Seiten
besser für sich, gnädige Frau“, tat Herr Fuchs mit messerscharfer Stimme seine kompromisslose Meinung zu diesem Thema kund. – Er klang fast ein wenig grimmig, während ich versuchte, mir die Gnädigste vorzustellen ... wie sie mit wehendem Haar und flatterndem Rock an der Dorfstraße stand und den Daumen hob.
„Etwas Leichtsinnigeres als per Autostopp an sein Ziel gelangen zu wollen, gibt es ja wohl kaum. Pardon, gnädige Frau, Sie waren damals zwar noch sehr jung, aber ...“, legte Herr Fuchs nach. Ich bewunderte seinen Mut.
„Sie haben ja so recht, Herr Kommissar“, beeilte sich Frau Brandner ihm beizupflichten. Ihre Stimme klang hastig. Ich war überzeugt davon, dass ihre Wangen vor Scham und Aufregung glühten.
„Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass Katja oder Kora ohne männliche Begleitung durch den Wald fahren würden, Herr Kriminalkommissar. In dieser Hinsicht sind die beiden doch schon sehr vernünftig.“ – Ich brauchte mir den zweifelnden Blick des Herrn Fuchs gar nicht erst vorzustellen; er schwang sich ohne Umschweife vor mein inneres Auge, denn im Flur herrschte aufgrund der fast geschlossenen Küchentür nahezu ägyptische Finsternis.
„Ein achtjähriges Mädchen durch den Wald zu hetzen und an einen Baum zu fesseln …!“ – ... und mich hätte er um ein Haar im See ertränkt, wollte ich voller Entsetzen rufen, aber ich brachte keinen Ton hervor, als ob die Worte, die mir auf der Zunge lagen, das Licht der Wahrheit scheuten.
„... und was für ein rätselhaftes Glück, dass dem Kind noch erheblich Schlimmeres erspart blieb“, fuhr die Gnädigste fort und seufzte, während mir mein sommergestresstes Herz bis zum Halse schlug.
„Und dass der Täter nach seiner verbrecherischen Handlung bei der hiesigen Polizeiwache angerufen und die Beamten darüber informiert hat, wo sich das arme Kind befindet“, ergänzte Herr Fuchs.
Ich kam aus meinem entsetzten Staunen nicht mehr heraus, liebe Christine, und bemerkte, dass mir entgegen aller Gewohnheit der Mund sperrangelweit offen stand – wie bei Billy the Kid, über den ich vorhin zu lästern wagte.
„Ja, ja, das Schicksal, dem niemand von uns entrinnen kann, geht oft seltsame Wege, bevor der Mensch zur Einsicht gelangt und sich gegen seine Unzulänglichkeiten eisern zur Wehr setzt“, seufzte die Gnädigste.
„Wem sagen Sie das, gnädige Frau? Derartiges erleben meine Kollegen und ich tagtäglich. Wir glauben mittlerweile, dass die Tat ausschließlich im Charakter des Täters zu suchen ist. Tatsächlich sind wir sogar zu der Ansicht gelangt, dass der Halunke gar nicht die Absicht hatte, dem Kind einen ernsthaften Schaden zuzufügen – trotz dieser schauderhaft schwarzen Kleidung samt Maske, die er laut Aussage der Kleinen getragen haben soll. Wir sind eher geneigt anzunehmen, dass er dem Mädchen zeigen wollte, was alles passieren kann, wenn es sich allein im Wald aufhält.“
Die Gnädigste schnappte hörbar nach Luft.
„Gewiss, gewiss“, erklärte Herr Fuchs eilig. „Das sind Methoden, auf die ein normaler Mensch nicht kommen würde. Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob die Kleine damals die Wahrheit gesagt hat. Ob es wirklich ihre Idee war, den Wald ohne Begleitung aufzusuchen, weil sie angeblich ,so gerne im weichen Moos', wie sie sich damals ausdrückt hat, ,spielen wollte', oder ob der Täter selbst sie dorthin gelockt hat.“
„Das wäre ja wohl noch ...“, protestierte Frau Brandner verblüfft.
Ich stellte mir vor, wie sie echauffiert zum Messingkronleuchter an der getäfelten Zimmerdecke emporsah, sich allen Ernstes darüber wunderte, dass dieser vor Empörung über eine derart infame Theorie nicht von der hohen, stuckverzierten Zimmerdecke stürzte, und fassungslos nach Luft rang.
„Sie haben natürlich recht, gnädige Frau“, fiel Herr Fuchs ihr hastig ins noch unausgesprochene Wort. „Wir hätten es in diesem Fall nicht nur mit einer ungewöhnlich exentrischen präventiven Verbrechensbekämpfung zu tun, die eine derart abscheuliche Tat unter gar keinen Umständen rechtfertigt, sondern auch mit einer Täterpersönlichkeit, die meines Erachtens in die Hände eines erfahrenen Psychiaters gehört. Allerdings können wir auch nicht ausschließen, dass es sich um einen Täter handelt, der seine Freude daran hat, weibliche Wesen in Angst und Schrecken zu versetzen."
„Ja, ja“, klagte die Gnädigste mit rührseliger Stimme. „Alle männlichen Wesen auf Lachau und im Dorf wurden damals verdächtigt: mein Mann, Gott hab ihn selig, unser damaliger Verwalter, die Jagdpächter und sogar Herr Franzen, Katjas Großvater, der aufgrund seiner Kriegsverletzung gar nicht so schnell hätte laufen können. Und dann die Eltern des Mädchens! – Wenn ich daran nur zurückdenke! Hals über Kopf sind sie mit dem Kind abgereist, ohne sich von meinem Mann und mir zu verabschieden. Die Sache ist uns dermaßen an die Nieren gegangen, dass wir seit jenem Tag keine fremden Feriengäste mehr aufgenommen haben."
***
„Guten Tag, Herr Fuchs“, brachte ich zu meiner eigenen Überraschung forsch über die Lippen, nachdem ich durch die angelehnte crèmefarbene Flügeltür in das Herrenzimmer spaziert war. Aber der Klang meiner Stimme hörte sich beklommen und spröde an.
„Sie wollten mich sprechen?“ Ich streckte dem Ermittler meine Hand entgegen und hoffte, dass mein verwunderter Ton seine Wirkung nicht verfehlte. Auf dem kleinen Mahagonitisch mit der farbenfroh gemusterten Brokatdecke standen zwei Tassen und eine Kaffeekanne. Leni hatte offensichtlich zur Feier des Tages ihren überaus herzhaften Mokka gebraut.
„Darf ich Ihnen noch nachschenken, Herr Kommissar?“, fragte unsere liebe Gutsherrin.
„Nein, besten Dank, gnädige Frau. Ich habe soeben, wenn ich mich nicht irre, meine achte Tasse an diesem Tag geleert, vermutlich wegen jener kräftezehrenden Vernehmung heute früh, bei der ich mehr als üblich von diesem Gift in mich hineingeschüttet habe. Ich will es für heute gut sein lassen.“
„Sie haben ja so recht“, stimmte die Gnädigste zu. „Zu viel Kaffee ist schädlich, ganz besonders gegen Abend.“
Sie erhob sich aus dem Chippendale-Sessel, der neben dem meergrünen Kachelofen stand, und den sie seit Jahr und Tag nicht allein während der allwöchentlichen Besprechungen unter dem Motto „Wie geht 's meinem lieben Wald, dem Vieh und dem Getreide?“ für sich beanspruchte, sondern auch anlässlich der Personalversammlungen am ersten Freitag jedes dritten Monats, bei denen sie gelegentlich verbale Ohrfeigen verteilte.
„Die Pflicht ruft“, erklärte sie schließlich und seufzte ein letztes Mal „Ich denke, Sie kommen hier ohne mich klar, Herr Hauptkommissar. Sollten Sie nach Ihrer