Alle Tage Kleinkrieg

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

„Damen“-Blicke –
(statt Flieger aus Fuhlsbüttel ...)
wie sie die Länge deiner Haare
durch ihre Pupillen ziehn,
sie mit den Augen wiegen
für zu schwer und zu blond befinden …
deine Lippen auf Farbe prüfen,
die langen schwarzen Wimpern, Marilyn ...

In Sack und Asche wollten
sie euch sehn, Therese, Nelly, Else, Gertrud ...
kahlgeschoren, auf dem Weg ... nach
Birkenau, Ravensbrück, Bergen–Belsen.
Nimm eine Rose mit, ein Mittel gegen Typhus,
meine Freundin unterm blauschwarzen Schopf,
und leg beides auf Annes Grab.

Was soll 's, ich begleite dich – an deiner Seite
konnte ich noch lachen mit 48 Zähnen.
Und dann bei deiner Mutter Baiser und Rumkugeln.
Rumkugelten wir uns vor Lachen – fern jeder Akne
und wurden kein Gramm fetter.

Das ist eine andere Sonne
unter der ich seither lebe.
Auch sie wird eines Tages erlöschen.

Mich einfach tot stellen, wenn der Tod kommt,
vielleicht, dass er mich liegen lässt, dort,
am Wegrand, die Hände in die Erde gekrallt,
den Kopf ins blutige Gras gebettet:
Soldatin ohne Dienstgrad, Uniform
und Barett, getroffen von Worten und Blicken
in Herz und Hirn ... höre ich noch immer
die Vogelstimmen über der Marsch.

in memoriam Gertrud Kolmar

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