Das Unmögliche auf dem Dach - Page 2

Bild von Bernd
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schmerzenden Knie und schleicht an der Hecke entlang weiter auf das Grundstück. Entweder er würde hinter dem Haus jemanden oder einen Eingang in den Bungalow finden, oder, er könnte schneller als sein Gegner auf dem Dach, zur Haustür laufen und schellen.

Ihm fällt auf, dass ihm jetzt nicht gefolgt wird. Er beschleunigt seinen Gang und die letzten Meter, hin zu einem Anbau, den er erst jetzt sehen kann, läuft er. Der kleine Anbau ist nicht so weiß gestrichen wie der Bungalow und sieht aus, als wurde er erst vor wenigen Tagen fertig gestellt. Auf dem kleinen Fenster sind noch Spritzer von Mörtel, wie es bei gerade gebauten Häusern oft vorkommt. Er guckt zum Dach, ob er verfolgt wurde und als er die Erscheinung nicht sieht, lugt er vorsichtig in den Anbau hinein. Die sommerlichen Sonnenstrahlen scheinen durch das dreckige Fenster und er kann deutlich erkennen, dass der Anbau vollkommen leer ist. Gegenüber dem Fenster ist eine geschlossene Brettertür. Ihm kommt der Gedanke, dass er in diesem Anbau sicher wäre, doch wofür. Er könnte genau so gut zurück zu seinem Auto gehen und wäre dort auch sicher. Der Anbau ist für ihn uninteressant.

Er bleibt erstarrt, als er sieht, dass das Unmögliche ihm auf dem Dach gefolgt ist und ihn nun anguckt, wie er überlegend an dem Neubau steht. Er ist auch deshalb so erschrocken, weil er dem Unmöglichen noch nie so nahe war. Wieder wird er genau beobachtet. Seine Angst schnürt ihm die Kehle, denn die Erscheinung könnte hier vom Dach herunter springen und stände direkt vor ihm. Sie würde ihm jeden Fluchtweg abschneiden. Er macht einen Schritt rückwärts und merkt, dass er mit dem Rücken an der Wand des Anbaus steht. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn.

Vielleicht sollte er einfach ganz schnell am Haus entlang zum Eingangstor und zu seinem Auto laufen. Doch er hat den Eindruck, dass die eigentlich unmögliche Erscheinung auf dem Dach wesentlich schneller laufen kann als er. Und ihn trotz des Zeitverlustes durch den Sprung vom Dach, locker einholen wird, bevor er in seinem Auto sitzt.

Er passte einen kurzen Augenblick ab, als die Erscheinung den Blick von ihm abwendet, und springt rüber zu dem Bungalow. Er presst sich an die Hauswand und hofft, dass er nicht gesehen wird. Er lauscht, ob sich auf dem Dach etwa tut. Nichts. Vorsichtig bewegt er sich, immer an die Hauswand gepresst, auf die Haustür zu. Als er an einem Fenster vorbei muss, überlegt er, ob er sich bücken und unterhalb des Fensters weiter schleichen soll, so wie es in Krimis immer gemacht wird. Doch er entscheidet sich, aufrecht vor dem Fenster stehen zu bleiben und hinein zu gucken. Er will ja nicht ungesehen davon schleichen, sondern die Besitzer dieses weißen Bungalows treffen und das Geheimnis lösen. Aber im Bungalow kann er niemanden sehen. Alles ist sehr aufgeräumt und die Einrichtung sieht hochwertig und neu aus. Zügig schleicht er weiter in Richtung Haustür und hofft inständig, dass doch jemand zuhause ist.

Alle paar Meter unterbricht er sein Schleichen und lauscht, ob er etwas von der Erscheinung auf dem Dach hört. Nichts. Endlich hat er die Haustür erreicht und schellt. Er ist nervös und am Zittern. Sein Hemd ist durchgeschwitzt, sein verschwitztes Haar ist auf der Stirn festgeklebt und über seine Wangen laufen Schweißperlen. Mit knallrotem Kopf steht er unruhig vor der Haustür, so, als müsste er dringend auf die Toilette. Doch nichts geschieht. Stille. Weder im Haus noch auf dem Haus ist ein Laut zu hören. Er schellt noch einmal. Er schellt Sturm, denn er gerät in Panik. Ihm ist bewusst, dass die Erscheinung auf dem Dach in jedem Moment über der Haustür sein kann und sogar hier vom Dach springen könnte. Dann stände er in einer Falle.

„Hallo, hallo Sie da“, hört er endlich einen Menschen rufen. Nicht aus dem Haus, sondern von dort, wo der Anbau ist. Er ist erleichtert, er ist nicht mehr alleine. Schnell dreht er sich um und sieht einen jungen Mann in einem dreckigen Blaumann auf sich zukommen. Er traut sich nicht, vom Bungalow weg zu gehen und wartet, bis der junge Mann bei ihm ist. „Entschuldigung“, stammelt er. Sein Herz rast, den jetzt wird das Geheimnis gelüftet. „Was machen Sie hier?, Zu wem wollen Sie“, wird er freundlich gefragt. Es dauert eine Zeit, bis er sich beruhigt hat und antworten kann. „Ich habe auf dem Dach etwas seltsames gesehen, flüstert er fast und zeigt mit dem Finger nach oben. Aber Sie scheinen es ja zu kennen, Sie haben keine Angst.“

„Was auf dem Dach?, was soll da sein?“
“Haben Sie es noch nicht gesehen?“ fragt er ungläubig und bekommt es wirklich mit der Angst zu tun.
Der Besitzer geht ein Stück vom Haus weg und guckt auf das Dach. „Ich sehe nichts.“
Jetzt beginnt er wirklich an seinem Verstand zu zweifeln. Bin ich schon durchgedreht? Vielleicht ist es besser, ich sage nichts von der Erscheinung und gehe wieder?
„Kommen Sie selber gucken. Hier ist nichts“, sagt der junge Mann und deutet ihm an, dass er vom Bungalow weg gehen soll um selber auf das Dach gucken zu können. Ganz vorsichtig folgt er der Einladung. Tatsächlich, da ist nichts mehr. Die unmögliche Erscheinung ist nicht zu sehen. Er ist völlig ratlos. Was soll er jetzt sagen? Was soll er jetzt machen? Er wünscht sich, er könnte sich in Luft auflösen, einfach weg sein. Doch das ist genau so unmöglich wie das, was er auf dem Dach gesehen hat. Mit offenem Mund und hochrotem Kopf steht er neben dem Arbeiter und ist fassungslos. Dieser bleibt einfach stehen und guckt weiter auf das Dach. „Nein, ich sehe wirklich nichts.“ Wie sah es denn aus?“
Ob der Besitzer ihn nun veräppeln will oder ob die Frage ernst gemein ist, ist ihm nicht klar. Er ist sprachlos. Die Situation ist ihm peinlich. Der junge Mann wartet auf seine Antwort, doch er bekommt sie nicht. „Kommen Sie mal mit, hinterm Haus gibt es Bier, nehmen Sie erst einmal ein Flasche, Sie sind ja ganz durcheinander.“

Erleichtert folgt er dem Besitzer am Bungalow entlang, dann quer über eine Weide hin zu einem alten Stall. So sehr daneben kann ich nicht sein, hier gibt es wirklich Pferde. Und dann sieht er es. Ja, das ist es. Ich bin also doch nicht durchgedreht. Ihm viel ein Stein vom Herzen. Er will dem Besitzer nun zeigen, was er auf dem Dach gesehen hat, doch dann hält er plötzlich inne. Vielleicht doch noch nicht. Erst einmal das Bier trinken und abwarten, wie der Typ so tickt.

Der Besitzer des Bungalows erzählt ihm, was er mit dem alten Stall vor hat und was er gerade baut. Sie wohnen erst seit 4 Monaten hier und haben auf dem Grundstück noch viel vor. Auch die große Weide hinter dem alten Zaun haben sie gekauft und wollen eine Reitschule eröffnen. Doch bis dahin ist noch so viel zu tun, so dass es dieses Jahr nichts mehr damit wird. Der junge Reitlehrer redet etwas viel. Auch wenn er Menschen, die ständig reden eigentlich nicht mag, ist ihm der jungen Mann sympathisch. Er überlegt, wann er ihn auf die Erscheinung ansprechen kann. Als das Gespräch unterbrochen wird, weil der Reitlehrer zwei Flasche Bier aus einer alten Badewanne mit kaltem Wasser holt, ist es passend.
„Ich will ihnen sagen, warum ich auf ihrem Grundstück bin. Ich habe von der Straße aus etwas auf dem Dach ihres Bungalows gesehen, was es eigentlich nicht gibt.“ Der junge Mann schweigt. Er erwartet, dass der junge Mann nachfragt und das Schweigen bringt ihn aus seinem Konzept. „Also, ich sah da etwas auf dem Dach, also so was habe ich noch nie gesehen. So was kann es eigentlich nicht geben“, redet er um den heißen Brei herum. „Ich war neugierig und wollte es genau wissen. Darum schlich ich auf ihr Grundstück.“ Das Schweigen des Besitzers bringt ihn aus der Fassung. „Also, da war ein Pferd auf dem Dach“, platz er laut heraus. Er fühlt sich befreit und kann die Antwort des Besitzers kaum abwarten. Doch es herrscht Ruhe. Der Besitzer schweigt, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, dass auf einem Dach ein Pferd ist. Jetzt fragt er sich, ob er wirklich noch alle Tassen im Schrank hat. Er berichtet etwas unmögliches, einmaliges und der junge Mann bleibt stumm sitzen, so als ist es etwas langweiliges, alltägliches. „Da war ein Pferd auf dem Dach ihres Bungalows!“ schreit er den Besitzer fast an. „Ich glaube es war dieses Pferd, das da vorne in der Koppel“ und zeigt auf ein braunes Pferd mit einer weißen Mähne.

„Ja, das kann sein, das kommt öfters vor“, erklärt ihm der Reitlehrer ganz ruhig.
Ich glaube ich habe doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Oder ist das hier irgendein Film, in den ich geraten bin? Er ist schlicht aus dem Häuschen. Die Reaktion des Besitzers ist ja noch verrückter, als das, was ich gesehen habe. Es ist wohl das Beste, ich haue hier ganz schnell ab. Wer weiß, was es hier noch für unmögliche Sachen gibt. Der Besitzer merkt, dass sein Besucher ziemlich verwirrt ist.
„Sie meinen Viktor, unseren Wallach. Das macht der wirklich gerne. Seit er einmal zufällig über eine Rampe, die wir am Haus angestellt hatten, auf das Dach kam, geht er immer wieder rauf. Er genießt wohl die weite Aussicht, die er von da oben hat.“

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Kommentare

09. Nov 2019

Sehr gern gelesen !
HG Olaf

09. Nov 2019

Sieht meine Putzfrau wütend rot -
Flücht ich aufs Dach in meiner Not ...

LG Axel

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