Im letzten Jahr, da lud man vor Silvester,
Kritiker Willy mal ins Theater ein.
Ein Irrtum war's, denn ein Theater - Tester
konnte der Willy, weil ahnungslos, nicht sein.
Zwar lobten ihn die, die ihn gar nicht kannten
und ält're Damen fanden ihn charmant,
doch bei Kollegen und bei den Verwandten
war als Chaot er weithin gut bekannt.
An diesem Abend, als man wieder spielte,
an, wie gesagt, Silvester, gegen zehn
und er bereits zum achten Whisky schielte,
da ließ der Willy sich mal wieder geh'n.
An diesem Tage gab man im Theater
(modern) des Dostojewskij's "Schuld und Sühne".
Was Willy Dummes tuen konnte, tat er:
Er stürmte, sturzbesoffen, auf die Bühne.
Grad dort agierten eifrig die Akteure
und spielten hier bereits im zweiten Akt.
Und man bedeutet Willy dass er störe.
Doch nun hatte die Kunst ihn fest gepackt.
Laut grölend sprang er über Tisch und Stühle
der Regisseur stand vor dem Schlaganfall.
Man blickte nicht mehr durch, in dem Gewühle.
Ein nie geseh'nes Chaos überall.
Gar niemand holt ihn von der Bühne runter,
jedoch dem Publikum war das egal.
Auch Beifall gab es, tosenden mitunter,
denn Willy's Kunst sah man zum ersten Mal.
Als dann am Ende die Besucher fanden,
dass Sie so etwas bisher nie gesehn
und endlich sie dies schwere Stück verstanden,
sah Willy man vor'm zehnten Whisky stehn.
© Horst Fleitmann 2020
Kommentare
Lieber Horst,
werter Poetenfreund!
"Als man den Willy sah vor'm zehnten Whisky stehn,
bei altem Single Malt konnt das so leidlich gehn,
fragten die Leut wieso es diesmal anders war,
da diese Vorstellung war einfach wunderbar!
Noch lang danach manch einer hat daran gedacht,
was dieser Willy abends damals so vollbracht.
Egal auch was der Regisseur davon so hielt,
als es chaotisch wurd zumal im Bühnenbild.
Doch ob zudem, wohl inspiriert durch 'Schuld & Sühne',
den einen oder anderen ziehts hin zur Bühne -
dabei wenngleich auch er gar überaus charmant,
wie oft letztendlich wurd so manch Talent verkannt....
Trefflich erzählt, wobei mir gleich jemand aus Berlin dazu einfiel, der mit dem Theater zu tun hat und dem so etwas durchaus zuzutrauen wäre in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung ;-)) das Gedicht könnte auf ihn geschrieben worden sein! Brilliant verdichtet, gefällt mir sehr gut und verleitete mich zum Weitertexten, verzeih...
Schöne Grüße zu Dir, mit einem Hoch der Lyrik - Uschi
Deine Gedichte lesen zu dürfen, bereitet mir eine große Freude. Dankeschön.
HG Olaf