Gefährlicher Sommer (Teil 21; Text 3) - Page 3

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von Annelie Kelch

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ja, du und ich, wir beide sind die Ältesten auf diesem Hof.“ Und heute fügte er gewiss hinzu: „Dir macht die Hitze wohl auch sehr zu schaffen, alter Junge?! Wer weiß, wie lange wir beide diese Sonnenglut noch ertragen.“

„Katja, ich weiß wirklich nicht, wie es weitergehen soll“, seufzte Hannes plötzlich. „Dieser Kripomann, von dem du mir erzählt hast, dieser Herr Hase, lässt sich auf Lachau doch überhaupt nicht mehr blicken.“
„Bitte wer? Herr Hase?“, fragte ich erstaunt, bevor ich losprustete. „Ja, oder Hirsch. Sei verdammt noch mal nicht so albern“, brummelte Hannes und sah mich kopf­schüttelnd an.
„,Fuchs' heißt dieser Mensch“, lachte ich.
„Dann eben Fuchs“, sagte Hannes unwirsch. „Ob Fuchs oder Hase, wen interessiert das! Fakt ist doch, dass es hier einen Toten gegeben hat und dass der Mörder ein zweites Mal zugeschlagen hat, ohne dass daraufhin etwas Entscheidendes passiert ist.“
„Herr Fuchs wollte wiederkommen“, erinnerte ich ihn. „Ich bin mir absolut sicher, dass er Helge verdächtigt, diese Verbrechen begangen zu haben. Begreif doch endlich, Hannes: Er kann Helge nicht das Geringste nach­weisen, weil dieser Mistkerl für beide Tatzeiten ein Alibi hat. Deshalb müssen wir die Sache wieder in die Hand nehmen, damit er und sein Komplize sich verraten.“
„Was sollen wir denn noch alles anstellen?“, seufzte Hannes aber­mals. „Der wiegt sich doch in absoluter Sicherheit.“
„Du hast Recht“, gab ich unumwunden zu. „Und deshalb müssen wir Herrn Fuchs nach Lachau locken! Du wirst sehen, dass sich Helge durch dessen bloße Anwesenheit in die Enge getrieben fühlt.“
„Und wie willst du es schaffen, dass sich das Füchslein in unseren ruhigen, idyl­lischen Bau begibt?“, fragte Hannes pathetisch und unterstrich seine Worte mit einer großzügigen Handbewegung, als wolle er die absolute Abendstille auf dem Gut ermessen, die sich zweifelsohne seit einigen Stunden eingestellt hatte, wenn man von dem nervigen Gequake der Frösche, dem ununterbrochenen Gesang der Zikaden, die überall umherschwirrten, dem müde gewordenen Zwitschern der Vögel und vereinzelten Muhrufen der Kühe einmal ab­sah.
„Nun, er wird Post bekommen – genau wie Helge“, sagte ich. „Allerdings erhält Helge unsere Anweisungen erst dann, wenn Herr Fuchs auf Lachau einge­troffen ist. Das wird die Wirkung unserer Botschaft ungemein erhöhen. Sollst mal sehen, wie nervös der gute Helge, der Schrecken des Lachauer Forstes und aller jungen Mädchen, wird.“
Hannes versetzte mir mit einem Mal einen ziemlich rabiaten Stoß in die Rippen und wandte seinen Kopf in jene Richtung, aus welcher uns eine sanfte Abendbrise den strengen, würzigen Duft von spinatgrünen Fladen zutrug und unmissverständlich daran erinnerte, dass in nicht allzu weiter Ferne die Kuhställe lagen. Heiner hatte sich auf der Torschwelle zum Stall niedergelassen. Er lüftete seinen alten braunen Hut mit der breiten Krempe, den er vorzugsweise in den heißen Sommermonaten während der Feldarbeit zu tragen pflegt, und wischte sich mit dem Unterarm das schweißnasse Haar aus der Stirm. Dann ließ er unvermittelt seinen Kopf tief auf die Brust sinken und verharrte in dieser kläglichen Haltung, bis Helge aus dem Kuhstall trat und sich neben ihn setzte.
„Komm, Katja! Schnell!“ Hannes zog mich vom Steg, und ich folgte ihm in den Schilfgürtel, der das unbefestigte Ufer umgab. Obgleich die Entfernung zwischen Teich und Kuhställen nicht gerade gering war, konnten wir deutlich erkennen, dass Helge fieberhaft auf Heiner einredete, in einer Art und Weise, wie sie Heiner offenbar ganz und gar nicht zu behagen schien, denn er wandte mehrmals sein Gesicht von Helge ab und blickte demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung. Als Helge den Melker schließlich am Arm packte und zu schütteln begann, sprang Hannes mit empörten Gesichtsausdruck aus unserem Versteck hoch und fuchtelte wild mit seinen Armen herum. Es sah fast so aus, als wolle er sich jeden Moment auf Helge stürzen, um Heiner zu verteidigen.
„Nicht, Hannes! Lass uns abwarten! Er wird es nicht wagen, Heiner ernsthaft zu verletzten“, wisperte ich aufgeregt und zog Hannes mit aller Kraft wieder in Deckung. Hannes gab einen Laut von sich, der sich wie eine akustische Momentaufnahme von Toms Geknurre ausnahm. „Dieser elende Schurke“, stieß er wütend hervor.
Heiner war inzwischen aufgestanden und schubste Helge, der ihm erneut gefährlich nah auf die Pelle gerückt war, von sich fort. Auf eine Gegenwehr von Heiner offenbar nicht vorbereitet, stolperte der smarte Hoferbe und landete auf allen Vieren im Dreck. Diesmal stieß Hannes einen leisen Jubelschrei aus, als hätte sein Fußballverein das entscheidende Tor zum Sieg geschossen. Die beiden Kontrahenten fuhren mit einem Mal herum und starrten wie verabredet in unsere Richtung. Wir krochen noch tiefer in das grüne Dickicht hinein und duckten uns im Schutz des Schilfs. Was dann geschah, verschlug uns buchstäblich die Sprache: Axel Kröger betrat die spannungsgeladene, ländliche Szenerie, genauer gesagt, kam er auf Rhabarber, seinem Lieblingshengst, dahergeritten, und kaum, dass Heiner ihn erspäht hatte, streckte er Helge hilfreich seine Hand entgegen. Helge ging sofort auf diese Geste ein. Er ergriff, überaus dankbar, wie es von Weitem den Anschein hatte, theatralisch Heiners schwielige Pranke und ließ sich schwerfällig von ihm auf die Füße stellen. Offenbar hatten die Hitze und die Arbeit im Stall auch an seinen Kräften gezerrt, und ich konnte mir gut vorstellen, dass es aufgrund des letzten Besuchs von Herrn Fuchs mit seinem Nervenkostüm nicht gerade zum Besten stand.
„Also das, was wir soeben mit eigenen Augen gesehen haben, war kein Spaß, Katja, auch, wenn es jetzt noch so sehr danach aussieht. Lass dich bloß nicht täuschen“, wisperte Hannes mir aufgeregt ins Ohr.
Wir erspähten durch den gelichteten Schilfsaum, wie Hannes' Vater von seinem schweißnassen Gaul stieg, der vor lauter Hitze aus den Nüstern dampfte, und mit beiden eine Unterhaltung begann. Rhabarber wiehert plötzlich, warf den Kopf zurück und stampfte mit den Hufen auf den Boden, als wollte er gegen irgendetwas protestieren. Kluges Tier!
Im Schneckentempo und im Gespräch vertieft, näherten sich die drei Männer den Pferdeställen. Hannes und ich hatten uns der Länge nach ausgestreckt, so dass man auch nicht das kleinste Zipfelchen von uns entdecken konnte. Ein paar abgebrochene spitze Rohrkolben bohrten sich in meinen nackten Bauch, dort, wo sich meine Bluse ein wenig hochgeschoben hatte, und verursachten dermaßen starke Schmerzen,

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