Adèle, erinnerst du dich
als du das erste Mal
Albèrt erblicktest
und von Licht und Schatten gemalt
das Abbild deiner tiefen Liebe
in seinen Zügen entdecktest?
Erinnerst du dich, Adèle,
als sein erstes Lachen dich nährte und
deine Augen ihn durchschienen?
Dein staunendes Warten hatte sein Ziel gefunden!
Warten, Adèle, warten
ist Erinnerung an Ungeschehenes,
das sich zuvor bereits
tausendfach wiederholte...
Adèle, erinnerst du dich,
dass du in tausend Leben
immer wieder Adèle und Albèrt warst,
ahnst du dass unter deiner Haut
tausend Adèles und Alberts leuchten,
die wie aus den Bahnen geworfene
Planeten umeinander taumeln?
Deine blutigen Füße, Adèle,
dein irdischer Weg zu Albert,
dein staubiges Kleid, dein wirres Haar:
Wahnsinn ist dies nicht, Adèle
sondern Liebe.
DAS LEBEN IST EINE BÜHNE, ADELE
UND ICH… ICH WARTE, DASS DER VORHANG FÄLLT
UND ICH DICH IN EINEM ANDEREN SETUP WIEDERSEHE.
WARTEN, ADELE, IST DAS SCHWEIGEN ZWISCHEN
ZEILEN, DER ATEMZUG ZWISCHEN
„ICH“
UND „LIEBE“
UND „DICH“.
OB DU ES ERKENNST ODER NICHT, ADELE
DURCH ALLE AKTE HINDURCH:
ICH BIN STETS DU UND DU BIST STETS ICH.
WIRD DAS STÜCK AUCH UMGESCHRIEBEN
SO BIN ICH DOCH FÜR IMMER
UNGEEINT-GEEINT
IN UNS
DEIN ALBERT
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Ein solcher Brief von Albert an Adèle, VICTOR HUGOS TOCHTER, wurde nie geschrieben. Und wir alle meinen genau zu wissen, wie die Geschichte historisch richtig ist.
Ist "wahr" denn immer gleich "richtig"? Ist "wahr" nicht das, was man fühlt, wie es eigentlich sein müsste? Und ist das, was man fühlt, nicht "real", auch wenn der "Regisseur" es anders niederschrieb?
Ich möchte es nicht versäumen, diesen Brief zu schreiben, denn in meiner Welt liebt Albert Adèle - und er lebt diese Liebe zu ihr auf einer anderen Bühne, in einem anderen Setup.
Und da, wo Adèle meint, sie sei tief gesunken, ist sie in wahre Höhen aufgestiegen. Nur Menschen, die nicht lieben, neigen dazu, Liebe mit Wahnsinn zu betiteln.