(zum Schauspiel „NATHAN DER WEISE“
von Gotthold Ephraim Lessing)
Welch ein großer, güt’ger, weiser,
welch ein wunderbarer Mann,
der ein armes Waisenmädchen
unter seine Obhut nahm.
Welch ein wahrhaft edles Wesen,
das nicht Müh und Plage scheut
und ein Kind von Säuglingsbeinen
bis zur Jungfrau hin betreut.
Diesem einzig guten Menschen
würd’ ich, wenn ich ihn nur sähe,
meine Achtung laut bekunden,
und ich suchte seine Nähe.
Sag mir, wo kann ich ihn finden,
wo ist dieser gute Christ? -
Wie - ? Du willst mich wohl verhöhnen,
sagst, dass er ein Jude ist?
Nein, an einem solchen find ich
auch nicht die geringste Spur
von der Güte, von der Weisheit...
Da packt mich Entsetzen nur.
Und ein solcher hatt’ das Kindchen
einst gepackt mit böser Hand?
Nun, mein Urteil ist gesprochen:
Dieser Jude wird verbrannt.
Kommentare
Lessing stand zu seiner Zeit selbst im Feuer der Kritik: „Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen.“ Er hatte zuvor an seinem Werk 'Die Erziehung des Menschgeschlechts' gearbeitet und den Glauben an die Vernunft und an die Möglichkeit des Lernens entfaltet. Da ist man heutzutage vielleicht vorschnell geneigt, das abzutun. Auch 'Nathan der Weise' endet positiv. Die Kraft des Glaubens, der manchmal Berge versetzen kann - auch die Macht des Wortes -, sollte man nie aufgeben. LG! Jürgen