Heute habe ich etwas Ungesetzliches im Visier: Ich möchte einen Gefangenen befreien! Seit vielen Jahren bekomme ich anonyme Briefe von ihm – ich weiß also nicht genau, wo er inhaftiert ist. Aber ich habe einen Verdacht! Sein Verlies muss sich in einem Hochsicherheitstrakt befinden!
Wie werde ich vorgehen? Mein Schlachtplan muss kompliziert sein, damit ich Erfolg haben werde. Die erste Frage ist: Wie wird er bewacht? Anscheinend sieht sein Gefängnis wie eine Zwiebel aus – ihn umgeben sieben Schalen! Aber er muss doch von dort rauszuholen sein ...
Irgendwie habe ich das Gefühl, daß es sich um jemanden handeln muss, der mir sehr ähnlich ist. Das macht die Sache nicht eben leichter. Aus seinen Schreiben geht hervor, daß er Angst hat, sie aber nicht zeigen will/darf/kann, weil man ihn sonst auslacht – und daß er sich in staatlichem Gewahrsam befindet. Nur ich allein könne ihm zur Flucht verhelfen ...
Nun, ich bin ja kein Unmensch – gerade ich nicht! Täglich ignoriere ich mich, zugunsten anderer, selbst! Ich stehe zurück, wo ich entschlossen vorangehen sollte, ich tolereriere das Nichttolerierbare, ich schweige, weil viele schweigen – auch solche, die noch nie etwas von den berühmten 3 Affen gehört haben.
So bin ich also bestens geeignet, jemandem aus der Patsche zu helfen? Keine Ahnung! Es könnte sich ja um einen schwer Kriminellen handeln, der sich dort, wo er sich befindet, nur deshalb befindet, weil er gegen ein geschriebenes oder ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen hat.
Immer wieder erwähnt dieser unheimlich Fremde, ich sei einer Gehirnwäsche unterzogen worden und könne ihn deshalb nicht finden, hinter dem Stacheldraht seiner Isolation. Trotzdem warnt er mich gleichzeitig vor Tretminen! Sie gehen los, wenn du Grenzen überschreitest, Grenzen dessen, was ein ganz Normaler, ein Bürger, als die des Anstandes bezeichnen würde.
Also solle ich den ganz normale Bürgern keinen Glauben schenken und ganz unnormal weitersuchen, denn diese Grenzen des Anstandes seien gar keine echten Grenzen des Anstandes, sondern nur Auswüchse von Sichtweisen, denen ich nicht zum Opfer fallen solle. Deshalb seien die Explosionen beim Drauftreten auf die Minen auch keine wirklichen Explosionen, sondern nur lächerliche Eingeständnisse geistiger Armut.
Immer und immer wieder untersuche ich die anonymen Briefe dieses dubiosen Gefangenen, um hinter seine Identität zu kommen, oder wenigstens vorläufig seinen Aufenthaltsort zu ermitteln. Dabei fühle ich mich ihm manchmal ganz nah! In solchen Augenblicken kann ich zwischen den Zeilen lesen und glaube dort Sätze wie „Prüfe dein Gewissen!“ zu erkennen.
Dann durchzuckt es mich wie ein Blitz! Dann spüre ich förmlich, daß da etwas nicht stimmen kann! Bin ich etwa geisteskrank geworden?? Bin ich das am Ende selbst, der mir da mysteriöse Briefe schreibt? Macht mich eins meiner Ichs darauf aufmerksam, daß ich mich hinter dem anderen verberge, um nicht aufzufallen?
Misstrauisch blicke ich um mich ... geht das womöglich mehreren Leuten so? Ihre Gesichter strahlen mich an. Sie lächeln mich weise an, wenn ich rede, aber ich glaube auch zu hören, daß sie heimlich mit Zetteln in den Taschen rascheln. Was da wohl drauf steht? Ist ihr Lächeln nur eine Fassade, weil sie, wie ich, auch noch ein zweites Ich haben, das gerne befreit werden würde?
So langsam gruselt's mich! Ich glaube, ich begebe mich erst mal in ärztliche Behandlung ... und wenn der Nervenarzt dann auch ein zweites Ich hat, das ihm heimlich Briefe mit der Bitte um Befreiung schreibt? Ich glaube, dann würde ich einfach verrückt bleiben!
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Hilfe Herr Doktor
Doktor Hü und Doktor Hott,
ich bitte sie um keinen Spott,
wenn sie die Symptome pflegen,
die wir uns zugrunde legen.
Schreiben sie mir ein Rezept,
für ein sicheres Konzept,
mit dessen Hilfe ich gesunde.
Und kein Salz in meine Wunde!
Geben sie mir bitte ein Attest,
das mich gesund aussehen lässt,
wenn ich Monstern hier begegne,
und den Umgang damit segne!
Und dann brauch ich Medizin,
die nicht zeigt wie ich halt bin,
sondern froh und glücklich macht,
allerorts, bei Tag und Nacht!
Damit ich mich nicht sorge, nein,
ich will unbekümmert sein -
aber nicht weil's alle sind.
Und sagen sie nicht, o, der spinnt!