Ich bin ganz Vers und Reim, ganz Melodie, ganz Buch:
Auf jeder Seite, für die Ewigkeit notiert, blühen Gedichte …
Liegt über jedes auch die Götterdämmerung, ein elend Fluch –
Wen kümmert 's? Alles wird zu Staub im Lauf der Weltgeschichte.
Der Worte viele schmiede ich am Abend – bis die Silben glühen ...
Fühl um den Schlaf gebracht mich von dem Kellner Schischyphusch.
Fällt auch mein Lid um ein Uhr nachts beim Simplicissimus,
Find Ruh ich doch und brauche nicht den Sandmann zu bemühen.
Erwachte mal, als durch das offne Fenster eine Hundeblume fiel
Und dachte auf dem Schulweg intensiv an Prousts ,Verlorene Zeit'.
Statt Haut schwamm auf dem ,Kaba fit' das Glas vom Perlenspiel.
Beim Turnen schwang ich übern Barren mich mit Leichtigkeit.
Unser Direktor schwärmte von der Bürgschaft, er hieß „Bock“,
Wir lasen Goethes Faust, mal mit, mal ohne viel Vergnügen ...
Der alte Mann war gütig, fast ein Greis, ging schon am Stock.
Als ich erwachsen war, verschlang ich ,Angst vorm Fliegen'.
Heut steckt mein Lesezeichen in dem Band der ,Hundert Freuden'.
Szymborska, Wisława ist Reim und Buch, Gedicht und Melodie.
Mit ihren klugen Texten kann man niemals seine Zeit vergeuden.
Die Vielfalt ihrer meisterhaft verfassten Verse adelt sie.
in memoriam Wisława Szymborska
Titel der hier angesprochenen Literatur:
Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels – Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert,
Abenteuerlicher Simplicius Simplicissimus – Roman von H. J. H. von Grimmelshausen,
Die Bürgschaft – Gedicht von Friedrich Schiller,
Die Hundeblume – Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert,
Der Sandmann – Erzählung von E.T.A. Hoffmann,
Suche nach der verlorenen Zeit – Roman von Marcel Proust,
Das Glasperlenspiel – Roman von Hermann Hesse,
Angst vorm Fliegen – Roman von Erica Jong,
Hundert Freuden – Gedichtband von Szymborska, Wisława.
Kaba fit: eine Kakaosorte, Kakaopulver, wovon ich jeden Morgen eine Tasse trinken musste; half aber wenig ... was Mathe betraf.
Maria Wisława Anna Szymborska [viˈswava ʂɨmˈbɔrska] (* 2. Juli 1923 in Prowent; † 1. Februar 2012 in Krakau) war eine polnische Lyrikerin. Sie zählt zu den bedeutendsten Lyrikern ihrer Generation in Polen, wo ihre Gedichte zur Nationalliteratur gerechnet werden. Im deutschen Sprachraum wurde sie bereits früh durch die Übertragungen von Karl Dedecius bekannt und erhielt mehrere bedeutende Auszeichnungen. 1996 wurde ihr der Nobelpreis für Literatur verliehen. Seitdem ist ihr schmales Werk von rund 350 Gedichten auch international stark verbreitet und in mehr als 40 Sprachen übersetzt (Quelle: Wikipedia).