Fabrikokuluss - Teil 6

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von Frank Tegenthoff

Krachend stürzte es vom Himmel, polterte herunter und illuminierte damit den nördlichsten Punkt, den der Käpt'n noch ohne Namen erkennen konnte, blutrot. Das würde eine kalte Nacht geben. ,,Wenn nicht sogar eine sehr kalte Nacht!"
Kaum verhallten seine Worte, schnitt ein greller Blitz durch die Wolkendecke.
,,Wo ist der Wal?", rief der Steuermann. Und beim zweitenmal umso lauter, während es aus den Wolken grollte. Aber um den Wal konnten sie sich im Moment nicht kümmern. Schwere Winde tauchten auf.
,,Holt die Segel ein!...schneller!",folgte ein scharfer Befehlston. Auch Robbo kletterte mit hinauf. Noch bevor sich die Winde zu einem Sturm sammeln konnten, waren die Segeltücher festgezurrt. Schon wuchsen die Winde zusammen, formierten sich und schoben die Wellen bis ans Schiff. Es folgten Brecher und rüttelten ans Schiff. Lilly verdrückte sich mit Robbo nach unten. Die Matrosen waren ein eingespieltes Team. Es ist nicht ihr erster Sturm. Dem Steuermann ereilte eine unfreiwillige Dusche. Ein zweiter Mann kam zu Hilfe und zurrte das Ruder fest.
,,Bei diesem Kotzwetter werden wir den Wal verlieren - das ist sicher!",schon hatte er einen eisigen Blick im Nacken. Dem Käpt'n war es nicht egal,wie geredet wurde. Aber für Diskussionen war keine Zeit. Und die Zeit kennt keinen Anfang und kein Ende. Was einmal begonnen hatte,war jetzt ohne Belang. Nahm der Sturm überhaupt ein Ende?
Anonymus überraschte das nicht. Er hatte er den Sturm so gewollt. Mister Speed sollte keine Chance bekommen,die widrigen Umstände noch zu verschlimmern. So gewinnt er vielleicht Zeit. Der Wal war inzwischen tiefer getaucht. Und blieb dort auf Futtersuche. Was solle aber geschehen,wenn sich die raue See beruhigt hat. Taucht der Wal dann urplötzlich wieder vorm Bug wieder auf?
Die Situation bot sich für einen Erzähler wie Anonymus ziemlich verzwickt,wenn nicht sogar sehr verzwickt an. Er konnte - ja,er durfte nicht mit der Geschichte so einfach zum Schlusspunkt kommen. Das ginge auch nicht. Hatten die Weltenwandler eine Idee? Das dachte er sich. Als Antwort kam nur totale Stille.

Die totale Stille legte sich auch um's Schiff herum. Windstille. Die Kälte war mit fortgeweht. Die offene See offenbarte eine flache,undurchsichtige Oberfläche. Vom Wal war natürlich nichts zu sehen. ,,Jetzt können wir nur noch Rudern!" Und noch bedrohlicher wurde es still. Den Männern trieb ein tiefsitzender Aberglaube. Bizarr wirkte schon allein die ganze Reise.
So wie die Besatzung hoffte Anonymus auf ein Wunder. Der Wind würde wiederkommen und das Schiff fortbewegen. Derweil steht Robbo im Ausguck. Bis zum äußersten Rand des Meeres wirkte alles leer. War es überhaupt das ihm bekannte Meer. Robbo kannte so viele Geschichten über offene Gewässer. Und wieder bemerkt er es; zwischen seinen Fingern, auf der Haut,in seinem Kopf ist etwas,das nach ihm verlangt,nach ihm greifen will. Nichts körperliches, nichts lebendiges - außer einer Stimme. Sie klingt erregt,zornig und irritiert. Sie ist ihm gefolgt. Sie ist bei ihm.
,,Und siehst du den Wal?" - er war gemeint. Vom Wal war keine Spur. Sie verliert sich in der Tiefe. Wann wird der Wal wieder auftauchen. Oder ist er längst fort. Schließlich ist der weiße Wal der Schlüssel zu allen Antworten. Und warum kann ihn Anonymus nicht einfach aus den Fluten springen lassen. Dazu brauche er etwas mehr als nur seine Fantasie. Und das Halbkind!
Mister Speed hat ihn aufgespürt. Er will den Jungen unbedingt. Und solange könne Anonymus den Wal nicht auftauchen lassen. Die lineare Zeit scheint an diesem Punkt in der Geschichte zu enden: Dort,wo sie sich jetzt befinden. Es grenzt schon an seiner Vorstellungskraft. Kein Wind,kein Wal,kein wirklicher Ozean. Es hat die Peripherie eines Spiegels!

Robbo kletterte vom Ausguck herunter. Während des Abstiegs stiegen aberhunderte Gedankenfetzen mit herunter. Wieder mit festen Planken unter beiden Füßen, eilte er Lilly entgegen. Aber ihr Gesicht wirkte puppenhaft entstellt. Wie entgeistert schauten ihre Augen an ihm vorbei - ins Ferne. Auch die Männer nahmen keine Notiz von ihm. Sie bemerkten ihn einfach nicht. Irgendwie hantierten sie verlangsamt. Und als hätte sie der Eiswind gepackt, hielten sie mitten in der Bewegung an. Es hatte doch jemand nach ihm gerufen - nach dem Wal gefragt. Robbo schaute sich ratlos um. Er schien unsichtbar zu sein,irgendwo außerhalb ihrer Wahrnehmung. Womöglich außerhalb der linearen Zeit. Dann wäre er doch bei den Weltenwandlern. Dachte er sich.

Da ist sie wieder: Die Zeit! Hatte Anonymus noch Zeit. Für Robbo fast schon zu kurz - auch wenn es sich endlos anfühlt. Dann sah er es im fahlen Lichtschein. Es trat heraus. Robbo bemerkte es kaum. Er sah nur das große Gefährt, größer als ein Pferd. Dann sieht er den Dämon darauf sitzen. Es knurrt. ,,Du bist das Halbkind,nicht wahr!?". Es platzte voller Wut hervor und wand sich wie ein Wurm.,,Doch,du bist es!" Die Stimme sprang geradezu auf und kicherte dabei hysterisch. Das Etwas türmte sich monströs vor ihm auf. Robbo packte keine Angst. Mister Speed wollte es aber,dass er sich vor ihm fürchtet. Schließlich lebt Speed von der Angst und Dunkelheit.

Es musste das Halbkind sein. Wie könnte es sonst bei ihm sein. Dort,wo er existiert. Hier auf der anderen Seite des Spiegels. Hier ist seine Welt. Nun ist das Halbkind - ein Zwischending,ein neutraler Punkt in der Dunkelheit - bei ihm! Was es hier wohl sucht. Bei ihm könne es aber nicht lange bleiben. Ihm fehlt es an Macht - im Licht gibt es Grenzen. Das weiß Speed. Hatte er es so nicht geplant.
Anonymus versetzte es einen Schlag. Es schmerzte mitten im Satz. Es beendete seine Fantasie und Speed gewann immer mehr davon.
Anonymus hatte von Anfang an keinen Plan verfolgt. Erst als Mister Speed bei ihm aufkreuzte und diese Fabrikstadt in seine Welt setzte,hatte er einen Plan! So begann er,die bisherigen Seiten zu prüfen. Hatten sie sich erneut verändert?

Die lineare Zeit bewegt sich von einem Punkt zum anderen. Was ist außerhalb dieser linearen Linie? Dort befindet sich Robbo. Speed glaubt,gewonnen zu haben und vergisst dabei die Weltenwandler. Anonymus möchte den Schlusspunkt setzen und ihm widerfahren unverhoffte Umstände. Der Käpt'n,noch ohne Namen,erhält endlich einen Namen und alles kehrt zum Ursprung der Geschichte zurück.

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