Die Geschichte von Norna-Gest

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von Jürgen Wagner

Das Kind lag in der Wiege
Zwei Kerzen brannten still
Drei Frauen war’n gerufen
Es war des Vater’s Will‘

Zwei Seherinnen sprachen
‚Glück künden wir dem Kind!‘
Ein großer Mann soll’s werden
Das sei ihm so bestimmt!‘

Die jüngste stand daneben
Man hat sie nicht gefragt
Stieß sie sogar vom Stuhle
Da hat sie was gesagt:

‚So lang wie diese Kerze
Hier brennt, so lange leb!
Dies Haus ist nicht so gütig
Dass man es hoch erheb!‘

Die älteste der Nornen
Erschrak bei diesem Wort
Sie nahm beherzt die Kerze
Und löschte sie sofort

Sie gab sie seiner Mutter
Sie sollte sie verwahr’n
'Erst an dem Todestage
Zünd‘ man sie wieder an!'

Gest wurd ein großer Sänger
Ein kluger, starker Mann
Er focht an Sigurd’s Seite
Nie kam der Tod heran

Er ging zum Hof des Königs
Mit seiner Harfe Klang
Ihn liebten alle Leute
Wenn er die Lieder sang

Er ließ sich schließlich taufen
Der König wollt‘ es so
Bewährte sich auch hierin
Doch nicht mehr ganz so froh

‚Wie lang will er denn leben?‘
Der König fragt ihn an
'Bei Gott, nur noch ein wenig
Ich lebe schon so lang!'

Er nahm aus seiner Harfe
Die Kerze gleich heraus
Versteckt in ihrem Rahmen
War sie tagein tagaus

'Wie alt ist er geworden?'
'Dreihundert Jahre schon!
Nun ist es Zeit zu gehen
Mein Schicksal war mein Lohn'

Das Licht wurd angezündet
Der Priester wurd' bestellt
Gab ihm den letzten Segen
Sein Schicksal war erfüllt

2019 - Die "Geschichte von Norna-Gest" ist eine schöne kurze isländische Sage aus der Zeit um 1300. Ein Fremder namens Gest erscheint am Hofe von König Olaf Tryggvason in Trondheim, Norwegen 998 n. Chr. Er ist alt und doch überraschend stark und verblüfft die Gefolgsleute des Königs durch seine Fähigkeiten im Harfenspiel und im Erzählen von Geschichten. Der Fremde, befragt, wie er so viel über längst vergangene Zeiten wissen kann, enthüllt, dass er auch der Nornen-Gest heißt - und dies war seine Geschichte.

Gedichtform: 
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