Das Licht ist zu grell! Immer machen sie das verdammte Licht zu grell! Tausend Mal habe Ich ihnen gesagt, sie sollen das Licht nicht so grell machen! Aber was reg Ich mich auf, diese Kinder hören ja doch nie auf einen. Scharwenzeln ständig um einen herum, stören mich in meiner Arbeit und immer machen sie das verdammte Licht so grell! Wie soll ein anständiger Mensch unter solchen Umständen arbeiten? Und dann dieser Lärm! Immer machen sie so viel Lärm! Diese Kinder, diese verdammten Bälger!
Aber was soll man machen, so sind sie nun mal. Sie verstehen einfach noch nicht, was für wichtige Dinge Ich hier zu tun habe. Sie spielen und kreischen und rennen herum und immer machen sie das verdammte Licht so grell! Gestern war Dorothea wieder da. Sie sah so schön aus in ihrem blauen Sommerkleid. Ihre Haare haben in der Sonne gestrahlt wie die Blätter auf unserem Hof, wenn im Herbst das goldene Licht durch sie scheint. Ich habe schon lange nicht mehr nach Hause geschrieben. Ob es Mama wohl gut geht? Seit Papas Tod hat sie es ja noch schwerer. Aber Lisbeth ist ja bei ihr und Hans wird wohl auch hin und wieder nach dem Rechten sehen. Er hatte es mir ja versprochen als Ich weg bin.
Ich werde ihnen Morgen einmal schreiben wenn Ich kann. Wenn wir nicht wieder in den Keller müssen. Der Keller macht mir Angst. Die Sirenen machen mir auch Angst. Wenn wir sie hören, müssen wir wieder in den Keller. Aber vor den Flugzeugen habe Ich noch mehr Angst, also gehe Ich lieber in den Keller. Und manchmal ist Dorothea da, dann freue Ich mich sogar, dort zu sein. Morgen werde Ich sie fragen, ob sie mit mir ausgeht. Morgen ganz sicher. Was ihr Vater wohl dazu sagen wird? Seit ihre Mutter im letzten Jahr an Typhus gestorben ist, ist sie sein Leben. Ob er mit mir einverstanden sein wird? Vielleicht kann Ich Hans bitten, mir seine guten Hosen zu schicken?
Ich darf nicht vergessen ihm zu schreiben. Dorothea muss mich daran erinnern. Morgen ist unser Hochzeitstag. Ob sie wohl das blaue Sommerkleid trägt? Jetzt, nach der Schwangerschaft, passt es ihr bestimmt wieder. Ich weiß sie wird es tragen, sie trägt es immer an unserem Hochzeitstag. Sie sieht darin so schön aus, meine Dorothea. Und jetzt, da unser Michael da ist, strahlt sie den ganzen Tag. Ich merke wie sie glücklich vor sich hinlächelt, wenn sie glaubt Ich sehe sie nicht. Ich liebe sie so sehr. Und unseren Michael. Gestern ist unsere kleine Sophia geboren. Mutter wird so glücklich sein, dass ihre erste Enkelin endlich da ist. Ich darf nicht vergessen ihr zu schreiben, sie hat ja noch kein Telefon.
Und Hans, wegen der Hose. Ich darf nicht vergessen, nach der Hose zu fragen. Was soll Dorothea denken, wenn Ich mit meiner zerknitterten Hose bei ihr auftauche. Aber wer hat bei all den Angriffen schon das Geld für neue Hosen? Oder die Zeit, welche zu kaufen? Aber bald, wenn Ich meine Arbeit beendet habe, werde Ich unsere Geldsorgen schon gelöst haben. Wenn nur die Kinder nicht so einen Lärm machen würden! Sophia schreit mich schon wieder an. Und immer macht sie das Licht so grell! Undankbar ist sie! Undankbar und falsch! Wäre ihr Bruder doch nur hier! Ach unser Michael. Aber er ist ja immer unterwegs, unser Michael. Erledigt wichtige Dinge! In Amerika! Aber er ruft mich nie an! Warum ruft er nicht an? Er lässt mich allein! Er hasst mich! Ich habe ihm so schlimme Sachen gesagt! Er kommt nie wieder zurück!
Sophia ist ein gutes Mädchen. Und klug! Sie lernt fleißig und gehört in der Schule zu den
Besten, sagt ihre Lehrerin. Ich bin so stolz auf sie. Dorothea gibt immer bei unseren Nachbarn an, was für ein kluges Mädchen unsere Sophia ist. Unser Michael ist auch klug. Aber er ist in Amerika. Dorothea vermisst ihn schrecklich. Morgen ist unser Hochzeitstag! Ob sie das blaue Sommerkleid tragen wird? Sie trägt es immer an unserem Hochzeitstag. Gestern habe Ich sie wieder im Keller gesehen. Sie trug das blaue Sommerkleid, dass Ich so an ihr mag. Morgen frage Ich sie, ob sie mit mir ausgeht. Morgen ganz bestimmt!
Wenn sie nicht da ist habe Ich Angst.
Da war ein Mann in unserem Schlafzimmer! Er hat mich angeschrien! Er hat mich bedroht! In meinem eigenen Haus hat er mich bedroht! Er hat das blaue
Sommerkleid auf den Boden geworfen!
Das blaue Sommerkleid!
Die Kinder machen so viel Lärm! Warum nur machen sie so viel Lärm? Wissen sie nicht, dass ihre Mutter Ruhe braucht? Sie sagen so schreckliche Sachen über sie! Wie kann man nur so schreckliche Sachen sagen?
Sie lügen!
Sie sagen, sie kommt nie wieder zurück. Sie sagen, sie sagen… Das blaue Sommerkleid liegt auf dem Boden! Warum liegt es auf dem Boden? Wer tut denn sowas nur? Dorothea braucht doch ihr blaues Sommerkleid! Morgen ist unser Hochzeitstag. Sie trägt es immer an unserem Hochzeitstag. Ich habe sie heute wiedergesehen. Sie kam mich besuchen. Sie sagt sie kommt Morgen wieder.
Und dann frage Ich sie, ob sie mit mir ausgeht. Morgen ganz bestimmt!
Das Blaue Sommerkleid
von Christian Gemsa
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Interne Verweise
- Autorin/Autor: Christian Gemsa
- Prosa von Christian Gemsa
- Prosakategorie und Thema: Experimentelles / Sonderfälle, Kurzgeschichten & Kurzprosa