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mütterliche Anweisungen für das Leben im Zeitalter der
Pandemie. Die Menschen müssten nun endlich verstehen, wie wichtig es sei,
sich zu züchtigen und gesellschaftliche Aktivitäten zu reduzieren. Wenn das
Volk nicht bald von selbst Vernunft annähme, würden Zwangsmaßnahmen durch
Vater Staat erfolgen. Wie misst die Politik eigentlich den Grad der Vernunft
in der Bevölkerung, fragte ich mich. Offenbar hatten die Agenten der
Bundesregierung aus dem ganzen Land Bericht erstattet, dass das Volk nicht
gehorsam war. Das Kind in mir, welches sich von dieser Rede angesprochen
fühlte, dachte sich: Entweder bin ich sofort folgsam und es ist sofort
langweilig oder ich mache mir noch einmal ein paar Tage einen Spass und werde
erst dann gezwungen. Na warum nicht noch einmal einen drauf machen?
Am Ende dieser ersten Urlaubswoche, die wenig entspannend war, war es nun
endlich so weit. Ein größerer Teil der Toto-Tippgemeinschaft in Bayern hatte
wohl gewonnen, der Samstag war es geworden, die AS wurde verkündet! Als ich
davon aus einer E-Mail von meinem Freund Bernhard erfuhr, der die Leitmedien
im Gegensatz zu mir mutig minutiös weiter verfolgte, wurde mir doch etwas
mulmig zu Mute. War da draußen schon Krieg? Patroullierten schon die
Polizisten und Soldaten, um mich am Verlassen des Hauses zu hindern? Nein
alles war halb so schlimm. Es war nur eine Ausgangsbeschränkung (AB) geworden!
Der Faschingsministerpräsident hatte irgendwie Wort gehalten und mir wurde
also keine Waffe vorgehalten, wenn ich vor die Tür ging. Aber ich durfte nur
noch aus „triftigen Gründen“ das Haus verlassen. Die da waren: Bargeld
abheben, Konsum tätigen, Arbeiten gehen, Sport treiben. All das am besten
alleine. Man durfte nun niemanden mehr treffen, mit dem man nicht im selben
Haushalt wohnte. Versammlungen jeder anderen Art waren untersagt. Dagegen
demonstrieren durfte man folglich auch nicht mehr. Das Grundgesetz war nun
auch in Quarantäne.
Das Leben im Kriegsmodus
Meine ersten Erkundungen im Freien waren eigenartig. Jeder schien erst einmal
die anderen zu erforschen, wie weit man nun noch gehen durfte, was gerade noch
genehm war und was nicht. Einfach mal locker mit dem Haushaltsgenossen
gemeinsam durch die Strassen ziehen ... musste man da nun gleich die
Meldebescheinigung vorhalten falls man peinlich von Amtsträgern befragt wurde?
Es stellte sich alles erst einmal als relativ harmlos dar. Die Hundertschaften
der Polizei schienen sich auf Stadtzentren zu konzentrieren. In der Republik
bereitete man dennoch schon einmal den Bundeswehreinsatz im Inneren zur
Errettung der Volksgesundheit vor. Der Einsatz "‘spezifisch militärischer
Waffen"’ (-> https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8231) nicht
ausgeschlossen. Ich kannte das ja alles aus diesen Filmen und Computerspielen
rund um die Zombieapokalypse. Man musste immer vorbereitet sein. Viele meiner
Mitmenschen begnügten sich bald damit, sich über große Distanzen im Freien
anzuschreien, wenn sie zufällig einen Bekannten oder Nachbarn trafen.
Die Gazetten des (Bayern-)Landes wussten nach einigen Tagen auch einige
Geschichten zur AB zu erzählen. Kein Verbot wird schließlich ernst genommen,
wenn einem nicht die praktischen Konsequenzen demonstriert werden, die ein
Verstoß zur Folge hat. Irgendwo war ein jugendliches Lagerfeuer gesprengt
worden, welches aus nicht den Haushalt teilenden Personen bestand. Aus München
wurde von einem uneinsichtigen Biertrinker berichtet, der sich gleich drei Mal
nacheinander in der Öffentlichkeit auf einer Bank niederlassen wollte. Rentner
etwa durften sich zwar noch auf einer Bank erholen. Sein Leben genießen auf
einer Bank war jedoch nicht mehr gelitten. Für jedes Mal hat er die dafür
fälligen 150 € Strafe für diese *neuartige* Ordnungswidrigkeit berappt. Zuletzt
sahen die Gesundheitskräfte keine andere Wahl mehr, als den Delinquenten für
einen Tag ins Gefängnis zu stecken. Vermutlich wurde er dort auch seines
Bieres beraubt.
Dieses Wochenende mit der AB war offenbar ein Kipppunkt für eine größere
Gruppe von Zweiflern in meinem sozialen Umfeld gewesen. Menschen aus dieser
Gruppe, die einige Tage zuvor noch eine übertriebene Berichterstattung und
Hysterie wahrgenommen hatten, waren nun in großen Zahlen in die Arena der
Alternativlosigkeit eingezogen. Es gebe keinen anderen Weg, als jetzt die
Notbremse anzuziehen. Sonst würden wir ein Blutbad anrichten. Meine Versuche
mit Vetretern dieser Gruppe eine inhaltliche Auseinandersetzung über die
Vorgänge zu führen, scheiterten weitgehend. Die Zahlen würden für sich
sprechen, wurde mir immer entgegnet. Ich hatte noch keine mich besorgenden
belastbaren Zahlen für Deutschland gehört. Auf meine sachlichen Nachfragen
wurde mir von schrecklichen Bildern berichtet. Ob ich sie nicht gesehen hätte.
Da waren Militär-LKWs in Italien, auf die reihenweise die Särge der Toten
geladen wurden. Friedhöfe auf denen man nicht einmal mehr ordnungsgemäß von
seinem Familienmitglied Abschied nehmen konnte. Verstörte Familien, denen nur
noch von Amts wegen eine Urne zugestellt wurde.
Ich hatte diese Bilder *nicht* gesehen. Ich versuchte erneut einen
Realitätsabgleich: Draußen auf den Straßen sah ich viele Menschen deren
Verhalten sich geändert hatte. Zum Teil aus sich selbst heraus, zum Teil
verordnet. Kranke waren nicht zu sehen. Immer noch hörte ich von niemandem,
der plötzlich schwer erkrankt oder verstorben war. Bislang schien es sich um
eine Krise auf den Bildschirmen der Bürger zu handeln. Und da ich die
„Sendung“ verpasst hatte, konnte ich nicht mitreden. Eine Auseinandersetzung
mit einem Bekannten über die Gefährlichkeit der Pandemie endete mit einer
Frage seinerseits: „Aber wie erklärst du dir die Bilder von den gestapelten
Särgen in Norditalien?“. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Fernsehbilder von
gestapelten Särgen zur Beweisführung für die Existenz einer gefährlichen
Pandemie geeignet waren. Aber die Wirkung dieser Bilder war ganz
offensichtlich stark. Die meiner Meinung nach beste Erklärung für diese
Sargstapel sollte ich erst Wochen später von einem opponierenden Virologen
hören. In Italien ist die Feuerbestattung der Toten unüblich und es gibt dort
nicht einmal genügend Krematorien, um eine größere Anzahl Toter zu verbrennen.
Aufgrund der erklärten Pandemie *mussten* nun jedoch alle Toten verbrannt
werden. So stapelten sie sich und keiner wusste wohin damit.
Eine Krise war nun auf jeden Fall da, egal, wie man es drehte und wendete.
Wenn es keine Viruskrise war, so war es eine Krise in den Köpfen der Menschen.
Der kurzzeitige griechische Finanzminister Varoufakis sagte einmal, dass der
Kapitalismus Krisen so produziert, wie er Mobiltelefone und Automobile
produziert. Und hier war sie nun also, die neueste, frisch vom Fließband: eine
Gesundheitskrise. Und ganz ähnlich wie die letzte große Finanzkrise war sie
äußerst abstrakt. Deshalb halfen wohl die Medien etwas nach mit Särgen,
Friedhöfen und Symbolbildern von Intensivstationen mit voller Besetzung.
Wo die Krise war, da war der Krieg nicht weit. Jedenfalls sprach der
französische Präsident dieser Tage in seiner Variante der Ansprache ans Volk
mehrfach von einem Krieg, in dem sich die französische Nation jetzt befände.
Der Vergleich passte ja an vielen Stellen ganz gut. Wenn man mit den Leuten in
den Krieg ziehen will, muss man erst einmal Kriegsbegeisterung herstellen. Die
maßlose Übertreibung und Angstmache in den Medien war also nur konsequent. Aus
Norditalien war inzwischen von Krankenhäusern