Ungentlemanly

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Ich schenkte ihm mein
dummes, furchtloses Herz,
all meine Liebe und mein Vertrauen.

Ich gab ihm zu essen und zu trinken;
er tischte mir Lügen auf.

Ich spann bei Tag das Stroh seiner
Zunge zu Gold und flehte ihn an,
bei der Wahrheit zu bleiben.
Ich hoffte vergeblich auf ein glaubhaftes Wort,
tauglich, mich durch die Nacht zu tragen.

Ich gab ihm zu denken
(das sollte man nicht unterschätzen),
falls ihm überhaupt jemals ein
tiefschürfender Gedanke gekommen wäre,
falls er überhaupt jemals über irgendetwas
nachgedacht haben sollte.

Er wurde nicht müde
mir zu versichern,
dass er kein gentleman sei –
nicht ohne einen gewissen
Stolz in der Stimme.

Ich kämpfte mich allein aus
sämtlichen Jacken und Mänteln.
Ich schleppte den wöchentlichen
Einkauf – in den vierten Stock hinauf
und hielt bei Schnee und Regen den Schirm
über die lichte Stelle in seinem Haar.
Ich bezwang die störrischen Schiebetüren
der Hochbahn und erprobte
meine wachsenden Kräfte
an bleischweren Gewichten.

Ich massierte seinen Rücken,
bis meine Fingerkuppen glühten
und schleppte mich dahin, dahin ...
wie der mit Wackersteinen
gefüllte Wolf an den Brunnen,
wie ein mit Reisig beladenes, steinaltes
Hutzelweib aus einem Schauermärchen.

Ich wuchtete Möbel von einem Raum
in den anderen. (Er sah mir begeistert zu –
aus sicherer Entfernung,
in meinen Fernsehsessel gefläzt.)

Ich träumte von Atlas: Er lud das
Himmelsgewölbe auf meine Schultern
und ich brach prompt darunter zusammen.

Aber eines Tages war es soweit:
Ich stemmte ihn in die Luft und warf ihn
mit Sack und Pack aus dem Fenster.
Das Letzte, was ich von ihm sah,
war sein ungläubiger Blick.
Er folgte jäh dem spöttischen
Jean-Paul-Belmondo-Grinsen,
das mich total amüsierte,
anstatt mich wie sonst (fast)
völlig um den Verstand zu bringen.

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