1945
Sieben Tage hat die Woche,
jeder Tag ist schwer und grau.
Jeder Tag ist voller Sorgen,
nur die Nacht gibt Trost, im Schlaf.
Bester Gast ist jetzt der Hunger
und er bleibt den ganzen Tag.
Kinder liegen in den Betten,
aus Ermattung still und brav.
Vater ackert auf den Feldern
für ein Ei, ein Butterbrot.
Mutter sammelt in den Wäldern
Holz, damit er raucht, der Schlot.
Dennoch hatten wir es besser
als so viele in dem Land,
dessen Herz war weg, verschwunden,
dessen Seele war verbrannt.
Sieben Tage hat die Woche,
jeder Tag war schwer und grau.
1963
Sieben Tage hat die Woche,
einer nur geht schnell vorbei.
Montag ist der erste, schlimmste,
reißt mich aus dem kurzen Schlaf.
Dienstag keine Stunde besser,
pünktlich schreit die Weckeruhr.
Mittwoch denk ich: "Bald ist Sonntag,
noch drei Tage, schaff ich schon."
Donnerstag, es winkt der Zahltag,
meine Börse: völlig leer.
Freitag: Freude, frische Kohle,
Nachschub bis zum Donnerstag.
Samstag, endlich, halber Schafftag,
Bundesliga, Freunde, Bier!
Sonntag darf ich lange schlafen,
Sonntag ist ein F(r)eiertag.
Sieben Tage hat die Woche,
Sechs davon: Ein Einerlei.
2018
Sieben Tage hat die Woche,
alle gehen schnell vorbei.
Montag ist ein Wichtigtuer,
gibt das Heft mir in die Hand.
Dienstag ist, so wie der Montag,
frisch und frei und dichterisch.
Mittwoch ist die dritte Perle
auf der Woche Perlenband.
Drei-Silben-Monster Donnerstag,
Verse auch mit dir ich mag.
Freitag ist, wie deine Brüder,
rentnerfreundlich, nachdenklich.
Samstag bringt die feine Wende:
Draußenarbeit, dicht am See.
Sonntag, Chef am Wochenende,
lädt was kommen will gern ein.
Sieben Tage hat die Woche,
keiner kennt das Einerlei.
Früher war nicht alles besser,
heute geht es uns doch gut,
uns, den Alten, die noch leben,
die zum Kriegsende gebor'n.
Schlimmer war es für die andern,
die im Kriege litten Not,
die, die alles was sie hatten,
geben mussten und verlor'n.
Gerecht war es noch nie, das Leben,
dies glaube ich, und sehe ein:
Mir hat es Gutes oft gegeben.
Den meisten, die jetzt nach mir kommen,
wird vorgegaukelt und genommen...
Das Leben ist verflucht gemein.
"Helft euch selbst!", sagt es den Jungen
einer angeschlagnen Welt...
Mögt ihr Jungen was erfinden,
damit sie nicht in Stücke fällt.
© Willi Grigor, 2018
Aus dem Leben
Kommentare
Dein sehr gutes Gedicht - beeindruckt mich von Anfang bis Ende, ich stimme ganz und gar zu, Willi,
und schicke Dir herzllche Grüße dahin, wo Du grade bist -
Marie
GerechtER könnt man wohl es machen -
Doch leider macht der Mensch gern Sachen ...
LG Axel
Ja, so war es. Eine rasante Entwicklung bis jetzt. Ein Spiegelbild unseres eigenen Lebens. Wir haben viel Schlimmes erlebt, und, wie Du auch schreibst, viel Gutes. Manchmal fürchte ich mich vor dem, was auf unsere Enkel zukommt.
Ein wunderbares Gedicht, ich habe es mehrfach gelesen.
herzliche Grüße, Susanna
Danke, liebe Kolleginnen/Kollege für Eure zustimmenden Kommentare.
Herzliche Grüße aus einem z. Z. wahrlich sommerlichen Norden
Willi
Mit welcher Leichtigkeit und Heiterkeit Du Dein Jahr 2018 in Versen beschreibst, lieber Willi, wunderbar und so versöhnlich nach der schweren Nachkriegszeit, in Deinen Texten schwingen immer Hoffnung und Dankbarkeit mit. Ich danke Dir dafür!
Vorsommerliche Grüße vom Berliner Meer, Monika
Vielen Dank, liebe Monika, für Deine freundlichen Worte.
"Wenn Unbill durch spätes Glück ausradiert wird,
ist es nicht so schwer, Dankbarkeit zu zeigen.
Das Umgekehrte wäre die schlechtere Alternative."
Herzliche Grüße zurück zu Dir, irgendwo am "Berliner Meer",
Willi