Weglaufen

Bild zeigt Monika Jarju
von Monika Jarju

Verschwinden, abhauen, weglaufen, das Mädchen hat es selbst einmal ausprobiert, da ist es fünf oder so. Es geht einfach über den Hof durch den Hausflur hinaus auf die Straße. Es dreht sich nicht um zum Küchenfenster, wo die Großmutter hantiert. Es ist früh am Vormittag, die Sonne scheint und es ist warm. Das Mädchen verspürt eine unbekannte Vorfreude und macht sich auf. Es geht die Straße entlang bis zur Ecke, überquert die Fahrbahn und bleibt vor dem Schaufenster der Drogerie Kober stehen. Hier kauft die Mutter immer ein. Daneben der Friseur, es erkennt den großen Stuhl, auf dem es sonst sitzt, scheu, und warten muss, bis Vaters Haare geschnitten sind und der Herrenfriseur die Kleine dran nimmt. Ziellos läuft das Kind weiter. An der Ecke zur Allee, vor dem Eingang des Postamts, bleibt das Mädchen stehen und hört Autos vorbeirauschen. Eine freudige Aufregung erfasst es, ein neues Gefühl. Es biegt in die Allee ein, läuft geradeaus weiter bis zum Kaufhaus, in das die Mutter es mitnimmt, in die Wäscheabteilung im Hochparterre, wo sie weiße kunstseidene Unterröcke aussucht. Das Mädchen staunt und freut sich, wie weit es alleine kommt. Ohne Angst geht es weiter. Wie es zurückkommt, ob die Großmutter ihm nachläuft oder es einfach umkehrt, ist ungewiss.

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