Loverboys, Fortsetzung vom 29. Dez. 2016

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Hartwig winkte seinen Kollegen Brams und mich herbei - wir sollten ihm folgen. Wir durchquerten ein Wohnzimmer mit den Maßen eines Tennisplatzes, von der exklusiven Einrichtung einmal ganz zu schweigen. Eine voluminöse Terrassentür führte zum Garten hinaus. Die Laube, in der Georg sich vermutlich noch aufhielt, befand sich gut zwanzig Meter von der Villa entfernt. Dahinter lag ein Park; ich nahm an, dass auch diese Grünfläche zum Herrenhaus gehörte. Sie war mir während meiner Flucht aus der Gartenlaube nicht ins Auge gefallen. Ich hatte mich durch die hohen Rhododendronbüsche geschlagen, die rechts und links neben der Villa blühten, um zur Straße zu gelangen.- Ein Hund schlug an. Es war eindeutig das gleiche Gekläffe, das mich bis zur Eisenpforte verfolgt hatte.

„Halten Sie den Hund in Schach; ist das Tier angeleint?“, fragte Hartwig.

„Aus, Hasso!“, schrie von Segeberg.

Hasso hielt augenblicklich sein vermutlich riesengroßes Maul.

Ich war mehr als erleichtert, dass ich den Kläffer während meiner Flucht nicht zu Gesicht bekommen hatte. Vermutlich wäre ich vor Entsetzen erstarrt. Mir schlich sich bei diesem Gedanken das Bild einer gemeingefährlichen Dogge vor Augen - hochmütig und reizbar wie ihr Herr(chen) Justus von Segeberg, der keinen guten Eindruck auf mich gemacht hatte. Ein diffuses Gefühl schien sich von Segebergs bemächtigt zu haben, ein Gemisch aus Verschlagenheit, Angst und Resignation; es spiegelte sich unverkennbar in seinen Gesichtszügen wider. Meine Angst um Georg wuchs ins Unermessliche.

„Den Schlüssel zur Gartenlaube, bitte“, forderte Hartwig in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und hielt seine Hand auf.
Von Segeberg kramte in seiner Hosentasche herum und beförderte einen überdimensionalen Schlüssel mit kompliziertem Bart ans Tageslicht. Ich starrte auf das Ding wie auf eine vorweihnachtliche Verheißung.

Hartwig steuerte geradewegs auf das Gartenhaus zu und steckte den Schlüssel ins Schloss.
Zwei Sekunden später sprang die Tür auf und ich raste an den drei Männern vorbei und in das Haus hinein.

„Georg?, Georg? - Georg!“ Geeeeorrrrg!", schrie ich so laut wie ich nur konnte.

Der Raum, worin wir gefangen gehalten wurden, war leer, im Fenster befand sich – kaum zu glauben - eine Scheibe; aber ich ließ mich keinen Augenblick von der eindeutig prompten Behebung des Schadens täuschen und rannte aus dem Haus, um nach Scherben zu suchen. Vermutlich hatte von Segeberg gründlich „aufgeräumt“. - Gründlich genug?, fragte ich mich und ließ mich auf die Knie fallen. Ich wühlte das kurz gemähte Gras um und fand nach wenigen Minuten, was ich darin suchte: vier Glasscherben, groß genug, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.

„Hier liegen Glasscherben“, rief ich. „Ich habe vor wenigen Minuten das Fenster eingeworfen, um Hilfe zu holen. Vermutlich werden Sie dieselbe Art von Scherben an meiner Jeansjacke finden. Ich trug sie um die Hand gewickelt, während ich die Scheibe zerschlug.“

„... und hier befindet Blut“, sagte Brams, der den Raum mit einer Taschenlampe ausgeleuchtet hatte. „Ziemlich frisches sogar.“

„Wo hält sich Georg Salomon auf, Herr von Segebert? Ist er noch am Leben oder haben ihre Schergen ihn bereits ins Jenseits befördert?“

„Salomon?“, stammelte ich. „Sie kennen Georg?“

„Selbstverständlich, Frau Volkmann. Herr Salomon ist ein bekannter Künstler, den wohl jeder hier in München kennt.“

„Und weshalb erfahre ich erst jetzt, dass Ihnen mein Leidensgenosse kein Fremder ist?“

„Ich wollte nichts überstürzen“, sagte Hartwig mit einem geheimnisvollen Lächeln, zog ein Handy aus der Innentasche seines Jacketts und bestellte die Spurensicherung an den Tatort.

„Wollen Sie uns bitte erklären, was sich hier abgespielt hat und weshalb Frau Volkmann und Herr Salomon in ihrem Gartenhaus eingesperrt waren, Herr von Segeberg?“, fragte Brams.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, befand mich bis vor zwanzig Minuten noch in einer Aufsichtsratsitzung meines Konzern in der Innenstadt. Zeugen gibt es mehr als genug – an die dreißig Mitarbeiter. Wir stellen Autoteile für ...“
„Wir wissen, was Sie herstellen, von Segeberg“, unterbrach Hartwig den sichtlich erregten Hausherrn. „Ich werde jetzt den zuständigen Staatsanwalt anrufen, mir einen Durchsuchungsbeschluss für ihr Grundstück erteilen lassen und gegebenenfalls auch noch einen Haftbefehl wegen Verdunkelungsgefahr gegen Sie erwirken.“

„Das zieht eine Dienstaufsichtsbeschwerde nach sich, darauf können Sie sich verlassen, Mann. Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, mir, einem angesehenen Bürger der Stadt München, einen Mord unterjubeln zu wollen.“

„Nur zu, Herr von Segeberg, in diesem konkreten Fall besteht zweifelsohne 'Gefahr im Verzug'. Ein Eingreifen der zuständigen Behörde kann nicht abgewartet werden, da anderenfalls Beweismittel verloren gehen könnten. Aber wie kommen Sie eigentlich auf Mord?“, erkundigte sich Hartwig von oben herab. „Ich habe dieses Delikt mit keinen Wort erwähnt.“

Von Segeberg lief rot an und knirschte mit den Zähnen.

Brams hatte indes Verstärkung angefordert und 'James', von Segebergs Butler, war offenbar so liebenswürdig gewesen, die Beamten, die auf der Terasse standen und zu uns hinüberschauten, ins Haus zu lassen.

Ich hatte mich ins Gras gelegt und war vor Erschöpfung eingeschlafen, träumte von von Segebergs Hund, einer gigantischen Dogge, sah das Vieh mit riesigen Sprüngen auf mich zurasen, wandte mich voller Entsetzen um, stolperte währenddessen über einen grinsenden Gartenzwerg und stürzte in ein Blumenbeet, darin blaue und rosafarbene Hortensien ihre volle Pracht entfalteten. Bevor das abscheuliche Tier sich auf mich stürzen und mich zerfleischen konnte, wachte ich auf - und blickte geradewegs in die hochmütigste Hundvisage (s. bitte Foto unten), die mir je untergekommen war. Ich schloss die Augen und mit meinem Leben ab.

'Bleib ganz ruhig liegen, Cordula', beschwor ich mich Sekunden später, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich trotz aller Befürchtungen noch am Leben war. 'Du darfst dich jetzt um Gottes willen nicht bewegen oder gar Angst zeigen. Das riecht die Bestie. Und dann bist du erledigt.'

Plötzlich fiel mir auf, dass das Gras, worin ich mich platziert wähnte, zu schaukeln begann. Ich tastete unauffällig mit den Händen den Grund ab, der mich trug: Er fühlte sich an wie der Stoff einer Sommerliege und über mir rauschten die schlanken grünen Laubblätterfinger einer Chinesischen Ulme, die Früchte trug: kleine hellbraune Nüsse. Ein ähnlicher Baum dieser Art aus der Gattung der Ulmen stand zu Hause in unserem Garten. Gordon hatte sie noch gepflanzt.
Mein „schaukelndes Bett über dem Gras“ war am 'Fußende' am Pfahl eines kleinen Pavillions befestigt: Ich lag in einer Hängematte, stellte ich fest. Irgendjemand hatte mich dort hineingelegt – Kommissar Hartwig? Oder gar sein eher kleinwüchsiger Kollege Brams?

Der Hund begann zu knurren, ich verharrte mit geschlossenen Augen. Plötzlich legte sich ein unheimlicher Schatten auf mein Gesicht, ein Schatten, der seine Zähne fletschte, und im nächsten Moment fiel ein Schuß und neben mir plumpste jemand zu Boden wie ein Sack voller Kartoffeln.

Eine Hand berührte sacht meine Wange. Ich schlug die Augen auf und blickte in Pavels Gesicht, das sich über mich gebeugt hatte.

„Eine Bordeauxdogge“, sagte er. „Diese Hunderasse gilt aus rechtlicher Sicht in vier deutschen Bundesländern als vermutlich gefährlich und in zwei Schweizer Kantonen als potentiell gefährlich. Im Kanton Genf ist die Haltung dieses Hundes gar verboten und in manchen Teilen Österreichs bedarf es zur Haltung dieses Viechs der Genehmigung des zuständigen Bürgermeisters.
Hätte Kommissar Brams nicht geschossen, wärst du mit hoher Wahrscheinlichkeit nach drei vier Bissen 'über den Jordan gegangen'.
Ich fahre dich jetzt nach Hause, Cordula. Und dort wirst du solange bleiben, bis man deine Tochter gefunden hat. Überlass die Sache der Polizei.“

„Und Georg?“, fragte ich und spürte dabei, dass mein trauriges Herz sich vor der Antwort fürchtete, wie sich ein kleines Kind vor einer Strafe fürchtet.

„Es sieht nicht gut aus“, sagte Pavel. „Nach der jetzigen Beweislage müsste er schwer verletzt sein und in Lebensgefahr schweben, wenn nicht gar ... ich mag es nicht aussprechen. -
Die Kriminaltechniker haben eine Menge Blut im Gartenhaus sichtbar machen können, Cordula. Blut, das vermutlich von deinem Begleiter Georg Salomon stammt. Man hat ihn jedoch bislang nicht auffinden können.“

Fortsetzung am Freitag, den 06. Januar 2017 (Heilige Drei Könige)

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