Gegenstück - Page 4

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Tag. Jahreszeit gereift. Sommermitte, Winter.

Kämpfer, die sich auf den mühseligen Wegen begegnen, mögen einander erkennen. Sich zu erkennen geben. Außer Freundschaft wird nichts sie stärken.

Daß sie wenigstens die Freundschaft genössen. Jeder wird einst die kleinste Erquickung nötig haben. In der Hölle werden sie die kleinste Reserve nötig haben.

Schweigend neben dem Schweigendem. Wenn ihm danach ist, wird er meine Gedanken erkunden. Doch das Schweigen breche ich nicht.

Der eine wacht, wenn der andere schläft. Jedem einige Stunden Schlafs. Es tut ihm gut, daß ich seiner Wache trau.

Nichts planen. Nichts berücksichtigen. Was dem raten, der es ehrlich meint?
Wenn sie dich jagen, werde ich dich bergen.

Jetzt aber trennen sich die Wege. Werden sie sich, wohin wir nicht blicken, wieder vereinigen? Oder war das die Begegnung auf ewig?

Jeder weiß den anderen allein. Zuerst das Mißtrauen verlieren. Nicht gleich zum Sprechen veranlaßt sein. Ansehen.

Treue. Welchen Namen der Weg auch trägt, auf dem solche sich erkennen. Darüber ist nichts zu sagen. Es gibt keine theoretische Begründung für Vertrauen. Keine Erklärungen können gegeben werden.

5 Krankensaal

[1]
Krankensaal. Glasiges Fieber. Die Körper kämpfen gegen die Invasion der unsichtbaren Feinde. Der selbst von Krankheit graue Mann, übernächtig, auf Wache. Vielleicht Krankensaal im Hintergrund oder der Wachende zwischen Reihen Krankenbetten. Unruhige Schläfer, spüren den Tod. Dumpfes Stöhnen.

Leben, Eigenschaft der Materie. Materie in einer Phase, in der manche Stellen mobil werden. Sie lebt.

Das sind kranke Stellen der Materie. Eiterstellen, Strukturkrise.

Ist das das Leben, daß Materie nicht mehr in Brown’scher Molekularbewegung? Sie von einer Vorstellung ergriffen ist, sich etwas einbildet? Die Fähigkeit zur Entspannung verloren hat. Vegetative Störung. Torschlußpanik.

Als ob Materie an manchen Stellen kocht. Die Seele der Materie stellenweise dem Tod geweiht ist. Sich zuvor in wilder Anstrengung bäumt. Lebendig wird. Danach völlig ausgebrannt ersterbend.

Dort ist dann Taubheit im Fleisch der Erde. Nichts ist so tot wie gewesenes Leben.

Leben ist ein aufflammender Materietod. Pflanzt sich selbst fort. Saugt gänzlich die Kraft aus der Erde. Es bleibt erschöpfte Asche.

Leben als Todesphase der Materie. Verbrennt die langlebige Kraft der Erde im kurzen Rausch. Lebewesen sind Vernichtungszentren der für Äonen angelegten Kraft.

Nach kurzer Zeit sind Erdmaterie, Pflanzen, Tiere, Menschen nur noch mäßig warmer Staub. Wattiger Tod.

Nichts Irdisches entrinnt dem Schicksal der Materie. Wo Materie lebt, den Ort des Todes zu verlassen, führt sie ihn erst recht herbei.

Alles Leben des Planeten wird zu fahler Asche.

Kalk. Tote Hinterlassenschaft früher Fluchten. Aber das sind nur kleine Narben im Vergleich zu den riesigen Schlacke-Brocken aus den Ärschen der maßlosen Menschheit. Wahnsinniger Stoffwechsel, nicht mehr rückgängig zu machen.

Unaufhaltsame Gier frißt jetzt die Länder der liebevoll mit der Erde umgehenden Völker.

Es bleiben noch Amazonas und Sibirien. Bald haben die widerlichen Strategen alles durch den Darm gejagt. Nie mehr fruchtbare Öden hinter den Herrschenden.

Unersättliche Gier frißt den Tieren die Erde weg. Scheißt nie mehr lebbaren Schlick.

In einem Leben verbrennt die Menschheit tausendfach die in der Erde gespeicherte Seelenkraft. Am Ungeborenen bereichern sich die Verbrecher. Verschlingen am Anfang des Wegs den ganzen irdischen Proviant.

Tote Flecken. Exponentiell. In Kettenreaktion. Unerbittlich steigt das Unheil im Angesicht der Ausgelieferten.

Schon klingt kein Lied mehr. Ragt kein Marmorbild. Alle Hoffnung ist gefahren, wo das Ende unausweichlich vor Augen steht. Noch vor dem Tod der jetzt Geborenen. Alle Hirne sind dunkel. Die Hände lahm.

[2]
Unterstand. Provisorisches Krankenhaus für das Volk und seine Soldaten. Mann, bärtig, glatt rasiert. Frau, slawisch-germanisch, chinesisch-asiatisch, afrikanisch, indianisch. Wechsel plötzlich inmitten Gedankens. Frau nur kurz, während einer stirbt. Oder immer, nur nicht während einer stirbt. Oder nur sie, Mann kurz im Hintergrund.

Zuerst vereinzelt Aufstände. Wenn das Fieber kommt, ist plötzlich alles im Aufruhr.

Überall Krankheit. Kein Hort. Nirgendwo vom lebensentscheidenden Geschehen verschont.

Es gibt keine Fronten, keine Hinterländer. Kein Herd des Widerstands, der gezielt bekämpft werden kann. Alles ist durchdrungen. Nichts in alter Ordnung.

Kein Anhaltspunkt im brodelnden Blut. Alles liegt dem kochenden Fieber zum Opfer.

Keine Zelle möglicher Zukunft erkennbar. Was grell sich im Brodel zeigt, ist nach kurzer Zeit im Nichts. Unbeachtetes trägt plötzlich die Fackel. Morgen kräht kein Hahn mehr danach.

Keiner kennt den Keim zum Baum der Zukunft. Welche Welle im Zeugungsstrom zum Leben führt. Für den schließlich Erfolgreichen gibt es bis zuletzt keine Sicherheit.

Danach wird klug nachgewiesen, warum der erfolgreiche Kämpfer das Tor zum Leben öffnete. Später wird der erfolgreiche Weg als Weg zum Erfolg gelehrt. Gesundmachende Dinge werden als Grund der Gesundung erklärt.

Die Niederlage im Kampf wird als Argument benutzt. Dagegen sei nichts zu machen und zu dürfen. Bestehendes durch Bestehendes beweisen.

Brodel des Fiebers. Kein Glied ist verschont. Nur noch das fließende Blut gibt Hoffnung. Erst der Tod ist der Sieg der Krankheit.

Ein alles beherrschender Parasit vernichtet seine Existenzgrundlage.

Der Krankheit ist nicht möglich, so zu herrschen, daß das Blut gerade nicht stillsteht. Solang das Blut auch nur tröpfelt, wird die Krankheit eines Tages hinweggefegt.

Das Volk beherrschen, ohne es zu töten. Am Leben erhalten, was man beherrscht. Das heißt, eines Tages vom Sturm hinweggefegt zu werden. Herrschaft kann nur im totalen Untergang siegen.

Unerkannt treibt der Keim der Zukunft. Kämpfer leben im Verborgenen. Nach Schweiß, Schüttelfrost, Mattigkeit erhebt sich einer plötzlich im klaren Morgen.

Die unterdrückte Wahrheit wird zur Lawine. Die Vergangenheit zum Albtraum. Krankheits-Keime sind nur noch verwehender Staub.

Die gestern in den letzten Winkeln herrschten haben jetzt nicht mehr die geringste Macht. Unangreifbar gesund ist der Mensch.

Das haben die Verdammten schon vor langem gesungen. Eines Tages öffnet die Machete das Sturmzentrum der Gesundheit. Alles ändert sich von einem Augenblick zum anderen.

Machete der Zuversicht. Nicht das zynische Schwert der Resignation dringt in die unbeachteten Regionen.

Solange sich noch was regt, kann der Herrscher nicht schlafen. Er ist nur sicher, wenn alle tot sind. Solang ihr am Leben seid, wird ihn das Schicksal ereilen.

Da ist der Feind auf einmal ein Luftballon. Ein Kind läßt ihn platzen.

6 Stadtgebiet

[1]
Stadtgebiet, Hochhäuser, Autobahn. Nacht, Reklamelicht, Scheinwerfer. Anhaltend Regen. Jüngling, direktes Licht meidend.

Erst überleben. Nicht bei den ersten Unternehmungen erliegen. Nicht gleich aktenkundig sein.

Erster Erfolg ist die Anwesenheit. Anfang der Anwesenheit ist die Nichtanwesenheit in Anwesenheit.

Beim ersten Offenbarwerden muß der Feind erschauern vor dem Ausmaß der vor seinen Augen errichteten Stellungen.

Machthaber stellen drohend ihre Waffen heraus. Du aber verberge. Den Feind im Unklaren lassen. Ihm das Gefühl der Stärke geben. Zunächst einfach nur überleben.

Zuerst verheimlicht

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