Seiten
es mich eisig. Genetische Fingerabdrücke! Ich nestelte in Husseins Hose. (Bekanntlich hatte er sie nicht an, sondern sie lag auf dem Bettüberwurf.) Ich fand ein schmutziges Taschentuch und wischte sie ab. Und so was von gründlich.
Ich zündete mir eine Zigarette an und bestaunte mein Werk.
Ich hatte ein mieses Karma auf der Hand. Aber diese Kippe würde ich sicher nicht auch noch hier zurücklassen. Ich würde sie einstecken. Okay. Ich fasste den Buben Hussein an und half ihm vom Stuhl. Er schlotterte wie der Klatschmohn. Sagt man das so? Oder wie die Espenzweige. Er schüttelte sich, rüttelte sich, wollte, dass ich ihn aus seinem Säckchen lasse. Husseins Augen waren aufgerissen. Er zuckte und spuckte, während ich ihm die Fesseln schürzte. Er hatte seinen Schock schon weg. Er guckte sich Charamsines Blutlache, die sich weiter ausbreitete, an, ziemlich gefasst und konzentriert guckte er sie sich an.
„Verdammt! Scheiße! Du hast Vater getötet! Das gibt’s auf kein Schiff! Begreifst du überhaupt, was du getan hast? Du hast den Mann getötet!“
„Das war Notwehr“, sagte ich einigermaßen lahm.
„Komm isch jetzt ausch dran? Isch hab es gesehn und kann disch infizieren.“
Er sagte „infizieren“, aber ich kapierte sofort, was er meinte. Ich werde hier aber aufhören, es in diesem üblen Deutschtonfall, den er drauf hatte, wiedergeben zu wollen. Übel für einen, der in München studiert hat.
Außerdem hatte er doch nichts wirklich gesehen. Durch seinen Sack hatte er nicht mal was gehört. Das hätte irgendwer sein können und wegen dem Schuss war ich aufmerksam geworden und herzu gelaufen. Aber der Täter war schon entkommen gewesen.
Dann erzählte er seine Geschichte. Hussein war das einzige Kind vom alten Charamsine. Und die Ehe war geschieden worden. Von klein auf war er musikalisch begabt. Er konnte sogar noch besser tanzen und singen. Aber der alte Charamsine hatte nie ein Fünkchen Fantasie besessen und war dieser gnadenlose Geschäftemacher in seinem kleinen, schmutzigen Geschäft. Dennoch förderte er die Showausbildung des Hussein mehrere Jahre. Er sah ihn da schon mit einem Ensemble für Arabische Musik durch die Emirate touren. Eine Goldene Schallplatte. Aber sein Sohn Hussein war schwer im Griff zu behalten. Schon als Junger trank er regelmäßig Alkohol und probierte Mentholzigaretten aus. Er hatte viel Stress mit den Stressern. Eine Feste hatte er nie. Ich fasste es als mein Stichwort auf, um auf Marie, die Große, zurückzukommen, aber Hussein ließ sich nicht unterbrechen.
Die eigentlich sehr wenigen Male, wenn Charamsine ihn auf der frischen Tat ertappte, denn aufs Geschwätz fremder Zeugen gab er nie etwas, kam es zu unschönen Szenen. Zu eben so einem Wilhelm-Tell-Spiel, mehrfach. Nackt bis auf die Strümpfe und diese Fetischhöschen, in einen Sack gefesselt, Gläschen zum Abschießen gestellt.
„In der Pistole war immer eine Patrone. Russisches Roulette, du verstehst?“, heulte der Libanese. „Die übrigen fünf Kammern leer. Er ließ die Trommel rotieren. Und drückte zweimal ab. Erst bei mir, dann bei sich am Kopf.“
Manchmal hörte Hussein Schüsse knallen, Spuren von Projektilen wurden Tage später zugespachtelt. Einer von ihnen wurde aber kein einziges Mal getroffen. Hier in der Straße müssen die Leute einen guten Schlaf haben, dachte ich.
„Manchmal traf er das Glas. Bäng und Glas splitterte gegen meinen Sack. Manchmal fiel es vorher runter, bevor er abgedrückt hatte. Wie durch ein Wunder habe ich diese Hölle überlebt.“
Im Libanon hatte der Bürgerkrieg getobt und dort war Charamsine aufgewachsen. „Irgendwann kannst du keinem mehr trauen. Ich habe mit angesehen, was aus den Verweichlichten dort wurde“, hat er gesagt.
„Doch so taff war er gar nicht. Er war doch eher ein Hütchenspieler. Ich meine, warum hat er eine Export-Agentur aufgemacht? Eines Tages bestraften sie ihn mit dem Gläschenspiel. Es knallte, Splitter schnitten ihm ins Ohr. Er fiel schreiend vom Tisch, brach sich sein Schlüsselbein, schiss in die Hose. Später wurde er ein Schieber im Auftrag der Drusen. Er heiratete meine Mutter, die Deutsche. Sie lebt und ist Alkoholikerin geworden. Wir sind ihr so was von wurscht. Der Vater machte zuerst ein Spezialitätenrestaurant auf und ging damit Pleite. Und doch schaffte er es immer, mir die Ausbildung zu ermöglichen. Er machte jeden Drecksjob, den sie für ihn hatten. Er fuhr zu Spargelfeldern und auf die Baustellen. Das wusste man hier in der Gegend, Charamsine ist der Müllmann, ihn rufst du, wenn mit deiner Ladung was nicht stimmt. Er schlug mich als kleines Kind mitten ins Gesicht. Er drehte sich und furzte mir zu. Er schleimte, lachte, furzte, rülpste und schleimte. Er ist ein Ungeheuer gewesen. Er sammelte Teengirl-Anal-Heftchen und versteckte sie in einem von den Objekten, wo es eine doppelte Wand hatte. Er meinte, ich wüsste nichts davon.“
Doch gestorben ist er für mich als Held.
Ich nahm Maries Slip und ließ Hussein schnuppern.
„Und das hier. Von Marie. Meiner Freundin. Riech doch nur! Wir sind offiziell auseinander, aber ich werde nie aufhören, sie zu lieben. Zehn auf jeder Skala. Sie ist ein Mischling, schwarz und weiß. Sie ist riesig und hat so die Brüste. Sie mag es mit den großen Schwänzen. Hast du so was? Ich schenke sie dir, damit ihr nicht einsam zurückbleibt und umkommen müsst wie ich. Die Marie ist ein guter Mensch. Marie Bräuner, am Markt 3 in Weiltingen. Und ich hab sie vorhin niedergeschlagen, weil ich dir den Slip meiner Freundin bringen sollte, damit du mich Socken kauen lässt. Ausgemacht bleibt aber ausgemacht. Bring ihr ihr Teil zurück und sag ihr alles, was hier vorgefallen ist. Mit so was fängt man Gespräche an. Marie mag ja auch die Musik und die Männer, welche eine machen.“
Ganz tief rein in alle Details wollte ich nicht gehen.
„Sagt hinterher den Bullen, was ihr wisst von mir! Aber denk dran, dass du auf diese Tour deinen Alten nicht wieder zurückholst! Freu dich, dass es keine Exekutionsspiele mehr gibt und du die schönste Frau von Gunzenhausen hast. Wir sind quitt, wenn du sagst, dass es aus einer Notwehr heraus war. Du hast um dich geballert, mit dem Sack auf dir drauf, nicht wissen können, wo du hin schießt. Ich werd das hören, was du denen erzählst. Du wirst sehen, alle Nachbarn in deiner Straße werden es bestätigen und aussagen, was der Libanese für ein Tier war mit seinem Kind. Denk auch mal an die Analpornos mit den minderjährigen Mädchen, die er gesammelt hat. Die finden sie irgendwann auch.“
Hussein stand mit offenem Mund da.
Es dauerte zehn Minuten, bis die Polizei eintraf.
Es dauerte, verdammt, vier Stunden, bis sie wieder weg waren. Hussein mit ihnen. Keine Ahnung, wo sie ihn hin brachten. Ich sah mir alles von oben an, vom Dach der stillgelegten Dinkelsbühler Brauerei. Ich laufe nicht davon wie ein Verrückter, wenn ich weiß, gleich kommt die Polizei um jede Ecke. Ich durfte nicht rauchen in der ganzen Zeit. Nicht mal die gesicherte Kippe mit der genetischen Spucke warf ich droben weg.
Marie und Hussein heirateten gut ein Jahr danach. Im Haus in der Langen Gasse machten sie einen veganen Teesalon auf. Hussein wurde Fahrer bei UPS. Immer wieder einmal spielt er Oud im „Konzert bei Kerzenschimmer“, einer Initiative der Dinkelsbühler Abendbelebung. Auch sonst findet er Auftritte, aber er ist nicht das, was die Leute hier bei uns gern hören. Marie soll ja schwanger sein.
Mit keinem habe ich noch mal ein Wort geredet. Ich war eine Weile ziemlich in Unruhe wegen dem Verbleib von diesem Slip von ihr und all den genetischen Fingerabdrücken, die man hätte finden können. Aber anscheinend ist bei der Ermittlung ihr Name, Marie Bräuner, kein einziges Mal erwähnt worden. Sie hat wohl einen Mordshass auf mich geschoben. Aber sie hat nie was gesagt, wie das kam, dass sie sie liegen fanden ohne was an. Man hat es aufs Kneipenfestival geschoben.
Vater Charamsine kam groß in der Zeitung.
„Levantiner getötet bei Todesspiel“.
Es wurde eine Serie daraus, weil man die Einzelheiten von Husseins Martyrium erklärt bekam. Ihm war das bestimmt nicht mehr lieb, aber da war viel durchgedrungen zu den Schreibern. Es wusste mit der Zeit jeder über jeden und alles Bescheid. Nur, dass ich in der Nacht rein oder raus gegangen wäre, davon kam nie was.
Im Jahr danach brach in Ramsberg und um den See herum ein Vandale Camper-Vans und Wochenendhäuschen auf, wobei kaum je was gestohlen wurde, aber eine Spur der Verwüstung zog er hinter sich her. Alte Gummistiefel, Kinderkleidung, Spielsachen, mehr wurde dort nie vermisst. Und einmal hat er mit Benzin ein großes Feuer entfacht auf einem Grundstück. Es scheint sich um einen jüngeren Typen gehandelt zu haben, vielleicht Einheimischer. Ein Jäger will ihn nachts über einen ganzen Kilometer weg durch seinen Präzisionsfernstecher gesehen haben. Sie machten ein Phantombild, Computergrafik, hängten es drei Monate auf jedes Postamt, jede Spar- oder Raiffeisenkasse. Aber gefasst wurde der nie.
Niemand kannte den Täter.
*****
[Anmerkung: Die einzeln stehenden, kurzen Sätze sind wörtliche Zitate aus einem Texterforum. Um sie her wurde der übrige Text erbaut. Der seinerzeitige Autor hatte sich Randall_Flagg benannt und ist mir ansonsten nicht mehr bekannt geworden.]
Kommentare
ein bisschen Bukovski und vermutlich einigen realen Hintergrund...
Gruß
Alf
Seiten