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mir fehlten. So kam etwa die
Aussage, dass es ja möglich sei, dass bald nur noch eine bestimmte Anzahl
Personen auf das Schiff gelassen werde. Oder dass gar die Inseln „abgeriegelt“
werden würden. Was für mich völlig abwegig klang, war für diese Frau schon
denkbare Wirklichkeit.
Nachdem wir uns im neuen Zuhause einigermaßen eingerichtet hatten, machten wir
unseren ersten Spaziergang zum Strand. Der Genuss des zwar frischen aber doch
wie immer einzigartigen Nordseeklimas ließ mich schnell meinen Frieden mit dem
neuen Reiseziel schließen. Der klare Himmel, die Wellen und die ersten Vögel
die sich hier schon wieder eingefunden hatten. Hier würde ich sicher zwei
Wochen zu mir selbst zurückfinden können, auch wenn es noch keinen grünen
Frühling zu sehen gab. Am Abend genossen wir noch ein üppiges Abendessen in
einem nahe gelegenen Restaurant. Dort war an diesem Abend die Zahl der Gäste
noch denkbar gering, aber man schien sich zu freuen, dass die ersten Gäste der
bald beginnenden Saison eingetroffen waren.
Nach dem ausgiebigen Ausschlafen am nächsten Morgen erwachte ich mit dreierlei
Dingen: einem mir vor die Nase gehaltenen Mobiltelefon meines Lebenspartners
mit einer neuen Corona-Meldung, einer SMS-Nachricht der Vermieterin auf meinem
eigenen Mobiltelefon und einem von ihr unter der Wohnungstüre durchgeschobenen
Ausdruck einer Meldung der Stadtverwaltung der Insel. Die Ministerpräsidenten
von SchleswigHolstein und Niedersachsen hatten sich am vorherigen Abend
darauft verständigt, mit sofortiger Wirkung die nächste Stufe der
Maßnahmentreppe zu erklimmen. Nur noch Geschäfte des täglichen Bedarfs durften
geöffnet haben. Restaurants und Cafés durften nur noch bis 18 Uhr geöffnet
sein und mussten einen hinreichenden Abstand zwischen den Gästen gewährleisten
können. Keine Besucher durften mehr auf die Nordseeinseln gelangen. Alle, die
sich bereits auf den Nordseeinseln befanden und dort nicht ihren ersten
Wohnsitz hatten, wurden „gebeten“ die Inseln zu verlassen.
Wir waren offenbar mit dem letzten „unbeschränkten“ Schiff am Vorabend auf die
Insel gelangt. Nun wurden wir freundlich hinausgebeten. Was hatte man sich nun
darunter vorzustellen? Unser erstes Frühstück des Aufenthalts war
dementsprechend wenig entspannend. Wir beschlossen weitere Informationen
abzuwarten und versuchten uns trotz allem einen schönen Tag auf der Insel zu
machen. Es herrschte das beste Sonnenwetter und es schien, als ließen sich die
anderen Gäste auf der Insel nicht besonders von den neuen Verordnungen
beeindrucken zu lassen.
Auf der Suche nach konkreten Informationen über unseren Aufenthaltsstatus auf
der Insel kam nur Chaos ans Licht. Es gebe noch keine rechtsgültige Anordnung
der Landesregierung, hieß es von der Stadtverwaltung. In Schleswig-Holstein
würden bereits Polizisten die Personen kontrollieren, die Schiffe besteigen.
In Niedersachsen wäre dies noch nicht der Fall. Die Aussage des örtlichen
Bürgermeisters war eher noch zurückhaltend: Es müsse der Landesregierung
bewusst sein, dass dies eine wirtschaftliche Katastrophe für die Insel
bedeute. Aber man würde sich fügen. Den Gästen, die sich bereits hier
befänden, könne man derzeit keine Aussage darüber geben, wie lange sie noch
bleiben dürfen. Er müsse aber auch darauf hinweisen, dass man nicht wisse, ob
denn die Züge überhaupt noch fahren würden. Da war es wieder: Der Gedanke war
schon angelegt.
Nervös kontrollierten wir nun regelmäßig den Fahrplan der Deutschen Bahn. Die
DB präsentierte auf ihrer Startseite auch gleich eine Mitteillung des
Bahnchefs: „Die Lebensadern des Landes bleiben in Betrieb!“. Jetzt rechnete
ich wirklich nur noch mit wenigen Tagen Bahnbetrieb. Offenbar war es ernst.
Wir überlegten, ob wir nicht bleiben und auf dem Festland im Notfall einen
Mietwagen ergattern könnten, mit dem wir die Heimat wieder erreichen können
würden. Die Bahn hatte immerhin mittlerweile ein kundenfreundliches
Ausnahmeverfahren eingeführt, welches es ermöglichte auch Fahrkarten mit
Zugbindung flexibel einzusetzen oder das Geld zurückzuerhalten.
Wir beschlossen vorerst noch zwei weitere Tage auf der Insel zu bleiben. Wir
liehen uns sogar noch ein paar Fahrräder, um die Insel zu erkunden. Der
Betreiber des Fahrradverleihs schien weder überrascht zu sein, uns zu sehen,
noch kurz vor seinem Ableben durch eine Atemwegserkrankung zu stehen. Im
Radio, welches an der Verleihtheke spielte, hörte ich nebenbei ein Interview
mit einer Corona-positiv getesteten Frau, die nun zwei Wochen in Quarantäne
leben musste: „Wie geht es Ihnen?“ „Mir geht es gut!“, sagte die Betroffene
lebensfroh.
Innerhalb von zwei Tagen schafften wir es immerhin einen Überblick über die
Insel zu bekommen. Schon ab dem zweiten Tag wurden es jedoch merklich weniger
Gäste, auf die wir trafen. Die meisten Geschäfte waren bereits geschlossen,
ein Abendessen nach 18 Uhr war nicht mehr möglich, die Cafés waren zwar
teilweise noch geöffnet, jedoch verwaist. Wir waren hin- und hergerissen
zwischen der Idee, wenigstens bis zum Wochenende zu bleiben und uns
durchzuschlagen so gut es eben ging, oder doch gleich am nächsten Tag nach
Hause zu fahren. Letztlich entschieden wir uns für die zügige Abreise. So
schön es auf der Insel auch war, wir konnten in dieser Ungewissheit, ob wir
vielleicht bald auf der Insel oder an der Küste festsitzen würden, keine
richtige Entspannung mehr finden.
War das nun der Zusammenbruch? Den hatte ich mir immer anders vorgestellt. Die
große Finanz- und Währungskrise über Nacht. Kein Bargeld mehr am Automaten.
Das aufgeschreckte Volk ratlos und chaotisch in den Straßen. Oder der Krieg,
die Atomwaffen, die nur noch von Computerprogrammen gesteuert in ihre Ziele
fliegen und den Tod, Zerstörung und Leid bringen. Aber was war dieses hier? Es
klaffte eine Lücke zwischen der berichteten Gefahr und der tatsächlich
sichtbaren Welt. Wir machten einen letzten Strandpaziergang. Die Natur außer
uns Menschen schien völlig unbeeindruckt. Die Vögel trippelten im Rhythmus der
Wellen und des Windes am Strand und gingen ihrem Treiben nach.
Im noch geöffneten Supermarkt auf der Insel fiel mir nun auch außerhalb des
Internets eine neue Sprachkultur auf. Das Wort Corona war natürlich schon
lange in aller Munde. Nun sagte man sich aber zur Verabschiedung vielfach
nicht mehr „Tschüss“, sondern „Bleib gesund!“. „Werde wieder gesund“ hätte
nicht viel Sinn ergeben, da die meisten gesund *waren*, soweit man es ihnen
ansehen konnte.
Mittlerweile stellte man sich unter meinen Mitmenschen und in Artikeln der
Massenmedien die neueste Frage: „Wann kommt die Ausgangssperre?“ Auch in
diesem Punkt waren die Gedanken längst vorbereitet. Man wartete nur noch auf
die Ausführung durch die Obrigkeit. Ausgangssperre? War das nicht etwas, das
nur zu Kriegszeiten und unter Militärherrschaft stattfand? Jetzt konnte
offenbar die Rettung vor Corona nur noch gelingen, indem jeder zu Hause
festgesetzt wurde. Zwang war ohnehin gerade groß in Mode. So wie in
„Zwangsimpfung“. In Dänemark wurde gerade der rechtliche Weg dafür frei
gemacht, um bei Verfügbarkeit eines Impfstoffes die ganze Bevölkerung notfalls
auch gegen ihren Willen zu „retten“.
Mein Freund Bernhard war in dieser Zeit fast der einzige Mensch aus meinem
sozialen Umfeld mit dem ich offene Worte zu den Vorgängen im Lande austauschen
konnte. Wir berichteten uns ausführlich über unsere Erlebnisse in diesen
Tagen. Wir beschlossen zu versuchen, uns der