Gefährlicher Sommer (Teil 25; Text 2)

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von Annelie Kelch

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Fliegen im Juni auf weißer Bahn
flimmernde Monde vom Löwenzahn,
liegst du versunken im Wiesenschaum,
löschend der Monde flockenden Flaum.

Leise segelt das Löwenzahnlicht
über dein weißes Wiesengesicht,
segelt wie eine Wimper blass
in das zottig wogende Gras.

(„Löwenzahn“, Peter Huchel)

„Billy the Kid“ und ein Gespräch im Herrenzimmer (2. Teil)

„Das verstehe ich sehr gut, gnädige Frau“, hörte ich Kommissar Fuchs im Herrenzimmer schmeicheln, als ich die Küche betrat, deren Tür zum kleinen Flur, der ins Herrenzimmer führt, weit geöffnet stand. Ich beschloss spontan, mich eine Weile im „Schmollwinkel“ zu verbergen, wie Leni die stockdunkle Flurnische getauft hatte – bevor irgendwelche Folterfragen auf mich herabprasselten. Die Stimme von Herrn Fuchs klang bewundernswert verhalten, liebe Christine.
„... ja, Herr Kommissar, und meine Tochter Ulla studiert Veterinärmedizin in Hamburg. Sie ist leider viel zu selten zu Hause. Es tut mir wirklich leid, dass Sie so lange warten müssen. Ich weiß leider auch nicht, wo das Kind (wie bitte?!) steckt. Aber unsere Katja kann Ihnen zum Mord an meinem ehemaligen Verwalter ohnehin nichts Näheres berichten. Sie verbringt nur die Sommermonate hier. Obgleich ... Sie müssen wissen, das Mädel hat eine blühende Fantasie. Sie verschlingt Bücher wie andere Leute Bratkartoffeln mit Speck. Ob ihr das im späteren Leben von Nutzen sein wird, wage ich jedoch sehr zu bezweifeln, Herr Ober­kommissar.“
„Hauptkommissar“, verbesserte Herr Fuchs unsere Gnädigste mit sanfter Stimme. „Mittlerweile Kriminalhauptkommissar, gnädige Frau.“
„Oh, wie wunderbar! Ich gratuliere!“, beglück­wünschte ihn die Gnädigste mit umwerfender Liebenswürdigkeit. Ich hörte ganz deutlich das Lächeln in ihrer Stimme.
„Nun, vielleicht schreibt sie später selbst ein­mal ein Buch, diese Katja“, fuhr Herr Fuchs fort. „Vielleicht sogar über Ihren wunder­schönen Gutshof.“
Ich traute meinen Ohren nicht. Am liebsten wäre ich aus meinem Versteck hervorgekrochen und hätte „das Füchslein“ abgeküsst, liebe Christine. Die Gnädigste ging auf seine Bemerkung nicht ein, aber ich vermute, dass sie ihm ihr bezaubernd­stes Lächeln schenkte.
„Natürlich sind die jungen Leute (schon besser!) bei diesem schönen Wetter meistens unterwegs – zum Baden in den Kiesteichen, oder sie halten sich auf dem Grundstück der Schwester meines neuen Gutsinspektors auf“, fuhr sie fort. „Heutzutage wird in den Schulen ja eine Menge ver­langt, da ist es doch nur recht und billig, wenn sich die Jugend in den Ferien richtig erholt, anstatt bei dieser Hitze auch noch zu pauken (bravo!). Und wo sollte ihnen das besser gelingen als in unserer guten Landluft, inmitten der herrlichen Natur, in dieser friedlichen Abgeschiedenheit unseres schönen Dorfes?!“ – (Das klang echt druckreif, liebe Christine. Wie aus einem Ferien­prospekt. Unsere Gnädigste lässt ungeahnte Talente erkennen.)
„... und unter Lan­geweile leiden die jungen Leute hier nicht?“, fragte Herr Fuchs skeptisch.
Ich ahnte nur zu gut, worauf er hinaus wollte. Ohne dich, Christine, merkt man erst, wie still es meistens auf Lachau ist. Ich spürte den Schmerz, der die Gnädigste durchzuckte, als sie sich – hundertpro – auf die Lippen biss.
„Die jungen Leute“, gab sie pikiert zur Antwort und holte tief Luft, „... die jungen Leute genießen die beachtlichen Vorteile des Landlebens: die gute Luft, die ich bereits erwähnte, unsere herrlichen Tiere, frisches Obst und Gemüse in Hülle und Fülle, den Park und die Wiesen und Felder. Mir ist in all den Jahren nicht ein einziges Mal zu Ohren gekommen, dass Katja sich auch nur eine einzige Minute gelangweilt hätte. Bei uns sind ihrer Fantasie keine Grenzen gesetzt, obgleich es hier sehr friedlich zugeht.“
Frau Brandner tat mir mit einem Mal leid. – Friedlich? Ach Kindchen, wenn du wüsstest, dachte ich (in Gedanken pflege ich die Gnädigste zu duzen) und fand plötzlich, dass dieser Ausdruck (Kindchen), mit welchem Hannes Kora und mich bisweilen zu beleidigen pflegt, wenn er sich mal wieder besonders stark fühlt, der Gnä­digsten weitaus besser zu Gesicht steht als uns. Obwohl sie knallhart sein kann, was sich in sogenannten Krisensitzungen zeigt, die von Zeit zu Zeit im Herrenzimmer stattfinden. Meistens geht es dabei um ihren geliebten Wald, insbesondere, wenn es dessen Baumbestand durch irgendeine fiese Aktion ans Leder oder, treffender gesagt, „ans Holz“ gehen soll. Knut hat einmal im Scherz erwähnt, dass er nur deshalb ein Gebiss trage, weil er sich am Dickschädel der Gnädigsten sämtliche Zähne ausgebissen habe.
Ein Mann wie Axel Kröger wäre wirklich das Beste, was ihr passieren könnte, schoss mir durch den Kopf. Ich verspürte postwendend einen leich­ten Stich im Herzen – und ein verdächtiges Kribbeln in der Nase; denn das Aroma des würzigen Heues drang durch die weit geöffneten Fenster der Küche bis in mein Versteck hinein. Ich verkniff mir mit größter Mühe einen Niesanfall.
„Und die Sache mit dem kleinen Mädel damals? Sie wissen schon, Herr Fuchs, ich möchte jetzt nicht noch deutlicher werden. Dieser mysteriöse Vorfall ist ja nun auch schon sehr lange her ... beinahe zehn Jahre, wenn ich mich nicht irre ... Gibt es nicht doch irgendwelche Ermittlungsergebnisse, die Sie uns damals verschwie­gen haben?“ Frau Brandner seufzte tief.
Mir war bei ihren Worten ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen, und ich lauschte mit angehaltenem Atem.
„Fehlanzeige, gnädige Frau. Leider“, gab Herr Fuchs zur Antwort. „Wir haben noch immer nicht den geringsten Hinweis. Selbst unser schaffensfreudiger Nachwuchs, der sich von Zeit zu Zeit die alten Akten vornimmt, um vielleicht doch noch auf irgendein verstecktes Indiz, ein wichtiges Detail zu stoßen, das die Mitarbeiter der damaligen Mordkommissi­on im Eifer des Gefechts übersehen haben, tappt im Dunkeln. Wie Sie sich sicher erinnern, gab es am Tatort keine verwertbaren Spuren, die zur Auf­klärung des Verbrechens hätten beitragen können, absolut nichts, das geeignet gewesen wäre, diesen Fall auch nur annähernd zu lösen, wenngleich alle Fäden auf Ihrem Gut zusammenliefen. Wissen eigentlich die jungen Leute von dieser Sache ...?“
„Selbstverständlich nicht, Herr Kommissar, wir wollen unsere Fe­riengäste doch nicht beunruhigen. Andererseits kann man freilich nicht genug zur Aufklärung und Verhinderung derartiger Verbrechen beitragen. Oh! Oh! Oh! Wenn ich an meine Jugend zurückdenke! Wie oft bin als Backfisch ge­trampt, weil mir der Bus nach Lübeck mal wieder vor der Nase davongebraust war. Damals fuhren die Busse gerade mal alle vier bis fünf Stunden, müssen Sie wissen ... – Wenn meine Eltern das gewusst hätten!“
„Das behalten Sie bitte auch

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