Kosmische Wiege zwischen Lederwänden

Bild von Anouk Ferez
Bibliothek

Hattest dich einfach
tief in mein Leben gelehnt,
Junge mit dem Fuchsgesicht
und dem Polarstern in den Augen.
Du mit deinem baumdicken Zauberbuch,
der du die ersten aufreizend leeren Seiten
einfach sich selbst schreiben ließest.

Eine kosmische Wiege zwischen Lederwänden,
in der eine unklassifizierte Wesenheit
sich weise eine Wirklichkeit formte
– bevor wir beide, du und ich,
Junge mit dem find-mich-Blick,
lebensblind die Regie ergriffen:

Ungetaktet.
Ungeachtet.
Ungestüm.

Ich ein Stück und du ein Stück…
Und durch das Wechselspiel der Feder
in unseren schaffensdrängenden Händen
sind in deiner Welt stets aufs Neu
die Prinzen rosig wiederauferstanden,
die ich – vorm ersten Kusse mit der Liebsten –
Kraft meiner kienschwarzenTinte
beizeiten hab erblassen lassen.

Doch mit jedem hungrigen Herbst,
der die Blätter von den Bäumen
und unsere gemeinsamen Schuljahre
wie gezuckerte Zimtäpfel fraß,
verlor auch unser Buch an Blättern,
Junge mit dem großen Schweigen
mitten im Gesicht.

Welch‘ wunderbarer Geschichtenerzähler
übernahm auf höherer Ebene das Ruder,
als wir uns schon erwachsen wähnten…
Obschon wir noch das Zulebenlernen
erlernen mussten, ob unserer
schulinduzierten WISSEN- doch nicht WEIS-heit.
Obschon wir erst erwachsen wurden,
als wir wieder Kind in unsren Kindern wurden.
Und ich hoffe, er setzt noch lange kein Ende
unter unsere zauberhafte stille Mär.

-für den Jungen mit dem Polarstern in den Augen und dem Fuchsgesicht-

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Kommentare

29. Aug 2018

Ein wunderschönes Gedicht, liebe Anouk, dass mich sofort an C. Funkes "Tintenherz" erinnert hat, an Meggie, Mo und Staubfinger etc. Dein Text zeigt, dass Fantasy eine gehörige Portion Realität in sich birgt, die nicht jeder im Alltag erkennen kann; du kannst es - darüber hinaus auch noch so wunderbar schildern, dass man sich wie verzaubert glaubt, nachdem man das letzte Wort gelesen. Allein die erste Strophe ist faszinierend nachempfunden. Danke für dieses kluge, sehr gute Gedicht.

Liebe Grüße,
Annelie

29. Aug 2018

Liebe Annelie,
diese Verse waren weniger "Dichtung" als vielmehr eine Schilderung aus dem Gedächnis. Es gab diesen stillen Jungen und dieses Buch wirklich.
Mein Mann und ich haben uns sehr jung kennengelernt und dieses besagte Buch als Teenager gemeinsam geschrieben...leider ist es unzähligen Umzügen anheimgefallen. Irgendwann erlitt ein Übersee-Container einen Wasserschaden , darin .u.a. das Buch. Wir hätten es unseren Kindern gerne gezeigt..

Meine Tochter und ich lieben Tintenherz! Cornelia Funke ist unsere absolute Lieblingsschriftstellerin was Kinder- und Jugendbücher angeht!! Da geht mir als Erwachsener immer noch das Herz auf...
Liebe Grüße und hab dank für deinen lieben langen Kommentar, liebe Annelie

Anouk

29. Aug 2018

Liebe Anouk, das hört sich alles ganz wunderbar an, fast wie im Märchen. Ich mag Cornelia Funke auch sehr, habe alle ihre Bücher gelesen und war in Hamburg mal auf einer Lesung. Sie ist wirklich sehr sympathisch und sehr natürlich. Schade, dass besagtes Buch bei euren Umzügen, die ich nachempfinden kann, bin selbst oft umgezogen, verlorengegangen ist.

Liebe Grüße,
Annelie