Mein dritter Sommer:
Über der Elbe liegt Sonne,
Sterne tanzen auf dem Wasser. -
Sie macht sich fein,
verpasst mir ein dunkelblaues
Trägerröckchen, den rot-weiß gestreiften
Pulli, weiße Söckchen, schwarze Lackschuhe.
Ich darf das Knetgummi nicht mehr anfassen,
muss 'sauber' bleiben.
Wir gehen zum Leuchtturm, den lieb ich,
dort hält der Bus – ich stolpere auf den
Stufen, der Busfahrer schaut streng;
sie bezahlt, wir fahren an der Kaserne vorbei;
gegenüber steht das Haus meiner Patentante.
Frau Taube, hinter Hatschis Kneipe, hinter
der Kurve, hinter Kahlkes Strohdachkate,
näht – dunkelblaue Trägerröckchen für
kleine und große Mädchen- mein Pulli kratzt.
Blomesche Wildnis – wir steigen aus,
spazieren zum Amt - wegen des Taufscheins.
Wir haben lange, lange gewartet, dass Großvater
käme aus Schleswig an der Schlei,
sollte mein Pate werden, wurde krank
schaffte es nimmer, starb uns weg -
noch vor der Taufe.
Hab' ihn nie kennengelernt, den Schneidermeister
aus Stettin, der niemals Fahnen aus seinen Fenstern
wehen ließ, wenn drunten, auf der Straße, Hitlers Schergen
vorbeimarschierten. - Die Fahnen, sie gammelten vor sich
hin in einer Ecke des Kohlenkellers; er schätzte seine
jüdische Kundschaft weitaus mehr als Hitler, den er
verachtete.
Das Foto, darauf er Schach spielt mit seinem Freund,
ich habe es nicht mehr, aber stets vor Augen.
Kommentare
Dies Gedicht ist ein Ausflug in die frühe Kindheit. Sehr berührend. Ein Kind, das schon ernsthaft in die Welt blickt. Schon damals klug und tiefsinnig. Zum Gernhaben. Einfach schön!
LG Monika
Liebe Monika, dein Kommentar trifft es ziemlich gut. Ich hatte wohl gar keine andere Wahl; ich musste ernsthaft in die Welt blicken. Dafür gab es Gründe wie Kiesel an der Spree. Und es ist leider kein einziger dabei, über den ich lachen könnte, obwohl inzwischen viele Jahre vergangen sind.- Danke, das du dieses Gedicht noch einmal gelesen hast, denn es bedeutet mir sehr viel. Das Lachen habe ich jedoch später mit meiner Freundin - im wahrsten Sinne des Wortes - nachgeholt. Wir haben allerdings auch oft dabei übertrieben.
Ganz liebe Grüße zu dir,
Annelie
Ja, so eine Freundschaft ist kostbar. Sich die Seele aus dem Hals lachen. Und die jubelt befreit! Kenn ich auch.
Liebe Grüße und ein Lächeln,
Monika