Der Welt-Generator

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von Alf Glocker

Der Hohe Rat war zusammengetreten. Vor ihm schwebte ein Klumpen aus purem Dämmerschein. „Seht euch das an“, sagte der Lichtkopf, „geht hinein, aber nicht zu weit, sonst wird es zu groß und nimmt euch gefangen."

„Wie immer – wir passen auf“, meinte Albert E. „Es ist zwar alles relativ, aber gefährlich ist es trotzdem." „Aus Erfahrung wissen wir“, fügte William hinzu, „ist zwischen Sein und Nichtsein nur das edle Gemüt." Johann Wolfgang lachte, „das ist die hohe Kraft der Wissenschaft“, und aus der Ferne meldete sich eine feine Seelenstimme: „Und wo bleibt die Liebe?“

„Das ist wieder mal Simone de“, meldete sich der Silberstreif, doch Friedrich S. monierte, „und wenn das Annette von oder Marie C. war? Die klingen doch ähnlich." Der Lichtkopf ermahnte die Sprecher: „Wir haben zu tun! Da drinnen droht etwas in Ordnung zu kommen. Das geht nicht mehr lange gut! Dafür haben wir doch das universelle Sein. Für das plusmaterielle Universum ist Chaos vorgesehen. Es darf nicht so schnell an das Ende gelangen!“

Aus der Richtung des Generators erklang eine dumpfe maschinenhafte Wortmeldung: „Es ist wichtig, den Ausgleich zwischen den Welten herzustellen, die Energie der Phantasie ist, jetzt wie nie, das Ur-Genie – wir brauchen sie!“

„Worum geht es eigentlich?“ fragte, harmonisch-melodisch, Ludwig van aus seiner Klangwolke heraus. Es fiel ihm sichtlich schwer, eine Form anzunehmen. „Da hinten – steckt ruhig eure Köpfe rein – sucht jemand nach dem Sinn. Es ist wieder mal unser (Kl)Einer, der keine Ruhe geben kann."

„Aha“, staunte der Chor der 1000 Beisitzer des Hohen Rates. Einer unter ihnen fragte: „Was hat er denn diesmal für ein ‚Denkgeschenk‘ erhalten, nachdem die gesamte Geschichtsschreibung bei ihm nichts genützt hat? Ein verkehrstechnisches Missgeschick?“

Der Silberstreif schmunzelte. „Er sucht nach Sicherheiten – ist doch verständlich“, versuchte Johann Wolfgang zu erklären. „Die brauchen keine Sicherheiten dort, die haben doch ihre Rituale“, wetterte Friedrich N. und Jean Jacques R. pflichtete ihm bei: „Eben – das ist ihre Natur."

„Genau das hat unser (Kl)Einer eben nicht. Er geht nicht davon aus, unfehlbar in seiner Art zu sein, er ist nicht von sich überzeugt und er glaubt nichts!“, verteidigte Albert E das Menschenwesen, über das man gerade sprach. „Das klingt, als ginge es um mich“ lachte der Silberstreif schallend. „Aber haben wir nicht noch andere Probleme als diesen Winzling?"

„Na klar“ dröhnte da die Generatorenstimme, „es ist wahr, seit Tag und Jahr gilt Aug um Aug und Haar um Haar“!

„Er meint die Farbflecken“ erklärte Albrecht D, der sich angeregt mit Salvador D über das Wechselspiel der Töne auf der Oberfläche und in der Tiefe des Klumpens aus Dämmerschein unterhielt. Leonardo da nickte. „Wir müssen wieder etwas erfinden“, regte er an.

„Wie wär‘s mit einer Epidemie, das war doch immer wie, oder sogar meistens die Lösung, übers Knie gebrochen – doch in Ordnung war das nie." Der Generator hatte gesprochen.

„Ich überlege gerade, ob mir das nicht zu phantasielos ist“, meinte der Lichtkopf. „Immerhin haben wir doch schon durch die Armut der Massen, mithilfe der Ausbeutung durch Einzelne und durch heilsame Kriege, viel erreicht. Im Augenblick tut die Verblendung, durch die Vorherrschaft des Unverstandes, schon einiges, um zu verhindern, daß etwas dauerhaft gelingt."

„Und was sagt unser (Kl)Einer dazu?“ musste Rainer Maria jetzt einwenden. Er konnte nicht anders. „Er ist doch wie eine Kraft, die sich im allerkleinsten Kreise dreht."

„Er hält sich für einen Betrachter“, rief Werner H, „doch die Unschärfe sieht er auch und das macht ihn stutzig." „Frech wie Tom u. Huckleberry zusammen“, brummelte Mark T am Rande der feinen Gesellschaft des Hohen Rates.

Ein Raunen ging durch die Reihen der 1000 Beisitzer. „Es ist erstaunlich, auch er hat seine zugedachte Liste, gerät in Unfälle, vor Gericht, zieht sich Prellungen und allerlei Verletzungen an Körper und Geist, zu, aber er will nicht einsehen, wer seines Glückes Schmied ist."

„Weise Worte, lieber Immanuel K, seine Kritik ist tatsächlich die reine Vernunft“, brummte Hans H, d J. und Edgar Allen nickte eifrig … „Er erkennt einfach nicht an, was mitten auf dem Tisch vor ihm steht, es ist die Wahrheit, sie ist nur anders verpackt, als er sie erwartet hatte. Sie widerstrebt seinem Lebensplan …“ „Seiner Ethik“, unterbricht ihn Jean Paul S. „Sein Ekel vor dem wirklichen Leben ist ebenso groß wie seine Gier danach."

„So ist es recht!“, mischte sich der Lichtkopf ein. „Wir müssen ihm vor Augen führen, wie unnütz sein ganzes Treiben ist, damit er trotzig immerzu weiterarbeitet, wir dürfen ihm keinen materiellen Lohn zukommen lassen, damit er immer am Rande der Verzweiflung und oft mitten in ihr existieren muss – und, was überaus effizient ist: Wir müssen ihm begreiflich machen, daß er – zumindest in gewisser Weise – dümmer ist als alle anderen! Damit will ich sagen, selbst die Dümmsten um ihn müssen reich entlohnt werden für ihren einfachen Geist, oder sogar für ihre Gemeinheiten. Das treibt ihn zu Höchstleistungen an."

„Hahahahaha, das erinnert mich an das Große und Ganze!" Der Silberstreif war kaum noch zu halten: Er schüttelte sich geradezu vor Lachen. „Wenn eine Nation oder eine Art einmal dabei ist, sich zu perfektionieren, um uns ähnlicher zu werden, dann erschüttert sie ein Schicksalsschlag bis in die Grundfesten. Was sich gewissenhaft bemüht, muss zurechtgewiesen werden! Nehmt den denkbar unlogischsten Weg und alles wird gut! Hahahahaha."

„Auf den reimt sich wirklich das Wort ‚Zweifel‘." Johann-Wolfgang schüttelte perplex den Kopf. „Was war denn das für eine Zueignung?“ Wolfgang-Amadeus küsste währenddessen ein zierliches weibliches Geschöpf aus dem Publikum.

„Schaut doch hin, wie sie sich surreal verformen“, triumphierte Salvador D, „dort die roten Stellen, die wie Erleuchtungen aussehen, sind eigentlich Brände." „Ja, und die Stimmen aus diesen roten Zonen, die bei weitem die beschaulichen blauen Zonen überwiegen, sind kein Gesang, es sind Schmerzensschreie, die sich zu einem gigantischen Chor vereinigt haben."

„Dort toben die schlimmsten Auseinandersetzungen“, näselte der Generator dazwischen, „sie sind das Salz der Erde, sie sind unsere Siege, seid gewiss – ich verbiege, was sich nicht gibt und verfüge, was steht und was liegt!“

„Und die dunkelroten Stellen?“ mischte sich Miguel C ein … „sind das Windmühlen?“ „Sieht eher nach Liebe aus“, meldete sich William S bescheiden zu Wort, aber er schmunzelte dabei verschmitzt und dachte an Julia. Wollte er nicht ganz ernst genommen werden?

„Das sind Hunger und Unterdrückung – ganz einfach“, erklärte sich der Lichtkopf, und ganz tief aus dem Innern wurde ein Schauer spürbar, der bis durch die Grenze ins Jenseits drang. „Unser (Kl)Einer. Er hat uns zugehört und die für ihn typische Angst bekommen. Er möchte ewig leben und sich jeder Art der Vollstreckung entziehen!!“

Diese Stimme tauchte direkt unter den Mitgliedern des Hohen Rates auf, gehörte aber keinem seiner Mitglieder. Der „Fußboden“ hatte sich aufgetan, denn es schien nötig geworden zu sein, einen der großen Vollstrecker anzuhören. Mitten im Licht stand nun Atilla! Das machte sogar dem Silberstreif Angst. Er schüttelt sich voller Abscheu. „Der ist doch nur noch durch …“ – ein schwerer, schwarzer Windhauch – streifte die Versammlung, konnte jedoch keinem etwas anhaben – „… mich zu übertreffen."

„Das ist Rock 'n' Roll …“, sang plötzlich einer aus der Reihe der Beisitzer. „Halt's Maul, Elvis“, meinte ein weitgehend unbekannter Politiker, dessen Name allen entfallen war, barsch. Inzwischen hatte sich der schwarze Wind zuerst in eine knochige Gestalt mit Kapuze, dann in die Grenze zwischen dem Klumpen aus Dämmerlicht und dem Sein verwandelt.

„Aaaaahhhhh!!!!!“ Noch einmal war eine Gedankenstimme aus dem Klumpen zu hören. Ihr Widerhall brach sich in den Zeitzonen und stieß, in einem immer schwächer werdenden Echo, auf ihre materiellen Grenzen.

Der Lichtkopf lächelte wissend, doch sein Lächeln sah man nicht, denn wer nur aus Phantasie und einer Wolke aus Licht besteht, kann weder erkannt noch analysiert werden.

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