Wüstensohn - Page 2

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von Annelie Kelch

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und dass ich dümmer sei als eine Fata Morgana in der Wüste.
Ein Wüstenführer aus unserem Gefolge musste mich zurück nach Douz begleiten, und Livi schloss sich uns an, obgleich ich ihr mehrfach versichert hatte, sie könne getrost weiterreiten; ich käme allein zurecht. Wir lachten unentwegt, obwohl ich ziemliche Schmerzen hatte. Unser Begleiter, ein netter, humorvoller Mann, hatte mich auf seinem eigenen Dromedar angeschnallt, und ich erinnerte mich lebhaft an die Zeit der Jahrmärkte, als man mich auf wippende Metallpferde hievte und mir zuwinkte, während sich das Karussell im Kreis drehte.
Livi sagte: „Ich hatte mit einem Sandsturm gerechnet, aber nicht, dass du vom Dromedar fällst, du kleines Kamel.“ Sie sagte es auch auf Arabisch, und unser Begleiter brach in raues Gelächter aus und zeigte seine weißen Zähne.
„Von einem Trampeltier wäre ich nicht so leicht gestürzt“, verteidigte ich mich kleinlaut. „Das hat zwei Höcker. Zwischen denen sitzt man sicher wie in Abrahams Schoß.“ Livi übersetzte, und Mahmud Mukhtar, unser Begleiter, erwiderte etwas auf Arabisch, das wie ein Fluch klang, aber Livi sagte: „Zwischen den Höckern eines Trampeltiers passt kein gängiger Sattel, du Unglücksrabe.“ ‑
Der Arzt, den wir in Tunis aufsuchten, verordnete mir mehrere Tage Ruhe. Ich solle mich tagsüber an den Strand legen und die tunesische Sonne genießen. Das war das Letzte, worauf ich Lust hatte, aber ich konnte nichts anderes unternehmen. Der Knöchel schmerzte beim Laufen dermaßen heftig, dass ich mich der Anordnung nicht widersetzte.

„Ich wünsche dir einen spannenden Bummel durch die Medina, Livi“, sagte ich am nächsten Morgen mit tapferer Stimme. „Und solltest du dich entschließen, den Souk zu besuchen, so grüße bitte ganz herzlich Herrn Nasr von mir, und ich käme so bald wie möglich vorbeigehumpelt.“
Olivia griente, während sie mich vor den Wüstensöhnen warnte: „Die wollen alle nur Geschäfte machen, bezness, verstehst du, Janet.“
Dann schwirrte sie hinaus in die milde Luft, die entlang den weiß getünchten Häusern mit den blauen Fenstergittern berauschend nach Jasmin duftete.

„Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten? Wie wäre es mit einem kühlen Drink?“, drang eine weiche Stimme an mein Ohr. Der Wüstensohn, der sich über mich gebeugt hatte, sprach Deutsch mit leichtem Akzent. Ich lag in einem der Liegestühle, die am Meer aufgereiht waren und versuchte den Traum zu deuten, der sich in meinen unruhigen Schlaf geschlichen hatte: Eine Kompanie aus Dromedaren und Lamas hatte sich in der Wartehalle des Flughafens von Tunis versammelt und wetteiferte miteinander, wessen Spucke am weitesten flöge. Die Kamele fletschten ihre Zähne und grunzten wie eine Horde Schweine während der Fütterung. Niemand unternahm etwas gegen die hässlichen Pfützen, die nicht allein aus Spucke bestanden, vielmehr sonderten die Wüstentiere eimerweise Magensäfte ab, die von unangenehmen Gerüchen begleitet wurden.
Ich ließ mich zu einem Orangensaft einladen und unterhielt mich ganz prächtig mit dem jungen Mann, der in Berlin Maschinenbau studiert hatte und fast perfekt Deutsch sprach. Wir wollten uns unbedingt wiedersehen und verabredeten uns für den nächsten Nachmittag am Pool unseres schönen Hotels.

Livi, die am späten Abend zurückkehrte, sprühte vor Begeisterung. „Stell dir vor, Janet“, platzte sie heraus, „wir sind zu einer tunesischen Hochzeit eingeladen, von deinem Herrn Nasr. Ich soll dich herzlich von ihm grüßen. Seine Enkelin schließt in einer Woche den Bund fürs Leben.“
„Hoffentlich kann ich dann wieder laufen“, seufzte ich kläglich.
„Klar“, sagte Livi. „Du bekommst gleich einen frischen Essig-Verband. Das praktizieren wir fortan stündlich, und übermorgen springst du wieder umher wie ein Reh. Wie war dein Tag?“
„Ein Wüstensohn hat mir einen Drink spendiert. Er war sehr nett und wollte mir weder kleine Lederkamele noch Teppiche andrehen. Außerdem spricht er hervorragend Deutsch, weil er in Berlin studiert hat.“
„Wo ist der Haken?“, fragte Olivia
„Weiß ich noch nicht“, sagte ich. „Aber er sieht blendend aus, wie ein Araberfürst. - Morgen kommt er wieder.“
Livi ging nicht weiter auf meine neue Bekanntschaft ein, stellte keine unangenehmen Fragen, und irgendwie war ich froh darüber.

„Die Hochzeit dauert drei Tage“, plauderte sie während des Abendessens.
„Wir sollen schon am ersten Tag des Festes kommen und die Braut mit Henna schmücken, nachdem sie im Hammam war. Sie heißt Majiri, ein schöner Name, nicht wahr?“
„Weiß ich längst“, sagte ich, „hat Amir mir erzählt.“
„Am zweiten Tag geht dann die Post ab, wie bei uns am Polterabend, nur dass Majiri nicht mitfeiern darf“, fuhr Livi unbeeindruckt fort.
„Armes Ding“, warf ich ein.
„Der Bräutigam kommt am Nachmittag, um mit seiner Braut und ihren Eltern zu speisen. Anschließend fährt er wieder nach Hause und feiert dort mit seinen Gästen ein rauschendes Fest.“
„Wie?“, fragte ich entgeistert, „das Brautpaar feiert seine Hochzeit getrennt?“
„Ja“, bestätigte Livi. „Das ist im Süden ein alter Brauch. Erst am dritten Tag wird die Trauung vollzogen; danach fahren die Brautleute ins eigene Heim. Wir feiern also nur mit Amir, seiner Familie und seinen engsten Freunden.“
„Das sind gewiss an die hundert Leute“, seufzte ich. „Voll wird es allemal.“

„Stell dir vor, Janet, welche Überraschung“, krähte Livi, als sie am darauf folgenden Abend heimkam. „Sobald die Brautleute sich von ihren Gästen verabschiedet haben, fahren wir mit Amir nach Tataouine.“
„Du duzt Herrn Nasr bereits?“, fragte ich mit gerunzelter Stirn.
„Wieso, du doch auch?“, entgegnete Livi ein wenig schnippisch.
„Schon, aber erst seit dem letzten Jahr.“ Ich konnte kaum glauben, dass Amir Nasr, der einen sehr zurückhaltenden Eindruck auf mich gemacht hatte, sich nach wenigen Stunden Bekanntschaft von einer Fremden duzen ließ, aber was Livi betraf, war offenbar nichts unmöglich.

"Ist doch egal, Janet!“
Livi war in ihrem Element und pfiff ein arabisches Lied.
„Und was sollen wir in Tataouine?“, fragte ich nach einer Weile.
„Oh“, sagte Livi. „Dort findet ein Kamelrennen statt. Amirs Söhne sind auch dabei. Das wird spannend. Ach, ich freue mich wahnsinnig darauf!“
„Auf die Kamele oder auf seine Söhne?“, fragte ich.
„Auf beide“, griente Livi. ‑

„Wie war dein Tag, Unglücksrabe?“, fragte sie am dritten Abend bei ihrer Heimkehr. „Hat der Wüstensohn dich wieder beehrt?“
„Klar“, platzte ich heraus. „Er ist an einem Projekt in Sousse beteiligt, das einen Yachthafen mit 1000 Liegeplätzen plant, weitaus größer als in Hammamet.“
„Interessant“, sagte Livi. „Wenn das stimmt ... hat der Typ dir verraten, wie er heißt?“
„Aber ja“, erwiderte ich beschwingt. „Er heißt 'Ebn al-sarah.“
Lydia sah mich verdutzt an und brach in schallendes Gelächter aus. Ich war empört. Als sie sich endlich beruhigt hatte, schluchzte sie unter Tränen: „Weißt du, was das auf Deutsch heißt, Janet?“
„Du wirst es mir gleich verraten“, sagte ich wütend.
„Sohn der Wüste, das heißt es, Schäfchen. Der Kerl ist ein Schwindler. Ich hoffe, du hast dich nicht in ihn verliebt.“ Ich zog es vor, Livi darüber im Unklaren zu lassen und ließ mir meine Enttäuschung nicht anmerken.

„Morgen bleibst du besser im Hotelzimmer“, schlug sie vor. „Und übermorgen kannst du eh wieder richtig laufen.“
Ich befolgte Livis „Rat“, weil ich wusste, dass sie es gut mit mir meinte; dennoch plagte mich große Sehnsucht nach dem „Wüstensohn“, in den ich mich unsterblich verliebt hatte.

Majiris Hochzeit wurde in Gabès gefeiert, in einem riesigen Innenhof, der zum Haus ihrer Eltern gehörte. An die sechzig Gäste schmausten, tranken und erzählten Geschichten, und als nach einem dreistündigen Festmahl der Ball eröffnet wurde, setzte ich mich neben die Braut und sah den Tanzenden zu, denn nicht nur mein Fuß schmerzte, auch mein Magen rebellierte; die Hauptspeise, eine tunesische Delikatesse mit Lammfleisch, war teuflisch scharf gewesen, und mir blieb für Sekunden die Luft weg, während mir Tränen übers Gesicht strömten. Livia hatte mir auf den Rücken geklopft und gekichert: „Morgen darfst du weinen, Schäfchen, wenn die Braut sich traut.“ ‑
Später dann telefonierte Marjiri mit ihrem Bruder Halim, der bei den Vorbereitungen des Sahara-Festivals half.
„Hoffentlich findet Halim bald die richtige Frau; er ist schon fünfunddreißig“, seufzte sie nach dem Telefongespräch und erzählte mir von ihrem Bräutigam und wie sie ihn kennengelernt hatte, während ich die ganze Zeit an den jungen Tunesier denken musste, der mich offenbar an der Nase herumgeführt hatte.

„Nur ein Kamel kann das Rennen gewinnen“, beruhigte Livi den aufgeregten Amir, der seinen vier Söhnen am Rand der Piste die Daumen drückte. Von weitem sahen alle Kämpfer gleich aus, alle waren tiefbraun, trugen das weiße Gewand der Araber und einen Mundschutz gegen den Staub. Auf dem Kamel, das als Erstes durchs Ziel raste, saß Halim. Jedenfalls wusste Papa Nasr sofort, dass sein Jüngster das Siegerkamel ritt.
„Ich erkenne ihn an seinen schwarzen Stiefeln“, sagte er, und Livi rief: „Köstlich, einfach köstlich!“
Halim kam auf uns zu, und bevor wir miteinander bekannt gemacht wurden und ich vor Überraschung in Ohnmacht fallen konnte, schloss mich der Wüstensohn vor Amirs und Janets verdutzten Gesichtern in seine Arme und sagte: „Was für eine Freude, Janet. Ich hatte schon geglaubt, wir würden uns nie mehr wiedersehen.“
„Glückwunsch auch zum Sieg, Ebn al-sarah“, lächelte Amir.
„Wieso Wüstensohn?“, fragte Livi.
„My nickname“, griente Halim, „weil ich von Kindesbeinen an mehr Zeit in der Sahara als zu Hause verbracht habe.“

Halim und ich haben ein Jahr später geheiratet. Unsere Hochzeitsnacht verbrachten wir in der Medina, in einem tiefen Tal inmitten hoher Berge von Seilen.

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