Die Frau des Pfandflaschensammlers

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von Corinna Herntier

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„Scheiß Kippen!“, fluchte Gabriele und nahm noch einen letzten tiefen Zug, blies den Rauch langsam mit gespitzten Lippen aus und drückte die fast völlig heruntergebrannte Zigarette in dem vollen Aschenbecher aus.
„Adios! Und jetzt ist Schluss damit.“
Ihre Gesundheit war ihr egal – was an allen Ecken und Enden fehlte, war Geld! Geld für Tabak und Hülsen. Die teuren Packungen kaufte sie sich sowieso nicht. Seit Jahren stopfte sie. Und wenn sie so richtig knapp bei Kasse war, dann pulte sie noch die letzten Tabakreste aus den Kippen – Hauptsache, sie hatte etwas zum Qualmen.
„Scheiß Leben. Scheiß Geld. Alles Scheiße!“, dachte sie und erhob sich mühsam vom Sofa. „Uuuiiih! Das war wohl ein Glas zu viel.“ Sie griff nach dem überquellenden Ascher und der leeren Rotweinflasche und visierte die Küchentür an – tief durchatmend und so würdevoll wie nur irgend möglich wankte sie in Richtung Mülleimer, der ebenfalls überquoll. Den Aschenbecher entleerte sie kunstvoll in noch vorhandene Lücken. „Genie, ich.“

Blick auf die Küchenuhr – halb eins. „Scheiße nochmal! Was kochen?“ Gleich würde Günther heimkommen, ihr Mann. Sie durchsuchte den Kühlschrank, riss den Vorratsschrank auf. „Nä, das wird nix. Keine Ahnung, warum ich mir heute nicht den Wecker gestellt hab und zur Tafel gegangen bin. Das gibt Ärger … Naja, wenn sich sein Rumgesuche gelohnt hat, vielleicht auch nicht. Dann geh’n wir morgen zum Türken. Döner. Oder ich hol TK-Pizza. Egal. Aber jetzt? Eine gute halbe Stunde hab ich ja noch.“
Sie ging die Zwei-Zimmer-Wohnung ab, um schnell noch etwas Ordnung zu schaffen, hievte den alten Staubsauger aus der Schlafzimmerecke, zog mit viel Schwung das Kabel raus und wollte loslegen. Der Sauger heulte lauter als normal und ein muffiger Geruch entkam seinem Inneren. Hecktisch schob sie den Saugkopf über den mit Katzenhaaren bedeckten Läufer. „Fuck! Das Ding saugt nich mehr, is voll. Kein Beutel mehr da! Kacke! Und Miezie hat das Katzenklo vollgepisst. Oh, nä. Mir reicht’s!“
Sie riss das Kabel aus der Steckdose und trat auf den Auslöser der automatischen Aufwicklung. Nach einem Meter wickelte sich nichts mehr auf. Fluchend packte sie den Sauger wieder an seinen Platz und sah nach den Katzenfuttervorräten – wenigstens hatte das liebe Vieh noch genug zu fressen. Dose auf und rein in den Napf. Fertig. „Miezie!“ Die schwarzweiß gefleckte Katze kam gleich angelaufen, um sich auf den gefüllten Napf zu stürzen.

Gabriele blickte kurz in den Flurspiegel. „Oh Gott! Naja!“ Sie griff nach der Bürste, fuhr damit drei, vier Mal durch ihr stark angegrautes, aschblondes Haar und band sich mit einem Haargummi einen Pferdeschwanz. „Okay, das reicht.“
Sie schnappte sich ihre abgeschubberte Kunstlederhandtasche – Flohmarkt, zwei Euro – und vergewisserte sich, dass der Haustürschlüssel im Vorfach lag.
„Geld! Geld?“ Sie kramte ihre Geldbörse hervor und zählte nach – drei Euro fünfundfünfzig. „Nudeln mit Tomatensoße! Ja! Schmeckt und geht schnell. Mehl? Hab ich noch. Öl? Jupp! Also Tomatenmark und Nudeln. Reicht. Dann los.“
Die Tür ließ sie hinter sich ins Schloss fallen, ging schwerelos zur Treppe und griff nach dem Handlauf. „Fünfundzwanzig Minuten! Jetzt aber hopp! Waren die Stufen schon immer so ungleichmäßig hoch?! … Alter!“

Die Sonne brannte heiß und blendete sie, als sie aus der Tür trat. „Mist, ich hab den Beutel vergessen – egal. Nudeln und Tomatenmark stopf ich in die Handtasche. Vielleicht reicht es noch für’n Tetrapack Yogiwein? Wär super.“
„Guten Tag, Frau Müller“, begrüßte sie die Kassiererin an der Kasse.
„Tach.“ Sie stopfte Nudeln und Tomatenmarktube in die Handtasche, der Wein passte leider nicht hinein. „Jetzt seh ich aus, als ob ich ‘ne Alki wäre“, durchfuhr es sie. Für Tabak hatte es nicht gereicht. Hoffentlich war Günther heute erfolgreich …
Kurze Zeit später, als sie hörte, dass sich der Schlüssel im Türschloss drehte, rührte sie bereits angestrengt in der Mehlschwitze. „Ach ja, Brühepulver rein. Etwas Zucker, Pfeffer, …“ Nebenbei trank sie einen großen Schluck des eben erstandenen Weines – aus einer Kaffeetasse. Das sah nicht so nach Weintrinken aus.
„Hallo mein Schatz! Was gibt’s zu essen?“
Sie antwortete nicht gleich, sondern konzentrierte sich ganz auf die Herstellung der Soße. Es bereitete ihr Mühe, ihre Gedanken zu fokussieren. „Jetzt … das Tomatenmark hineinquetschen … Wasser dazu … Weiter rühren … Fertig!“
„Nudeln mit Tomatensoße.“
„Nix Gesundes?“, fragte Günther, der schon neben ihr stand. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Tomatenmark ist sehr gesund!“, widersprach sie und schob den Topf mit der Soße auf eine kalte Herdplatte.
„Warum trinkst du schon wieder Wein? Es ist gerade erst Mittag …“
Gabriele seufzte. „Mein Gott, Günther! Das macht mich glücklicher. Diese kleine Freude solltest du mir wohl gönnen. Bei dem scheiß Leben, dass ich habe.“
Günther verstand die Anspielung. Oft genug musste er sich von ihr anhören, dass er Schuld sei für diese erbärmlichen Lebensumstände.
„Soll ich die Nudeln abgießen?“, fragte er und sie nickte.
Sie setzten sich an den Küchentisch, dessen graue Resopalplatte schon bessere Zeiten gesehen hatte. Jetzt zeigte sie Risse, Brandflecken …
Der Tisch war lieblos gedeckt mit zwei gelben, sich wellenden Kunststoff-Ess-Sets, auf denen je ein tiefer Teller und eine Gabel lagen. Schweigend begannen sie zu essen.
„Nicht übel.“ Günther nickte anerkennend und schaufelte weiter.
Sie beobachtete ihn.
„Wat schlingt er wieder wie ein hungriger Köter!“
Er blickte auf. „Acht Euro fünfundzwanzig“, grunzte er mit vollem Mund und grinste stolz.
„Na, Spitze“, lobte sie ihn und dachte, dass das für Tabak und irgendetwas zu essen reichen würde. „Vielleicht Senfeier und Kartoffeln …“
„Gabi, was hältst du davon, wenn wir am Wochenende endlich mal wieder Stefan besuchen? Und bitte sag jetzt nicht wieder, dass du keine Lust hast.“
Stefan war ihr Ältester – fünfundzwanzig, Malergeselle, verheiratet mit Yvonne, ein Kind: Steven-Simon, vier.
Ihre Tochter Bettina war zweiundzwanzig, studierte Physik und hatte sich von ihren Eltern distanziert. Sie waren ihr peinlich.
„Stefan besuchen? Aber dann müssen wir Steven etwas mitbringen!“
Günther zuckte mit den Schultern.
„Und? Ein kleines Matchboxauto vielleicht? Reicht doch.“
„Mindestens zweifünfzig“, grübelte sie und verfluchte diesen Scheiß-Geschenkezwang! „Tabak! Wie soll ich mir dann noch Tabak leisten können?“ Diesen Gedanken behielt sie für sich.

Seit Günther, ehemaliger Maurer, im Vorruhestand war – Rheuma – und sie mit ihren fünfundfünfzig Jahren langzeitarbeitslos – Verkäuferin in einem Drogeriemarkt, im früheren Leben

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