Marie
Danke, liebe Marie, für Deinen zustimmenden Kommentar. Ich lese auch oft in jenem Buch, das Du zítierst und darüber hinaus, zur Ergänzung, in einer Griechischen Mythologie. Ja, es ist unglaublich, wie wir den Göttern in unseren Handlungen, Gemütsbewegungen, Launen ähneln - ohne ihre überirdischen Kräfte, Zauberkräften gleich, zu besitzen. Am Schicksal des Haphaistos sieht man auch, wie damals Flüchtlinge, die vom "Himmel fielen", empfangen wurden: freundlich - auf jeden Fall.
Liebe Grüße zu Dir nach Frankfurt und ein wunderschönes Wochenende,
Annelie
Selbst die Götter trieben es bunt -
Auch bei ihnen lief nicht alles rund ...
Viele liebe Grüße
Soléa
Dank, Soléa, Dir, für Deinen Kommentar:
Ich bin froh, dass ich nicht unter Göttern war.
Liebe Grüße,
Annelie