Prosa und Prosagedichte
Es wächst eine Birke, die ihre Wurzeln nicht vergisst, obwohl sie weiß, dass der Tannenwald sich aufdrängt, sie wartet geduldig auf ihre Zeit, die man auch Herbst nennt; da blicken wir über die Landschaft, saugen die frische Luft in das warme Dunkel unserer Lungen und sehen: eine goldene Fackel, mitten im Tannenwald, eine Leuchte in der Taiga, und wir stellen uns rund um ihren Stamm, singen eine stille Hymne, lassen die Vokale gleiten wie der Brachvogel vor dem Regen, währenddessen die Birke sich auf die kommenden Frühlinge vorbereitet, indem sie ihre Blätter sachte auf den Boden herunterwirbeln lässt - zusammen, oder eins nach dem anderen.
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Es ist schon Abend, noch scheint das Sommerlicht,
es ist noch hell und auch noch Sommerabend.
Auf alles kann man verzichten, aber nicht darauf:
Sieben Walderdbeeren aufgespießt auf einem Halm,
Gewitterregen und Himbeersaft.
Diese ewig kurzen Sommerferien:
Eine Wundkruste am Knie muss abgekratzt werden.
Kaum hatte man den Wurm am Haken,
klingelt es ...
Wir wissen nicht einmal, wieviel das Licht wiegt,
oder wohin der Sommer entschwindet, während er da ist.
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Ich sitze in der Sonne, lasse meinen eigenen Schatten
mir Gesellschaft leisten. Ich höre Vogellaute
von hier und dort, schön sind sie, namenlos.
In der Sonne, im Stuhl, mit dem Verkehrsrauschen
in und hinter dem Grün. Kaffee und Sonne,
einige Bücher sonnen sich auf dem Tisch,
und die Schatten drehen sich langsam
in die richtige Richtung. Ein Insekt, grünschimmernd,
kriecht über meinen Arm,
frage mich, welche Botschaft
es mit sich trägt?
Schöner als so
kann ein Sommer nicht sein:
Das Grüne ist grüner als grün,
die Gnade, die man uns gibt
durch diesen Abend und den Vogel
dort im Grün, den Schatten
über dem Gras mit der Schubkarre,
wie ein Altarbild steht sie da,
so geborgen zwischen den Brennnesseln.
Es ist nur der Regen, den wir vermissen,
dieser wunderbare Regen.
Ich schau auf meinen Fuß, fünf Zehen
zeigen mehr oder weniger
in die gleiche Richtung.
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Nun blüht die Sumpfdotterblume, das Birkenlaub
schlägt aus, die Eiche weigert sich, der Brachvogel
ist pünktlich an diesem neuen Vormittag.
Einige Wege führen nach vorne, andere nach innen,
manche vorbei, der Mond rollt vor
und zurück über des Sommers
unbegreifliche Nähe: der Wind, das Gras,
... so vieles, das lebt in seinem eigenen, minimalen Leben,
Krabbeltiere dort unten auf dem Boden,
so erfüllt damit, zu leben.
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Sitze im Abend,
hör nicht den Kuckuck,
nur einen Köter
auf der anderen Seite des Wassers.
Die Sonne durchsiebt den Abend
zwischen den Kieferstämmen;
vom Weg westlich des Flusses
hört man den dröhnenden Lastkraftwagen,
dessen Last heute abend aus
"blauem Feuer der Alchemie"
besteht und einem Gefühl, dass
alles möglich sein könnte.
Und so haben wir die Mücken,
die nordisch schwärmenden,
ein bisschen unentschlossen
am Beginn der Saison.
Aber kein Wind, warm
ist der Abend, solange die Sonne
die Nase über die
Tannenwipfel hält.
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Das Dunkel ist größer,
das Dunkel reicht von
unten bis oben,
das Dunkel ist da,
drinnen wie draußen,
Jahreszeit für Jahreszeit,
doch plötzlich brennt es
um den Hals,
in echt.
*
Und etwas verblasst,
sogar der See
mit den Seerosen
und deren Mütter, unsere
verblassenden Mütter,
unsere Seerosenmütter,
hinein in das Dunkel
schwimmen wir,
bis wir das Dunkel finden.
**
Die wandernden Wolken hoch dort oben
rufen Träume aus anderen Zeiten hervor,
während das Grün Worte in das Ohr flüstert
- in einer Sprache, die bloß niemand versteht.
Die Rückenlage im Gras und der Wind sind gratis.
Und gleichzeitig: Die blinkenden Lichtbotschaften
des Hausfassadenzementes, der Glasscheiben,
die unzähligen Laute,
die digitalen Hier- und Dortziffern,
die anscheinend
nie ruhen.
Das bereits alte Jetzt,
rast einfach weiter.
Genau hier, an einem Abend im August,
kreuzt der Sommerferien-Barfußpfad
die Betonautobahn der Wirtschaftstreibenden,
ein Brachvogel unterbricht seinen Wiesenpsalm.
Überall zeigen sich Schriften, geschrieben mit
spitzer Nadel in Räumen mit weißen Wänden.
Die Linien von Loipen und Kondensstreifen
durchlaufen den Kalender,
die Apfelsine ist eine ruhende Vitamingranate
in der Handwärme unter den Cirruswolken
und der Schirmmützenkante.
Der See ist ungefähr so groß
wie ein ordentlicher Atemzug,
mit einem leicht abschüssigen Sandstrand
nach Süden hin, wo Libellen versuchen,
dem Tun der Abendsonne einen Sinn zu geben.
Nahsein, Hiersein.
Ein finnischer Schlager, ein Glücksfund im Radio.
Ich verstehe nicht ein Wort, aber zwei:
Jerusalem und Jericho.
Der Unterschied zwischen reich und arm
kann größer wirken
als der zwischen einem
Nebelhorn und einer Büroklammer
- auf der einen Seite Nebelvorhänge, auf der anderen
eitle Zusammenhaltversuche.
Zu leben ist teuer,
die Frage ist, ob es sich lohnt.
Lass die Gedanken fliehen, so frei wie die
Schmetterlinge im Schatten des Fliederbaums.
Eine Weile ruhen
inmitten der längeren Weile,
die wir "Leben" nennen,
inmitten der Hand,
die wir "Erde" nennen.
Die Schwalbe macht einen Schnitt in das Licht,
einen Bogen, kurz vor
dem Regen und dem Abend.
Und plötzlich eine Zärtlichkeit,
noch ein unerwarteter Wind,
der einfach mal so vorüberzog.
**
Bevor das Dunkel fiel,
waren wir alleine
Die Krähe bestimmt den Ton,
hebt den Nebel aus der Nacht
Noch da außer uns:
die anderen über ihre Schatten
Und der Himmel, über uns
das Licht, wie neu geboren
Ein Wind aus dem Nichts,
unterwegs in die gleiche Richtung
Der Kater, unser vierbeiniger Freund,
schleicht sich an das nächste Opfer -
Vielleicht war es so, wie es war,
irgendwo gab es eine andere Dämmerung
Wussten wir das nicht? Doch,
wir wussten es nicht!
© Willi Grigor, 2019
Übersetzungen aus dem Buch von 2018 "Jag går där jag gick" (Ich gehe wo ich ging) des schwedischen Dichters Bengt Berg.