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Er guckt nach rechts, schräg durch die Windschutzscheibe. Obwohl ihm die Pappeln entlang der Landstraße die Sicht immer wieder unterbrechen, sieht er es deutlich. Was ist das? Kurz richtet er seinen Blick zurück auf die Straße und dann wieder nach rechts zu dem Dach. Das ist doch unmöglich. Das kann doch nicht sein. Das gibt es doch nicht.
Sein erster Gedanke ist, dass es eine Reflektion ist, weil die Sonne so tief steht. Doch schnell erkennt er, dass es das nicht ist. Er kommt dem Bungalow näher und sieht, dass er sich nicht täuscht. Da ist etwas Unmögliches auf dem Dach.
Ganz nebenbei fällt ihm auf, dass die Autofahrer, die ihm entgegen kommen, wohl nichts ungewöhnliches sehen. Keiner guckt nach links herüber und auch keiner bremst ab.
Aber er bremst auf Höhe des Bungalows. So stark, dass es für jeden nachfolgenden Wagen unmöglich ist, einen Auffahrunfall zu vermeiden. Zum Glück gibt es keinen nachfolgenden Wagen und er kommt unfallfrei auf dem Seitenstreifen zum stehen.
Mit großen Augen guckt er sich den Bungalow und das Unmögliche auf dem Dach an. Er will immer noch nicht glauben, was er sieht. Ohne seinen Blick abzuwenden zieht er den Zündschlüssel ab und geht langsam auf den Bungalow zu. Je näher er kommt, je mehr nimmt ihm die hohe Hecke aus Zypressen die Sicht auf das flache Dach. Er geht angespannt um die Hecke herum, zur Einfahrt des Grundstücks. Es ist noch da. Er spinnt nicht. Es ist noch da. Wie ist das möglich?
Soweit er auf das gepflegte Grundstück schauen kann, entdeckt er niemanden. Haben die Bewohner dieses Grundstücks schon bemerkt was auf ihrem Dach ist? Wenn sie es wissen, wie gehen sie damit um? Wenn sie noch nichts bemerkt haben, wie werden sie reagieren, wenn er sie drauf aufmerksam macht? Soll er sich überhaupt bemerkbar machen und sie darauf aufmerksam machen?
Es kommt langsam, fast schon gemütlich, an die Dachkante. Mein Gott, hoffentlich springt es nicht runter. Doch weglaufen kommt für ihn nicht in Frage, noch nicht. Seine Faszination und Neugier halten ihn an der Einfahrt fest.
Mutig drückt er auf den Schellenknopf. Nichts. Auch auf dem Dach geschieht nichts. Er drückt noch einmal, diesmal etwas länger. Der Toröffner summt und er ist sich plötzlich nicht mehr sicher, ob er wirklich auf das Grundstück gehen soll. Nur seine Neugier treibt ihn voran. Vorsichtig, den Blick immer zu dem Dach gerichtet, öffnet er das Tor und schleicht auf das Grundstück. Noch immer ist niemand zu sehen.
Wie kann er in sicherem Abstand zum Gebäude, zur Haustür gelangen? Am Rand des kurzgeschorenen und leicht braunen Rasens, immer an der Hecke entlang, das ist eine Möglichkeit. Auf Höhe der Haustür müsste er 20 Meter, von der Hecke zur Haustür, laufen. Er blickt abwechselnd auf das Dach und auf den Boden, um nicht zu stolpern. Erschrocken erkennt er, dass sein Weg vom Dach aus genau verfolgt wird. Auf dem Rasen steht kein Baum und kein Strauch, hinter dem er sich hätte verstecken können. Er spürt, wie er zu schwitzen beginnt, was nicht alleine an den sommerlichen Temperaturen hier auf der Insel liegt.
Wenn es ihm weiter auf dem Dach nachfolgt, dann steht es genau über der Haustür, wenn er darauf zuläuft. Was, wenn die Haustür zum Bungalow nicht sofort geöffnet wird und es genau dort vom Dach springt? Diese Aktion ist ihm nun doch zu riskant.
Warum kommt denn hier niemand? Es muss doch jemand auf dem Grundstück sein, sonst hätte das Tor nicht geöffnet werden können. Oder hat das auf dem Dach den Toröffner ausgelöst. Nein, diesen Gedanken will er gar nicht weiter denken. Vielleicht sind die Bewohner aus Angst oder zur Sicherheit, alle im Gebäude? Aber wie kommt er in das frisch gestrichene Gebäude, dessen Fassade im Sommerlicht sogar etwas glänzt? Schon gar nicht unbemerkt, wenn jeder seiner Schritte vom Dach aus verfolgt wird. Warum kommt denn hier niemand? Man könnte ihm ja wenigstens ein Zeichen geben, doch an den Fenstern ist nichts und niemand zu sehen.
Als er an der Stelle, von der aus er zur Tür laufen müsste, ankommt, tritt ein was er befürchtet hat. Es steht genau über der Haustür und beobachtet ihn. Er hockt sich, im Schatten der hohen Hecke, nieder und wartet ab. Vielleicht verliert es ja das Interesse an ihm, wenn er sich nicht mehr bewegt und geht wieder auf dem Dach entlang. So scheint es auch. Er wird nicht mehr beobachtet, doch es bleibt genau über der Tür stehen. Wenn er jetzt läuft wird er sicher wieder beobachtet und wenn es will, ist es mit einem Satz unten und steht vor der Tür. Was dann? Er muss hier warten, bis es wieder auf dem Dach entlang schleicht, am Besten, bis es am anderen Ende angekommen ist.
Langsam ist es unbequem in der Hocke. Vielleicht sollte er doch einfach zurück zum Auto gehen und davon fahren? Alles vergessen. Einfach vergessen und niemanden davon erzählen? Anderseits wird er es nicht vergessen können und den Rest seines Lebens immer wieder spekulieren, wie so etwas möglich ist. Nein, er will eine Antwort, er will eine Lösung, wie das Unmögliche hier möglich wurde. Er wird warten.
Die Minuten vergehen endlos langsam und inzwischen sind seine Beine eingeschlafen. Auf dem Dach tut sich nicht viel. Es bewegt sich ein bisschen, aber es bleibt auf der Stelle.
Sein Hemd ist durchgeschwitzt, seine Knie tun ihm weh und er fragt sich, wie lange er hier noch warten soll. Es ist erst früh am Abend, doch was geschieht, wenn die Dunkelheit hereinbricht? So lange will er hier auf keinen Fall hocken bleiben. Dann bleibt die mysteriöse Erscheinung für ihn halt ungeklärt.
Doch noch ist es nicht dunkel und er hoffte das Geheimnis dieser Erscheinung kennen zu lernen. Er suchte nach einem kleinen Stein, ohne aus der Hocke aufzustehen. Vielleicht bewegt es sich weg, wenn ich einen Stein auf das Dach werfe. Doch er findet in diesem gepflegtem Grundstück keinen Stein und ist sich auch nicht sicher, ob er bis auf das Dach werfen könnte. „Ich hab' s“, sagte er hörbar zu sich selber. Er steht aus der Hocke auf, streckt die