Miss Mutig verstand sich selbst nicht nur als selbstbewusste Frau mit natürlichen Impulsen, nicht nur als vernünftig, sie schrieb sich auch zu, äußerst planvoll und besonnen zu sein – und zwar frei von allen inneren Zwängen. Sohwass von Schlapp stand es frei, sie in der Ausübung ihrer selbst auserlegten Oberpflichten begleiten und bewundern zu dürfen, oder sie ganz einfach in Ruhe zu lassen. Beides war ihr recht. Ersteres forderte sie einfach ein, das Zweite genügte ihr zwar, befriedigte sie aber nicht!
Stein, dumm wie ein Stein, konnte sie natürlich nicht alleine einkaufen gehen lassen, denn auch er hatte gewisse Vorstellungen, was Miss Mutigs Unternehmungen betraf: Er glaubte, in seiner unheiligen Einfalt, daß die Miss eine Gefahr für sich selbst sei und außerdem befürchtete er zu Recht, daß sie kaum etwas tragen konnte – schwere Einkauftaschen z. B. Sie würde laut stöhnend nachhause kommen und ihm Vorwürfe machen … auf ihre ganz spezielle Art selbstverständlich. Sie würde ihn spüren lassen, ohne ihren Protest in klare Worte zu fassen, wie sehr er sie vernachlässigte, wo er doch wusste wie gebrechlich und wie empfindlich sie war. Auf einem allein zu bewerkstelligenden Einkauf bestand sie nur, wenn sie vorhatte, ihren, oder auch einen ihrer Liebhaber per WhatsApp zu kontaktieren, aber das ging den Schlapp ja auch nichts weiter an.
Gewöhnlich fuhren sie mit dem Auto zum nächsten, aber nicht zum nächstbesten Supermarkt. Er musste schon genau in ihr Konzept passen. Deshalb fragte sie vorher auch höflich: „Wo möchtest Du den einkaufen, Schatz?“ Stein machte also einen Vorschlag – aber nur, um daneben zu liegen. „Der ist mir jetzt zu weit weg!“, sagte sie. Schlapp schlug einen anderen vor und erfuhr sogleich: „Da gibt es aber nicht, was ich heute explizit brauche!“ Doch Miss Mutig war sehr geduldig und deshalb fragte sie Sohwass: „Möchtest Du vielleicht zum XY-Markt? Der gefällt Dir doch sonst immer so gut?!“
Froh darüber, das Vorspiel überstanden zu haben, willigte der Stein fröhlich ein. Das war der Punkt, an dem Miss Mutig mit ihren diversen Selbstgesprächen begann, denn nun galt es Entscheidungen zu treffen, bei denen ein Trottel und ewiger Quertreiber wie der Graf Sohwass von Schlapp, genannt „Stein“, nichts zu suchen hatte. „Mrmelfixbrablemarsch!“ nuschelte Miss Mutig und Stein fragte höflich nach: „Ich habe Dich gar nicht verstanden, Schatz, was möchtest Du denn?“ Sie antwortete: „Grumeldasbrummelmer!“
Stein befürchte, etwas unbeachtet gelassen zu haben, was der Miss helfen konnte. Deshalb erkundigte er sich noch einmal – diesmal lachend. „Du sprichst zu leise, liebe Miss, ich habe immer noch nichts verstanden …“ Da riss sie erbost ihren Kopf herum und schrie ihn an: „Ich rede mit mir selbst, nimm das endlich einmal zur Kenntnis! Ich muss mir noch darüber klar werden, was wir brauchen!!“ Stein gab sich damit zufrieden und harrte folglich der Dinge, die da kommen sollten – hoffte er doch auf einen einigermaßen entspannten Abend.
Endlich waren sie angekommen. Ein Einkaufswagen wurde beschafft und die beiden trotten einträchtig durch die Gänge zwischen den Regalen. Miss Mutig schaute auf ihren Zettel und murmelte weiter unverständliche Formeln vor sich hin. Der Graf unterbrach sie nicht mehr. Zuerst die Gemüseabteilung! Dann, weiter zu den Haushaltswaren. Von dort aus zur Wursttheke und danach zum Wein. Etwas Bier galt es ebenfalls noch einzusammeln. Doch halt – nach den Haushaltswaren noch einmal zurück zur Gemüseabteilung … die Miss hatte etwas vergessen. Nach der Wursttheke noch einmal zurück zur Gemüseabteilung weil Miss Mutig wieder etwas vergessen hatte. Danach zum Bier, zur Wursttheke, zu den Haushaltswaren, an die Wursttheke, zum Wein, zu den Haushaltswaren und noch einmal zur Gemüseabteilung. Danach ab zur Kasse!
Aber was lange währt, hätte endlich gut werden können – wäre da nicht wieder dieser unberechenbare Stein gewesen, der Stolperstein in jeder Lebenslage! Denn einen vollen Einkaufwagen zu leeren und all die guten Sachen vorschriftsmäßig in die vorbereiteten Tüten zu packen ist eine Wissenschaft für sich. Und Stein war ja beileibe kein Wissenschaftler. Ehe sie, Miss Mutig, sich versah, hatte der Trottel bereits versucht, die Wein- und Bierflaschen sowie das Mineralwasser in eine Tüte zu stellen, man bedenke: er STELLTE sie in die Tüte! Daneben hatte er ein paar Süßigkeiten platziert, darauf kamen dann das Gemüse, das Brot, der Käse, die Butter, die Wurstwaren und zuletzt die Eier. Unglaublich!
Erbost riss Miss Mutig die Tüte an sich. „So geht das aber nicht!“, rief sie und warf die ganzen Sachen wieder zurück, in den Einkaufswagen. Dann ging sie, mit Verstand, zu Werke. Die Flaschen mussten gelegt werden. So hatte es ihre Mutter, die Hexe, auch immer gemacht. Ein Klapps oben drauf besiegelte die sinnvolle Tat. Dann die Eier – ein Klapps oben drauf! Das Gemüse, die Wurstwaren, Käse und Butter, Klapps, und die Süßigkeiten, Klapps, Klapps, Klapps. Jetzt stimmte es. Sie schaute den Stein an und dachte so laut, daß man es fast hören konnte: SO MACHT MAN DAS! „Die Bierflaschen musst Du gesondert tragen – das sind Deine und die passen hier nicht mehr rein!“ Stein schüttelte den Kopf, ohne ihn jedoch vor Lachen zu schütteln.
Was konnte heute noch schiefgehen?! hoffte er vor sich hin und wollte bereits den Tag vor dem Abend loben, als ihn das Schicksal doch noch einholte, nein, überholte und ihm wieder einmal deutlich vor Augen führte, wofür er zu gebrauchen war. Für nichts und wieder nichts! Denn Miss Mutig hatte seinen Murks nicht vergessen. Ihre Stimmung war deutlich angeheizt. Schließlich hatte ihr Lebenspartner mal wieder überhaupt nichts verstanden! Er war ihr nur im Weg gewesen, außer beim Ins-Haus-Tragen der schweren Tüten. Wenn er nun auch noch versäumte, sie wegen ihrer schönen Seele zu lieben, dann wollte sie den Abend als „gelaufen“ ansehen. Es kam, wie es kommen musste …
Anstatt sich wieder bei ihr einzuschmeicheln und um ein wenig Sex zu betteln hatte er sich zurückgezogen …ihr einziges Lächeln heute, völlig außer Acht lassend. War das denn nicht genug Aufforderung gewesen, sie innigst zu küssen, sie anschließend zärtlich ins Bett zu schieben, um dann zu tun, was auf ihrem Kopfkissen in übergroßen Lettern stand: „Hier darf jeder machen, was ich will!“ Der Stein kam aber leider wieder einmal einfach nicht ins Rollen. Sohwass verzog sich vor den PC, um diese Geschichte zu schreiben. Er lenkte sich ab! Vielleicht würde er ja heute Nacht ruhig schlafen können, wenn er 2 oder 3 Bierchen getrunken hatte? Miss Mutig schmollte in sich hinein und sehnte sich eifrig massive Krämpfe in den Beinmuskeln herbei, damit sie ihren Unmut wenigsten nicht grundlos würde hinausschreien müssen. Dann setzte der Stein noch eins obendrauf: „Hast Du an Dein Magnesium gedacht, Schatz … Du weißt doch, was sonst passiert?!“
Wir erinnern uns:
Miss Mutig und das Kreischen in der Nacht
Vor einigen Jahren waren Miss Mutig und ihr Stein umgezogen. Sohwass von Schlapp, der Taugenichts hatte, wie alle Taugenichtse, die kurz vor dem ultimativen Scheitern stehen, gerade noch rechtzeitig eine kleine Erbschaft gemacht. Damit wurde dann eine Eigentumswohnung samt Renovierungskosten anbezahlt und Möbel angeschafft, die leider hauptsächlich dafür gut sein sollten, Steins Sammlungen dekorativ zu präsentieren. Sie selbst, Miss Mutig ging wieder einmal beinahe leer aus.
Hinzu kam dann auch noch, daß die neuen Nachbarn des 6-Familienhauses, mit dem kleinen Garten, der ausschließlich den Schlapps gehörte, nichts Besseres zu tun hatten, als ausgerechnet den Stein, seiner eigentümlichen Kunstwerke wegen, zu bewundern. Sollte das etwa ewig so weitergehen?
Zum ihrem Pech litt Miss Mutig schon lange unter permanentem Magnesiummangel. Dauernd musste sie ein Präparat dagegen zu sich nehmen, um keine Muskelkrämpfe zu bekommen. Die schlimmsten davon waren die in den Oberschenkeln, die immerhin einiges zu tragen hatten, obwohl sie sehr dünn waren.
Alkohol ist nicht gut, bei Magnesiummangel, aber Miss Mutig liebte ihr Gläschen Rotwein am Abend, das gerne auch mal 2 oder 3-mal gefüllt wurde. Bei anstehenden Problemen wurde es 4, 5, oder 6-mal gefüllt. An dem betreffenden Abend jedoch noch öfter, denn es war höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Schließlich war sie ja auch noch wer!
An diesem Tag zeigte sich die Miss auffällig oft lachend im Garten, mit ihrem Stein, dem bewunderten, aber völlig gefühllosen Etwas. Sie turtelte mit ihm herum, so lange, bis der Stein glaubte, das Leben sei schön. Die Sonne war noch nicht untergegangen, als man gemeinsam beschloss, aus keinem besonderen Anlass einfach zu feiern. Das war völlig zwanglos und versprach herrlich zu werden.
Stein hatte seine Gattin schon lange nicht mehr so fröhlich gesehen und in der entstandenen Hochstimmung leerte er mit ihr ein Glas nach dem anderen. Heute Nacht würde er sehr gut schlafen, dachte er, angenehm beschwipst und glücklich, weil er nicht von Komplikationen heimgesucht worden war. Er dachte immer so blauäugig und dümmlich, mehr hatte er einfach nicht drauf. So war er halt. Natürlich wusste das auch Miss Mutig.
Gegen 0 Uhr 30 ging ihnen endlich der Gesprächsstoff aus. Miss Mutig schaute ein wenig erschöpft aus der Wäsche und verkündete lachend, daß sie jetzt das Bett aufsuchen werde. Stein könne ja nachkommen, wenn er wolle.
Sohwas von Schlapp schrieb noch schnell ein unanständiges Liebesgedicht, dann bewegte er sich ins Bad und suchte schließlich ebenfalls das Ehebett auf, um sich auszuruhen. Selig schlief er ein … um eine Stunde später wieder, zu Tode erschrocken, aufzuwachen!
Neben ihm saß eine dunkle Gestalt im Bett, die sich mit beiden Händen die Oberschenkel hielt. Sie schrie aus Leibeskräften – mitten in die tiefe, sie umgebende Stille hinein. „Nein! Neiiin. Aua! Auauauaua, das tut doch weehhh!" Und weiter: „Neiiinn, bitte nicht, auaaaa!“ Ihr anhaltendes Kreischen wurde nur durch lautes Weinen, nein durchdringendes Heulen unterbrochen.
„Was ist denn mit dir los?“ fragte Stein blöde. „Es sind die Krämpfe“, flüsterte Miss Mutig kraftlos, bis sich ihre Stimmbänder wieder erholt hatten und sie von Neuem zu toben anfing. „Ahhh, aaaahh, auuuuaaaahh!" Dann schleppte sie sich weinend aus dem Schlafzimmer in die Küche, wo das Theater von vorne anfing.
„Hast du denn deine Magnesiumtabletten vergessen?“ erkundigte sich der Graf von Schlapp scheinheilig. „Jaahahahaauuuah“, jammerte Miss Mutig, bevor sie völlig zusammenbrach. Stein fing sie beherzt auf, musste aber achtgeben, daß er nicht ausrutschte, denn die Gräfin lies alles laufen. Sie war völlig fertig und im Nu war der ganze Küchenboden verpisst.
Stein suchte die Tabletten, fand sie auch, aber Miss Mutig war bereits viel zu schwach, sie noch einzunehmen. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als sie zurück ins Bett zu tragen, wo sie nach 2 Stunden endlich weitgehend verstummte und wimmernd einschlief.
Die Blicke der Nachbarn am nächsten Morgen waren dementsprechend vielsagend. Verzweifelt erläuterte Stein, daß vergangene Nacht wohl ein falscher Eindruck entstanden sein müsse und seine Frau lediglich bisweilen an akutem Magnesiummangel leide und er sie keinesfalls die halbe Nacht herzlos verprügelt habe. Die hochanständigen Leute im Haus aber lächelten nur gequält und betrachteten voller Mitleid die arme Miss Mutig. Wussten sie doch jetzt endlich, wozu das Trainingsstudio im Keller, in dem 2-mal die Woche die Hantelscheiben schepperten, in Wirklichkeit gut war.