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die Rede, die sich im
„Kriegsmodus“ befänden. Dort würden nur noch jene Kranken voll behandelt und
an die Maschinen angeschlossen, die die größte Aussicht auf das Überleben
hatten. Mehrfach kam mir dieses sprachliche Bild von den Kriegskrankenhäusern
in den Internetkommentaren zum allgegenwärtigen Thema entgegen. Wer wählt
einen solchen Begriff für die Berichterstattung aus und was bezweckt er damit?
Meine Eltern durfte ich auch in der Katastrophe noch aus „triftigen“ Gründen
besuchen. Ein nachmittägliches Kaffeetrinken mit dem leckeren Kuchen aus
Mutters Küche erschien mir ein hinreichend dringendes Anliegen. Meine Eltern
wussten zu berichten, dass die Bevölkerung das Unglück der AB selbst über sich
gebracht habe. Da habe es einfach zu viele (wahrscheinlich vor allem junge)
Leute gegeben, die „unvernünftig“ waren. Die sich selbsterfüllende
Prophezeiung der Frau Dr. Merkel hat hier ganz offenbar Eindruck hinterlassen.
Das Volk hatte ganz einfach das Vertrauen der Regierung verloren. Mein Vater
hatte aus seinem jahrzehntelangen Genuss von Fernsehdokumentationen rund um
das Elend des Dritten Reichs nicht viel gelernt. Er war offenbar einem Drang
erlegen, alles das zu tun, was alle anderen (scheinbar) auch taten. „Nur nicht
zurückbleiben!“ schien die Devise zu sein. Obwohl er schon seit Jahren an
schweren Rückenschmerzen litt, hatte er seine ihm Abhilfe verschaffenden
Termine bei der Physiotherapie abgesagt. Weil niemand mehr hingegangen war und
andere Patienten sich telefonisch hatten verleumden lassen, um nicht mehr
kommen zu müssen. Sich den Tod in der leeren Physiotherapie einfangen: das
musste ja nun nicht sein.
Dieses sich Fügen meines Vaters in die eingeforderte Selbstkasteiung im
häuslichen Gefängnis führte im Ergebnis naturgemäß zu mehr Rückenschmerzen.
Mein Aufruf an meine Eltern, doch bitte den Fernseher auszulassen und sich
soweit möglich ihres Lebens zu erfreuen, blieb von ihnen weitgehend ungehört.
Sie behaupteten einerseits der Berichterstattung gar nicht zu folgen und
konfrontierten mich andererseits stets mit den neuesten Parolen, die
verbreitet wurden. War ich nun ein schlechter Mensch, weil ich mir wünschte,
dass sich meine Eltern ein erfülltes Leben machen und nicht in Angst vor einer
unsichtbaren Bedrohung leben? Es hatte fast den Anschein. Im neuen Weltbild
der Hysteriker im Lande beging ich ja schon eine Art Mordversuch, indem ich
unnötigerweise unter Umständen das Kronenvirus zu meinen Eltern getragen, oder
von ihnen mitgenommen hatte. Es bestand die Gefahr, dass ich sie schon in
einer Woche auf der überfüllten Intensivstation wiederfinden würde.
Auch die öffentlichen Verkehrsmittel kamen für meinen Vater nun nicht mehr in
Frage. Er hatte nur auf die Erklärung einer Pandemie gewartet. Er gab mir zu
verstehen, dass das unverantwortliche Verhalten anderer Mitbürger in Bussen
und Bahnen ihm schon seit Jahren ein Graus war. Die Pandemie war der letzte
Tropfen, der das Fass zum überlaufen gebracht hatte. Wofür hatte man denn sein
eigenes Auto? Er hat es zwar sein Leben lang niemals genutzt, um damit in die
Innenstadt zu gelangen. Aber es gibt ja immer ein erstes Mal. Vor allem wenn
es der Gesundheit dient. Überhaupt spielte das Automobil nach all der Kritik
der vergangenen Jahre gerade einen ungeheuren Vorteil aus. Was in Fragen der
Effizienz und des Umweltschutzes immer so schlecht war, war nun der größte
Vorteil. Mit einem tonnenschweren Ungetüm alleine und abgeschirmt und auch
bislang noch unbehelligt von behördlichen Repressalien, konnte man sich darin
sicher vor Killerviren oder Schimpf und Schande fortbewegen.
Ich diskutierte mit meinem Vater und versuchte zu ergründen, warum er nun sein
Verhalten geändert hatte, obwohl man bislang keine besonders erhöhte Gefahr
für die eigene Gesundheit erkennen konnte. Insbesondere, da er selbst zwar alt
war, aber sonst keiner besonderen Risikogruppe angehörte. Die Antwort war,
dass es ja noch keine Impfung gegen C gebe, deshalb sei es so gefährlich.
Meine Folgefrage, ob er sich denn in den vergangenen Jahren gegen Influenza
hatte impfen lassen, beantwortete er mit einem trockenen „Nein“. Allzu sehr
schien ihn das nicht zu irritieren. Denn diese Pandemie hatte ihre ganz eigene
und besondere Logik.
Nach dem ersten ausgangsbeschränkten Wochenende nahm ich
in der Öffentlichkeit bei meinen Mitmenschen immer mehr Psychosen wahr. Wer
hat nicht schon immer einmal auf die Gelegenheit gewartet sich vor einem
unsichtbaren und überall lauernden Feind fürchten zu können? Das war ein
Angstbild in dem eine Menge Energie steckte und worauf man bereits
existierende Ängste abbilden konnte. Eine Bekannte hatte einen Schnappschuss
auf einem Supermarktparkplatz gemacht, den sie mir zuspielte. Dort sah man
einen anderen Kunden mit einer Art aufgesetzter Gasmaske, der jeden seiner
eingekauften Artikel mit Hilfe eines professionellen Großkanisters
Desinfektionsmittel besprühte, bevor er ihn vom Einkaufswagen in seinen
Kofferraum überführte. Es handelte sich zwar um ein extremes Beispiel; doch
zeigte es plakativ, auf welchem Niveau das gesellschaftliche Leben sich gerade
abspielte. Hier brachen gerade Wunden auf, die schon zuvor da waren, und nun
ein Ventil gefunden hatten. Da gab es Angst vor Beschmutzung, Angst vor dem
Tod, Angst davor andere ungewollt zu verletzen und sicher noch vieles mehr.
Der Umgang unserer Gesellschaft mit der neuen Krankheit zeigte, dass sie
längst krank *war*.
Im Verbieten und Verordnen hatte sich unser Staat mittlerweile warmgelaufen.
Leider schaffte er es nach eigenen Angaben nicht nur nicht, seine Bevölkerung
unter erhöhter Virenbelastung zuverlässig an Beatmungsgeräte anzuschließen.
Auch Mundschutzmasken und Einweghandschuhe konnte er leider nicht beibringen.
Noch nicht einmal für Berufsgruppen, die es wirklich nötig hatten, wie
medizinisches Personal. Da war nun jeder selbst gefragt. Und erstaunlich viele
Mitbürger gelangten an den ein oder anderen Artikel, der den Zweck, wenn schon
nicht medizinisch so doch wenigstens symbolisch zu erfüllen vermochte. Es
erschienen mir meistens mehr Talismanne als Nutzgegenstände zu sein. Es fühlt
sich schließlich immer besser an, etwas zu tun, als hilflos und untätig einer
Gefahr ausgeliefert zu sein.
Von der Einordnung einer Pandemie
Mit der Ausrufung von Katastrophenfall und AB war für mich das Maß endgültig
voll. Wie sollte ich meine Mediennutzung herunterfahren, wenn mir im
Tagesrhythmus grundlegende Rechte entzogen und Nötigungen auferlegt wurden?
Dass unsere parlamentarische Demokratie kein ausgemachtes Mitmachsystem war,
war mir ja schon lange klar. Die Übung alle paar Jahre Kreuzchen auf
geduldigem Papier zu vergeben will ich mal nicht als besondere Beteiligung
einordnen. Dass die Fassadendemokratie in so kurzer Zeit völlig abbröckelte,
fand ich aber doch sehr beunruhigend. Also beschloss ich mich, wenn schon,
dann gezielt in die Informationsfluten zu stürzen und verschiedene Blickwinkel
auf dieses Königsvirus auszugraben, um zu einer aussagekräftigen Meinung
gelangen zu können. Vielleicht vertraute ich ja tatsächlich zu sehr auf meinen
Instinkt und die Gefahr war tatsächlich so groß, wie überall verkündet wurde.
Es zeigte sich, dass es mindestens zwei große Meinungslager gab. Auf der einen
Seite waren die bekannten Protagonisten wie der „Bundesvirologe“ Herr Drosten,
die Weltgesundheitsorganisation und das Robert-Koch-Institut (RKI). Diese
Akteure traten im Dauerlauf in den Massenmedien auf und verkündeten die
neusten „Zahlen“, die diese Gesundheitskrise wie nichts sonst zu beherrschen
schienen. Auf