Mafiahochzeit – 3. Teil

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von Alf Glocker

Paolo geriet in Panik! Um sich wieder zu fassen, schrieb er – wenigstens in Gedanken – an seinen „Impressionen aus meiner Vergangenheit“ weiter ...

„Die Welt steht Kopf und ich, der ich eigentlich Hilfe benötigte, soll sie retten. Das ist doch lächerlich! Im Zuge düsterer Allerweltsabsichten hat sich sogar der Himmel verdunkelt. Und hier unten jagt eine Explosion die andere. Don Monterosa muß unter einem wichtig klingenden Vorwand hinausgelockt worden sein. Er schwimmt in einer roten Flüssigkeit. Als Sanitäter verkleidete Terroristen schießen wie wild um sich. Und Philomena blutet aus dem Unterleib.

Ihr teures Brautkleid sieht aus wie eine Metzgerschürze. Das hat sie nun davon. Natürlich sehe ich ein, daß sie endlich etwas Hartes zwischen den Beinen wollte, nach sieben Jahren Klosterschule und einem weiteren, eingesperrt zu Hause. Der Don konnte einfach nicht einsehen, daß auch aus ihr eines Tages eine Frau werden würde. Seine Tochter in den Armen eines Mannes konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Da wäre ihm keiner gut genug gewesen. Selbstverständlich war sie dann immer wieder ausgebüchst, um irgendeinen Nächstbesten zu verführen. Vermutlich war auch einer von einem verfeindeten Clan dabei. Diese Katastrophe hier ist also kein Wunder. Was so chaotisch beginnt, das muss auch chaotisch enden!

Wieder versuche ich sie wachzurütteln, und endlich schlägt sie die Augen auf. Als sie die Bescherung sieht, fängt sie sofort zu schreien an. Aber niemand kümmert sich um sie. Jeder ist mit der Rettung der eigenen Haut beschäftigt. Immer noch krachen Schüsse. Wie total übergeschnappt rennen die Leute durcheinander. Die Hälfte von ihnen scheinen inzwischen weißgekleidete Sanitäter zu sein. Voller Hass werfen sie sich auf ihre Opfer. Haben sie den Auftrag, einen ganzen Stamm auszurotten?

Mit Mühe gelingt es mir zunächst, meine Frau – ist sie es überhaupt, nachdem das Ritual nicht vollständig vollzogen wurde? – davonzuzerren. Sie aber hat sich, wie von Sinnen, das Kleid hochgezogen und die Beine gespreizt. Ein Blutstrahl trifft zuerst den Altar, dann den Taufstein. Dann schreit sie sich die Seele aus dem Leib. Der Kopf unseres Kindes erscheint – viel zu früh – in ihrem Schoß.

In wilden Krämpfen bäumt sich seine Mutter auf, aber ich kann ihr nicht mehr helfen. Eine verkleidete Krankenschwester hat sich bis zu mir durchgeschlagen. ‚Kommen sie bitte mit!‘, flüstert sie mir ins Ohr und ich wundere mich, weil ich sie in all dem Lärm gut verstehen kann. Es ist eine freundliche, unattraktive Brünette, die meiner Frau unglaublich ähnlich sieht, aber ich weigere mich trotzdem – so lange, bis ich einen spitzen Gegenstand (ein Messer) in meinem Rücken spüre. Ich beuge mich also der Gewalt und gehe mit hinaus.

Sie drängt mich zu einem knallroten Ferrari. Die Fahrertüre steht offen. Das ist die Gelegenheit! Sie erkennt meine Absichten und setzt ihre Waffe ein, aber noch bevor sie ein weiteres Mal zustoßen kann – der erste ‚zarte‘ Stich des Messers muss gut 3 bis 4 Zentimeter in meinen Rücken eingedrungen sein – entwische ich ihr, mache einen Hechtsprung ins Auto und presche davon. Der Schlüssel steckte zum Glück.

Wie von Dämonen besessen rase ich durch die italienische Landschaft, hetze die Serpentinen hinauf und hinunter und versuche, im Rückspiegel die Verfolger zu entdecken. Ich halte nicht an, kümmere mich um keinen Wegweiser, denn jetzt ist nur eines für mich wichtig: das Fahren. Um meine Braut mache ich mir überflüssigerweise noch Sorgen. Aber wozu? Froh sollte ich sein! Bestimmt hätte sie mich nur gedemütigt, andauernd nach Fehlern gesucht, mich vor allen Leuten verbessert, wenn ich etwas ihr falsch Erscheinendes sagte. Für sie wäre ich – zumindest unbewusst – immer verabscheuungswürdig gewesen. Doch das liegt jetzt schon weit zurück: mindestens 30 Kilometer.

Endlich fühle ich mich einigermaßen befriedigt und sicher. Der Drang zu fahren lässt ein wenig nach. Eine Stunde später ist mir rechtschaffen schlecht, denn ich bin ein ausgezeichneter Kurvenfahrer und habe die mir begegnenden Wendungen der Straße komplett ausgekostet. Niemand ist da ein größerer Spezialist als ich. Während ich mich also wieder fange und ich die mir jetzt kurios erscheinende Absicht, einem unausweichlichen Ende entkommen zu wollen, langsam ablege, fällt mir auf, daß ich, während der ganzen vermeintlichen Verfolgungsfahrt, keine Halluzinationen mehr hatte. – Oder ist das jetzt eine?

Ich muss mich total verfahren haben, denn die Chiesa liegt wieder vor mir. Zwei Dutzend Rollstühle stehen vor ihrem Portal. Drei blaue Omnibusse mit römischen Kennzeichen stehen auf dem Parkplatz. Glücksgefühle kommen in mir auf. Die Polizei muss, mit großen Mannschaftswagen, eingetroffen sein. Vielleicht konnte doch noch der eine oder andere gerettet werden. Aber warum ist die Straße dann ganz nass? Musste das viele Blut mit dem Schlauch weggespritzt werden? Und irgendwie muss ich nun doch wieder einem Minutenschlaf erlegen sein, denn vor mir taucht plötzlich ein Gitter auf. Bin ich verhaftet worden? Natürlich! Das kann auch nur mir passieren. Logisch, daß die Polizei glauben musste, ich sei an allem schuld. Sie wissen ja nicht, was ich leide. Ein überaus gepflegter Kriminalbeamter mit weißem Anzug schüttelt mich heftig.

‚Nein, ich bin kein Spion’, jammere ich. Aber das scheint nichts zu nützen. ‚Wenn du nicht spurst, bringen wir dich zu Mama, dann wirst du schon sehen’, verstehe ich, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Das Bild der aufsteigenden Regenwolken über dem Gardasee kommt mir erneut in den Sinn … sollte mit Mama die Mutter von Don Monterosa gemeint sein, die im Augenblick wohl die inoffizielle Chefin des Clans sein dürfte. Sie würde mich sicherlich foltern lassen. Also ist es gar nicht die Polizei, die mich gefangen hält. Es ist die Mafia, und die glaubt, ich habe diese Schweinerei angezettelt. Das halte ich nicht mehr aus, ich halte das definitiv nicht mehr aus ...“

„Signore Secondo! Signore Paolo Giovanni Secondo, kommen sie zu sich, wir wissen, daß sie den Führerschein haben“, sagte Dr. Eusebio, der Chefarzt der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalt Santa Chiara in Assisi ruhig.

Der Aufstand war vorüber. Über eine halbe Stunde lang hatte Paolo die übrigen Insassen verrückt gemacht. Man hatte ihn unvorsichtigerweise losgebunden und er hatte, trotz seiner körperlichen Zartheit, zwei Pfleger beiseitegestoßen und war durch alle Zimmer gerannt, die jetzt zur Visite offenstanden. Es war ihm gelungen, ein paar ebenfalls gewalttätige Patienten loszubinden und eine korpulente, alte und verwirrte Frau umzurempeln, die sich ohne fremde Hilfe nicht mehr erheben konnte. Sie rief immer noch ihr manisches „Che una Pecca“ in ihre dumpfe Welt hinaus. Danach hatte er sich auf einen Stuhl vor dem vergitterten Zimmerfenster gesetzt und „Auto“ gespielt. Dort konnte er schließlich auch gefasst werden.

„Wann glauben sie, Schwester Philomena“, meinte der Arzt, zu seiner freundlich, aber unattraktiv aussehenden Gehilfin gewandt, „wird die Spritze endlich wirken? Wann hört er auf sich so zu gebärden? Aber die Schwester schüttelte nur ihren Kopf mit den kurzen, brünetten Haaren. An ihrer weißen Schürze prangte rubinrot das Blut von Fratello Gabriele d’ Annunzio, das immer noch von seiner rechten Schläfe tropfte und sich von dort aus auch am Fußboden verbreitete. Paolo hatte ihm heftig ins Gesicht geschlagen. Aber der Fratello nahm es leicht – er betete gelassen weiter. Wie oft hatte der Abate Guiseppe Monterosa aus der Abazia Stanto Francesco, der hier gewöhnlich die letzte Ölung erteilte, schon gesagt: „Das kann jetzt nur noch die Agonie sein“, und wie oft hatte er sich geirrt?!

Signore Paolo Giovanni Secondos Mama kam schon lange nicht mehr, wenn es wieder einmal „so weit“ war. Diese seltene Gehirnkrankheit, die ihren Ausgang im Schlafzentrum nahm und im Wahnsinn endete, konnte anscheinend überhaupt nicht beurteilt werden. Ihr Ausgang stand in den Sternen. Und die senkten sich nun wieder trostspendend über die liebliche Landschaft Umbriens, während Paolo von 4 stämmigen Klosterbrüdern mit Lederriemen auf seinem Bett fixiert wurde. Schwester Philomena wischte ihm zärtlich den Schaum vom Mund.

Der Gewitterregen war wieder einmal vorübergegangen und die Straße trocknete silbern im Mondlicht auf.

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