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wieder Federball spielen.“
„Keine Lust“, sagte Kora. „Ich gehe nach dem Essen sofort wieder nach Hause.“
„Wie du willst. Dann lasse ich mich jetzt mal im Gutshaus blicken. Oma, Opa und meine Mutter sind gewiss froh, wenn sie mich zur Abwechslung mal für längere Zeit zu Gesicht gekommen.“
Wir trennten uns hinter dem See. Die Schwimmblätter der weißen Teichrosen strahlten wie Sterne aus einem grünlichen Wasserhimmel.
Ich machte Kora darauf aufmerksam, aber sie bedachte mich mit einem gleichgültigen Blick und drehte sich um. Das kann ja heiter werden heute Abend beim Rockkonzert, dachte ich und stieg die Freitreppe zur Veranda hoch. Luchs schlich hinter mir her, und wir balgten uns ein wenig in der Veranda.
Die Handschrift auf dem obersten Brief des Poststapels, der akkurat auf dem runden Ecktisch deponiert war, kam mir sehr bekannt vor. – Harry hatte geschrieben, obwohl sein erster Brief noch immer ohne Antwort von mir geblieben war. Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen und begab mich schnurstracks in mein Zimmer, um ihn zu lesen. „Liebe Katja, weshalb antwortest du nicht auf meine Zeilen? Hast du meinen Brief üerhaupt erhalten? Es ist nun schon ein paar Tage her, seit ich Dir schrieb, und ich warte ungeduldig auf Post. Hoffentlich ist Dir nichts passiert. Oder hast du dich in einen anderen Jungen verliebt?“
Ich zuckte zusammen. Vorhin, bei Tante Selma, hatte Macheath mich geküsst. Ich spürte immer noch seine Lippen auf meinem Mund, obwohl wir uns vor wenigen Minuten sehr kameradschaftlich voneinander verabschiedet hatten.
„Katja?“ – Jemand pochte an meine Zimmertür. Bevor ich reagieren konnte, steckte Axel Kröger seinen Kopf in meine Kammer und sah mich lächelnd an.
„Wir treffen uns um 19:00 Uhr auf dem Hof vor der Veranda. Seid bitte pünktlich, damit wir noch einigermaßen gute Plätze bekommen.“
Er nickte mir zu und ließ seinen Blick, nachdem er wenige Sekunden auf Harrys Brief geruht hatte, den ich nach wie vor in meinen Händen hielt, durchs Zimmer schweifen. Dann schloss er endlich die Tür. Ich legte Harrys liebe Zeilen in meinen Koffer – zu den Modeheften und den Beweisstücken im Mordfall Knut (hat die Vokabel ,Corpus Delicti' eigentlich einen Plural, liebe Christine?). Mit Beweisstücken meine ich selbstverständlich die Rechnung vom Gasthaus ,Zur Alten Farm' und Helges Zigarettenstummel.
Ich verschloss den Koffer sorgfältig, kämmte mir die Haare, die ohne mein Zutun die Stirn hatten, täglich ein Stück zu wachsen, und lief die schöne Wendeltreppe hinunter, die wie immer fast im Dunkeln lag. Ich liebe dieses Schummerlicht!
Leni war mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt und ich ging ihr ein wenig zur Hand. Es sollte ,Falschen Hasen' geben, ein Gericht, das ich nicht besonders mochte, wie ich erschrocken feststellte, aber ich ließ mir nichts anmerken, denn Leni freute sich riesig auf das gemeinsame Mittagessen mit uns. Heiner bekam sein Essen (Bratkartoffeln mit Spiegelei) im Voraus, weil er in der nächsten halben Stunde den Bus nach Sieckum nehmen wollte, um seine Schwester zu besuchen, die ihren sechzigsten Geburtstag feierte. Er hatte sich für den Rest des Tages Urlaub genommen, obwohl er eigentlich mit dem Stalldienst an der Reihe war.
„Tu doch nicht so, Heiner, als ob du bei deiner Schwester kein Mittag bekämst“, sagte Leni.
„Das mag wohl sein, Lene, aber bei dir schmeckt es mir immer noch am besten“, grinste Heiner.“
„Das glaubst du doch selber nicht“, spottete Leni. „Du würdest doch den ganzen Tag essen, wenn du nur genug Zeit dazu hättest.“
„Er arbeitet ja auch körperlich sehr hart“, warf ich ein und Heiner nickte erleichtert.
„Vorsicht, Leute, Anita ist im Anmarsch“, sagte Leni mit einem Mal und bedachte Heiner und mich mit einem warnenden Blick. „Das höre ich bereits an den resoluten Schritten.“
„Hier steckst du schon wieder, Katja“, schimpfte Oma los, kaum, dass sie die Küche betreten hatte.
„Ja, habe ich dir denn nicht erzählt, dass wir ...“, begann ich.
Oma warf mir einen vernichtenden Blick zu, und Heiner duckte sich und zog seinen Kopf ein, als galten ihm Omas schroffe Worte und giftigen Blicke.
„Wenn du in meiner Küche auch so fleißig wärst, Katja!“, seufzte Oma und sah Leni neidisch an.
„Morgen helfe ich dir, Oma, mein Ehrenwort“, gab ich zur Antwort.
„Für morgen hat mir deine Mutter bereits ihre Hilfe angeboten“, schnaubte Oma wütend.
„Du weißt mal wieder nicht, was du willst, Anita“, mischte sich Leni in dieses unangenehme Geplänkel. „Und jetzt störe uns bitte nicht weiter. Meine Gäste kommen gleich.“
„Pah, Gäste, junges Gemüse meinst du wohl“, sagte Oma und verzog sich endlich aus der Küche. Dabei weiß sie sehr wohl über unser gemeinsames Mittagessen mit Leni Bescheid, dachte ich – erbost über ihre gespielte Ahnungslosigkeit.
„Wir sprechen uns noch, Anita“, rief Leni ihr nach. “Welche Laus ist der denn schon wieder über die Leber gelaufen?!“
Manchmal kommt es mir so vor, als seien Oma Anita und Leni Feindinnen statt Freundinnen, liebe Christine. Hoffentlich passiert uns das später nicht auch.
***
Endlich schlug es halb eins, und lautes Gelächter, das aus dem Herrenzimmer drang, verriet uns, dass Konny, Hannes und Kora im Anmarsch waren.
„Dein Festessen duftet ja prima und mindestens drei Meilen gegen den Wind, Leni“, sagte Hannes, als die Clique, der ich mittlerweile angehöre, die Küche betrat, durch die noch immer der würzige Duft von Lenis starkem Morgenkaffee schwebte.
Hannes küsste mich zärtlich auf die Wange, als seien wir ein altes Liebespaar, und ich spürte, wie mir eine leichte Hitzewelle ins Gesicht stieg.
„Früher, als ich jung war, wurde ich auch immer rot“, kicherte Leni, die uns amüsiert beobachtet hatte. „Man brauchte nur das Wort an mich zu richten. Aber nun wollen wir endlich essen, Kinder.“
Zum Nachtisch gab es übrigens Erdbeerkuchen, liebe Christine. Der ,Falsche Hase' war Leni hervorragend gelungen und meine Geschmacksnerven signalisierten mir, dass ich mich an dieses Gericht gewöhnen könnte, obwohl mir der Hase furchtbar leid tat. Wir unterhielten uns beim Essen über Frau Brandner, die sich im letzten Augenblick dazu entschlossen hatte, mit Ulla nach Hamburg zu fahren. Mutti hatte anscheinend nicht die geringste Lust verspürt, auf dem Hinweg Tante Sarah und Onkel Ludwig zu besuchen und gab seltsamerweise dem Rockkonzert den Vorzug. Ich