Bleiche Zeit

Bild von Anner Griem
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Bleiche Zeit
 
Ein Gebiss voll Lücken
Verdreckt in der Rinne
Einschusslöcher in den Wänden
Büsche und Bäume zerfetzt, so
Als hätte jemand mit einer
Machete wild um sich geschlagen
Hohle Fenster, schwarz, undurchsichtig
Deren Kreuze verkohlt, mit
Kinderleichen bespickt, zwei
Arme wie Ausrufezeichen
Stehend, senkrecht an einer Wand
Leere Augen, in Höhlen versunken
Menschen sprießen aus aufgewühlter Erde
Wiesenchampignons auf Kuhweiden
Im Frühjahr, wachsbleich ihre Häute
Sanft streicht ein Wind über sie hinweg
Brenzlig und nach Verwesung riechend
Das Beste in diesen Zeiten sind die
Sperrstunden, Momente des Aufatmens
Schlimmer das Wühlen im Kopf, die glühende
Angst im Bauch, Schlaflosigkeit, Trauer
Streunende Hunde, die an Kleidern der
Toten zerren, sie beriechen, sie bepinkeln
Ratten nagen sich durch Gedärme
Fliegenschwärme bilden Schatten an den Wänden
Wie ein Geist durchwandert eine Alte die Szene
In sich versunken mit schleppenden Gang
Ein Schuss, sie dreht sich um sich selbst, versinkt
Im dörren Gras, in diesen Zeiten schickt man Alte
Kranke oder Wirre auf die Straße, will wissen,
Was geschieht, die Lage peilen, ein Panzer schiebt sich
Ketten rasselnd auf den Platz, Stillstand, dreht seinen
Kanonenturm um 180 Grad, rollt zurück, verschwindet
Zwischen zerschossenen Häuserfluchten, bloß nicht
Müde werden, nicht der Stille trauen, unsichtbar sein
Es kommt vor, dass man von eigenen Leuten erschossen
Wird, aus Angst, selber der Nächste zu sein, Lastwagen
Rasen durch die Stadt, beladen mit Leichen, Gewehren
Und Tod, befreiender Tod in einem elendigen Leben
Stadtguerilla kontrolliert jetzt die Straßen, bestimmt
Den Tag, überwacht die Nacht, derweil sitzen andere
In fernen Orten an gedeckten Tischen, sprechen einen
Toast aus auf gelungenes Werk
 
Anner Griem / 2012

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