Die Abenddämmerung hatte eingesetzt und der Himmel färbte sich rot, als Dennis die Unterkunft erreichte. Über den Bergen hinweg verglühte der Horizont. Das Hotel war ordentlich und sauber, doch er hatte es hauptsächlich ausgesucht, weil es im Zentrum der Stadt lag. Von hier aus dauerte es keine Viertelstunde, bis er in der Fußgängerzone stand. Als er eintrat, hob die junge Frau an der Rezeption den Kopf und lächelte ihn professionell an.
„Dzień dobry. Co mogę dla ciebie zrobić?“, fragte sie.
Dennis zuckte mit den Schultern. Die Empfangsdame wiederholte ihre Frage in Englisch.
Das Zimmer, welches er gebucht hatte, war geräumig und mit einem marineblauen Teppich ausgelegt. Der Raum wirkte dadurch dunkler, was ihn jedoch nicht störte. Er stellte seine Reisetasche auf das Bett und trat zum Fenster. Von hier aus sah er direkt auf die Berge der Hohen Tatra. Die letzte Glut des Abendhimmels ergoss sich über den Wipfeln. Die Aussicht überwältige Dennis. Er zog sein Smartphone hervor und dachte darüber nach, ein Foto zu knipsen und zu versenden. Er entschied sich dagegen und steckte das Gerät wieder in die Jackentasche. Es taugte derzeit nicht, um solche Nachrichten zu verschicken.
Dennis wandte sich vom Fenster ab. Er ging hinüber zum Bett, nahm die Tasche von der Tagesdecke und stellte sie neben den Schreibtisch an der Wand, ohne sie zu öffnen. Schließlich legte er sich auf das Lager und schloss die Augen.
In allen fremden Städten war es aufregend. Wenn auf dem Smartphone keine Nachricht hereinkam, gab es genug zu sehen. Früh am Vormittag verließ Dennis das Hotel. Die Fußgängerzone von Zakopane führte einen Hügel hinab, an deren Ende die Station der Schienenbahn auf den Gubałówka-Berg lag. Die Fahrt hinauf dauerte zehn Minuten. Von der Plattform auf der Anhöhe aus blickte man über das gesamte Tal. Hier oben hatte das Smartphone keinen Empfang. Es erschien unbedeutend, wie alles andere. Karina würde ihm ohnehin nicht schreiben.
Dennis setzte sich an einen der im Ausflugslokal aufgestellten Tische, der ihm freien Ausblick in die Berge hinein gewährte. Er trank ein Bier und dachte an nichts, vielleicht nur ein wenig. Das genügte, ihm die Ruhe zu rauben. Er zahlte und fuhr mit der Schienenbahn wieder hinunter in den Ortskern der Stadt.
Auf der Krupowki Street schlenderten die Touristen entlang. Die Geschäfte boten Souvenirs auf fahrbaren Auslagen an, die auf die Straße geschoben worden waren. Um diese Zeit hatten die Lokale bereits geöffnet. Die Gäste saßen draußen auf den Holzbänken im behaglichen Frühlingssonnenschein. Ein Stück weiter oberhalb hatte ein Händler seinen Stand aufgebaut und verkaufte Schafskäse in Scheiben. Oscypek, wahlweise mit Marmelade oder Schinkenstücken kombiniert. Zwei Käsestücke kosteten fünf Złotych. Dennis kaufte sich eine Portion, mit der er sich an einen der Tische vor der Gaststätte setzte und ein Bier bestellte.
Am anderen Ende der Bank saß ein älteres Ehepaar. Sicher waren es Touristen. Sie warfen einen kurzen, desinteressierten Blick herüber. Dennis nickte ihnen zu. Der Mann erwiderte den Gruß nicht. Er stand auf. Seine rotgeäderten Hände stützten sich auf die Tischplatte. Wuchtig stieß er sich ab und schlurfte in den Gastraum. Die Frau sah die Fußgängerzone hinauf. Sie sagte nichts; ihre Gedanken schienen leer. Eine Familie schlenderte vorüber. Das Mädchen rannte vorneweg, wies auf die Auslagen eines der Souvenirläden und blickte fragend zurück. Die Mutter schüttelte den Kopf, während sie fester die Hand des Jungen an ihrer Seite packte.
Der ältere Herr kam aus dem Gastraum. Seine Finger umklammerte einen Krug, über dessen Rand ein wenig Schaum schwappte. Die Frau sagte etwas zu ihm, was Dennis nicht verstand. Doch bemerkte er, wie hart sie redete. Ihr Mann antwortete unwillig. Menschen waren überall gleich.
Der Mann setzte sich und hob den Krug an die Lippen; die Frau beobachtete die Passanten. Dennis aß eine Scheibe des Oscypek. Er hatte noch nie diesen Schafskäse probiert, aber alles war irgendwann das erste Mal. Das erste Mal, dass man Bier trank, dass man Auto fuhr und das erste Mal, dass man sich stritt.
Der Käse schmeckte ihm, dass er aufstand und sich eine weitere Portion kaufte. Er bedauerte nicht, nach Zakopane gefahren zu sein. Nur dass er kein Polnisch sprach. Reden half, neue Menschen kennenzulernen. Das war wichtig, wenn sich niemand auf dem Smartphone meldete. Er zog das Gerät aus der Jackentasche und kontrollierte, ob eine Nachricht eingegangen war. Karina hatte nicht geschrieben. Sie hatte Wut; er Oscypek, ein Bier und die Sonne über der Hohen Tatra.
Die ältere Frau am Tisch sagte wieder etwas zu ihrem Mann, woraufhin er bei seiner Entgegnung lauter wurde. Dennis mochte solche Art Gespräche nicht, sie endeten unweigerlich im Streit. Wie bei seiner Freundin und ihm. Als es genug war, hatte er sich in den Wagen gesetzt und war von Rzeszów nach Zakopane geflohen, sicher zum Unwillen von Karinas Eltern, denen sie ihn vorstellen wollte. Möglicherweise sorgten sie sich. Er war fremd in diesem Land. Es hatte ihn nicht gehindert, was die Eltern erst recht irritierte. Karina wahrscheinlich auch. Jetzt stritten andere. Er aß Schafskäse und sah auf den Touristenstrom.
Die ältere Frau redete auf ihren Mann ein. Er trank grunzend sein Bier. Schließlich fiel ihr nichts mehr ein. Sie verstummte. Eine seltsame Stille sank über den Tisch. Zakopane war auf eine eigene Art entspannend, sicher eine Reise wert. Dennis bedauerte die Fahrt nicht. Nur ein wenig.
Das Paar stand auf. Sie sprachen nicht, schoben sich an der Holzbank vorbei auf die Krupowki Street und stapften langsam die Steigung der Fußgängerzone hinauf. Dennis aß sein Oscypek und sah ihnen nach. Der Mann war einen Kopf größer als die Frau. Von hinten sah er wie ein Bär der Tatra aus. Sie hingegen war so gedrungen wie der Schafskäse. Beide gingen nebeneinander, dass eine Lücke entstand, durch die ein Junge mit einem Roller fuhr. Das Paar blieb stehen und ließ ihn vorbei. Als sie weitergingen, streckte der Mann den Arm zur Frau hinüber. Sie ergriff seine Hand, woraufhin eine Gruppe Japaner die Sicht versperrte.
Dennis schob den Pappteller beiseite. Er zog das Smartphone aus der Tasche. Es war keine Mitteilung eingegangen. Dieses Mal tippte er den Code ein. Er schrieb eine Nachricht und sandte sie ab. Er wartete, bis das Gerät ihm die Übermittlung bestätigte. Schließlich legte Dennis es auf den Tisch, griff nach dem Bierglas und sah hinüber auf die Berggipfel der Hohen Tatra.
Oscypek
von Magnus Gosdek
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- Autorin/Autor: Magnus Gosdek
- Prosa von Magnus Gosdek
- Prosakategorie und Thema: Kurzgeschichten & Kurzprosa
Kommentare
Gern kam der Leser mit ein Stück -
Der Autor ließ ihn nicht zurück!
LG Axel
Vielen Dank, Axel. Ein Stückchen Käse zur rechten Zeit - schon ist der Autor gern bereit.
Lieben Gruß
Magnus
Durchaus witzig formuliert!!
LG Alf
Vielen Dank Alf.
LG Magnus