10 Lebenssplitter
Taufpinkeln
Ich war schon als Baby ein ziemlicher Individualist, wie es scheint.
Oder besser: ein unverbesserlicher Dickschädel, wie mir – sehr eindrucks-voll – zuhause immer wieder versichert wurde. Mit meinen Meinungsäußerungen konnte ich schon nicht hinter'm Berg halten, als ich des Sprechens noch nicht einmal mächtig war.
Folgendes wird reportiert:
Ich sollte getauft werden. Mein Vater kam aus einer evangelischen Familie, in der nur einer seiner Brüder missionarischen Eifer entwickelte. Alle anderen waren zwar auch getauft – aber: na und? Meinem Vater war es also völlig egal, in welchen Glauben hinein ich, seine Ütze (Kröte), nun getauft würde.
Seine Mutter, meine Oma Thea, hätte es gerne gesehen – wohl aus nostalgischen Gründen oder aus Opposition – dass ich als evangelische Christin aufwachsen würde. Dem entgegen stand aber nun die glaubensinhaltsreiche katholische Tradition meiner schlesischen Mutter und Großmutter. Da ging gar nichts außer dem katholischen Glauben, das steht sogar als Klausel in den Trauungsunterlagen der Katholischen Kirche, dass „Abkömmlinge“, die aus einer solchen „Mischehe“ (so heißt das tatsächlich!) hervorgehen, auf alle Fälle im katholischen Glauben erzogen werden müssten. Würden die beiden Brautleute das vor der Eheschließung nicht unterschreiben, würde ihnen der eheliche Segen sogar verweigert (was man später draus macht, entscheidet die Zukunft ;o)).
Der Ausweg lautete: Ich sollte heimlich getauft werden, also ohne großes Brimborium und gigantisches Familienfest. (Das übrigens zog sich quasi dogmatisch durch mein ganzes Leben, aber das ist eine total andere Geschichte, auf die ich - vielleicht - anderenorts noch einmal zurückkomme.)
Heimlich getauft zu werden bedeutet, man macht ganz harmlos einen Spaziergang mit Mama, Papa, Kinderwagen mit heidnischem Inhalt, trifft unterwegs ganz unbeabsichtigt Oma Anni (Mutter meiner Mutter, die meine Taufpatin zu werden gedachte), stößt zufällig vor dem katholischen Kirchengebäude auf den katholischen Pfarrer, der ebenso zufällig gerade Zeit hat und selbstverständlich dieses arme Heidenkind vor der Verdammnis der Seele retten muss und kommt nach vollbrachter Heimlichkeit also mit einer kleinen Katholikin zurück ins evangelische Nest. Wenn man so will, ein Kuckucksei.
Was ich von dem Ganzen Prozedere hielt, soll ich aber schon sehr deutlich selber – und nonverbal - in der Kirche ausgedrückt haben. Mir wurde gerne erzählt, worin meine Ketzertat bestand: Unmittelbar nach vollzogener Taufe soll ich dem Herrn Pfarrer - der noch das Weihwasserkännchen in der Hand hielt - ausgiebig auf seine Nachkriegsschuhe gepinkelt haben.
Pfarrer Neisen allerdings soll so cool reagiert haben, wie ich ihn später mit ausgereifterem Bewusstsein noch öfter erlebt habe. Er soll zwar erst ungläubig geschaut, dann aber die Situation gerettet haben mit dem Spruch: „Na, dann ist ja jetzt der Teufel wohl endgültig ausgefahren.“
Oma Anni blieb da lebenslang anderer Ansicht...
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