Mein grosser gelber Regenschirm - Page 4

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zaubern und Wünsche zu erfüllen. Darum frage ich Mama, was sie möchte. Sie wünscht sich, wieder einmal ein Konzert zu hören. Ich zaubere für Mama also ein Konzert. Mein Regenschirm ist zuerst eine grosse Flöte, dann eine Trompete und eine Geige. Nachher singe ich. Mama hört mich gerne Singen! Zum Schluss spiele ich noch den Dirigenten. Der hat einen Dirigentenstab. Damit zeigt er, ob die Musiker langsam oder schnell spielen müssen. Ich nehme dafür meinen Regenschirm. Zuerst bewege ich ihn ganz langsam, dann immer schneller. Das ist lustig! Mama lacht auch.

Streit

Mein grosser gelber Regenschirm ist mir so wichtig, dass ich ihn fast überall mitnehme. Heute kommt er mit auf den Spielplatz, Mama auch. Ich habe Lust zu schaukeln. Das geht mit Regenschirm aber nicht. Darum stelle ich ihn in der Nähe an einem Baum. Ich gehe zur Schaukel, setze mich darauf und fange an zu schaukeln. Plötzlich sehe ich, wie ein Mädchen bei meinem Regenschirm ist und ihn mitnimmt. Das geht nicht! Sofort halte ich an und renne zum Mädchen. Voller Wut reisse ich ihm den Regenschirm aus den Händen und schlage damit zu. Das Mädchen fängt an zu weinen und rennt zu Mama. Ich bin schockiert: Ich habe dem Mädchen weh getan! Das wollte ich nicht. Es tut mir leid. Ich bin böse gewesen! Der Schirm ist böse gewesen. Ich werfe ihn auf den Boden. Damit will ich nichts mehr zu tun haben! Ich sehe meinen grossen gelben Schirm weit weg von mir. Es tut mir weh und ich fange an zu weinen. Mama kommt zu mir und nimmt dabei noch den Schirm mit. Sie drückt ihn mir in die Hände. ,,Es ist deiner. Er gehört dir’’, sagt Mama. Ich antworte: ,,Wir waren aber böse!’’ ,,Du warst wütend. Sie hätte dir deinen Schirm nicht einfach wegnehmen sollen. Hauen war auch nicht gut, doch dafür wirst du jetzt dich bei ihr entschuldigen.’’ Das finde ich gut. Es tut mir nämlich wirklich leid. Ich gehe mit Mama zum Mädchen. Es weint zum Glück nicht mehr. Ich sage ihr, dass sie meinen Schirm nicht einfach nehmen dürfe, aber dass es mir leidtue, dass ich ihr wehgetan habe. Ich glaube, dem Mädchen ist es egal, was ich sage. Es spielt mit einem Auto, das sie von einem Jungen genommen hat.
Beim Abendessen erzähle ich Papa vom Streit auf dem Spielplatz. Ich sage auch, dass ich das Mädchen geschlagen habe. Ich schäme mich immer noch. Papa sagt nichts dazu. Er nimmt mir einfach meine Tasse weg. Ich hasse das! Ich werde wütend wie am Nachmittag. Ich schreie ,,Gib sie her!’’ und schlage auf den Tisch. Doch Papa gibt mir die Tasse nicht zurück. Ich gehe zu ihm und versuche sie ihm wegzunehmen. Er hebt sie einfach hoch, dass ich nicht an sie rankomme. Ich kann nichts machen. Darum setze ich mich wieder auf meinen Platz. Ich bin traurig. Plötzlich kommt ganz ruhig aus meinem Mund: ,,Ich möchte meine Tasse wiederhaben.’’ Papa gibt mir meine Tasse zurück. Es geht also auch ohne Schlagen oder Schreien. Papa hat es mir gezeigt.

Krieg

Am nächsten Tag kommt Kim wieder zu mir. Er will Krieg spielen. Er hat das im Fernsehen gesehen. Ich will auch Krieg spielen! Mein Regenschirm ist jetzt ein Gewehr. Kim bekommt Mamas Regenschirm. Wir finden zwei leere Konfitüregläser. Das sind unsere Bomben. Und dann fangen wir an. Wir müssen in Deckung gehen. Kim sagt mir, dass man das so macht. Ich gehe hinter mein Bett. Kim stellt sich neben meinen Schrank. Wir versuchen aufeinander zu schiessen. In Deckung ist das schwieriger, Kim trifft mich trotzdem am Arm. Ich bin verletzt. Die Sanität muss kommen und meine Wunde pflegen. Nachher gehe ich wieder in den Krieg. Diesmal werfe ich meine Bombe. Es knallt ganz laut. Kim fällt auf den Boden. Ich freue mich! Die Sanität kommt nochmals. Kim wird gepflegt und dann ist er auch wieder bereit für den Krieg. Er kommt diesmal zu mir hinter mein Bett. Ich fliehe. Ich gehe zum Bücherregal. Dort bin ich für einen Moment sicher. Aber Kim wirft jetzt seine Bombe. Ich muss weg! Ich weiss nicht mehr wohin. Ich renne aus dem Zimmer. Kim hinterher. Auf dem Flur holt er mich ein. Wir stehen uns gegenüber. Wir schiessen beide mit unseren Gewehren. Wir fallen beide tot um. Kim sagt: ,,Krieg ist nicht lustig.’’ Mir kommt den Streit vom Vortag in den Sinn und sage: ,,Wir sollten Frieden spielen.’’ ,,Wie spielt man Frieden?’’ fragt Kim. Ich weiss es nicht.

Zähne

Ich hasse Zähneputzen! Ich habe die Zahnbürste nicht gerne in meinem Mund. Es ist ein komisches Gefühl. Und zweimal am Tag muss ich das machen! Darum habe ich heute Morgen mit Mama darüber geredet, ob man das nicht sein lassen könnte. Abschaffen! Ein Wort, das Papa oft braucht. Aber Mama ist nicht einverstanden. Ich muss weiter die Zähne putzen, weil so meine Zähne gesund bleiben. Wenigstens muss ich die Zähen nur zweimal anstatt dreimal pro Tag putzen, weil ich fast nie Süsses esse. Was Mama zum Zähneputzen gesagt hat, bleibt mir im Kopf, sogar noch als wir einkaufen gehen. Im Laden legt Mama einen Blumenkohl in den Einkaufswagen. Ich schaue ihn mir an. Dann lege ich ihn zurück ins Regal. Mama fragt nach dem Grund. Ich sage, er sei nicht gut für die Zähne. Mama schaut mich komisch an und fragt, wie ich darauf komme. Ich antworte, dass darauf kein Zahnmännchen sei. So ein Männchen mit Regenschirm wie meiner, aber nur in Weiss. Das heisst, dass es für die Zähne gut ist. Mama macht ganz grosse Augen. Ich glaube, daran hat sie noch nie gedacht – an das fehlende Zahnmännchen auf dem Blumenkohl. Bevor Mama antwortet, muss sie lange überlegen, obwohl sie studiert hat. Dann erklärt sie, dass der Blumenkohl die Zähne nicht kaputt macht. Zahnmännchen seien nur dort drauf, wo man anstatt eines normalen Zuckers einen speziellen Zucker genommen habe, der die Zähne schont. Es klingt zwar kompliziert, doch ich glaube dieser Zucker wäre etwas für mich. Aber Mama erklärt weiter, dass der Zucker nicht gut für den Bauch sei, weil er noch mehr Hunger mache. Das will ich nicht. Ich habe nämlich schon jetzt einen supergrossen Hunger.
Als wir aus dem Geschäft kommen, regnet es. Zuerst freue ich mich, weil ich meinen Regenschirm wieder brauchen kann. Doch dann merke ich, dass es auch windet. Ich muss richtig aufpassen, dass mein schöner gelber Regenschirm nicht kaputtgeht. Das wäre schlimm!
Zuhause sitze ich vor dem Fenster und schaue dem Regen und dem Wind zu. Das mache ich gerne. Ich sehe wie sich die Bäume hin und her bewegen. Das ist toll! Ich stelle mich auch vor, was gewesen wäre, wenn der Wind mit dem Schirm weggeblasen hätte. Ich wäre in den Himmel hinaufgestiegen. Am Anfang hätte ich sicher Angst gehabt. Und ich hätte auf keinen Fall loslassen dürfen, sonst wäre ich abgestürzt. Aber ich glaube, es wäre auch schön gewesen, von Nahe die Wolken zu sehen. Und vielleicht hätte ich dazwischen sogar die Sonne erblickt. Ich wäre über Dörfer, Wälder und Wiesen geflogen. Ich hätte alles von oben gesehen! Irgendwann hätten der Wind und der Regen nachgelassen. Wo wäre ich wohl gelandet? Zu Hause? Das geht nicht. Dann hätte der Wind plötzlich von der anderen Seite herkommen müssen. Aber vielleicht bei Opa im Garten. Der hätte ganz grosse Augen gemacht, wenn ich plötzlich vom Himmel gekommen wäre.
,,Mama, können wir zu Opa?’’ ,,Heute nicht, aber Papa kann dich morgen hinbringen.’’ ,,Super!’’

Opa

Zu meinem Opa will ich meinen Regenschirm mitnehmen. Papa ist damit nicht einverstanden: ,,Nicht schon wieder!’’ sagt er, ,,Die Sonne scheint und es ist warm draussen.’’ ,,Vielleicht braucht er aber einen Sonnenschirm. Er darf nicht zu lange an die Sonne, weil er alt ist. Das hast du gesagt,’’ erwidere ich trotzig. Papa guckt an die Decke und sagt nichts mehr. Ich will Opa unbedingt meinen coolen Regenschirm zeigen. Ich bin sicher, er findet ihn auch so toll wie ich.
Ich habe Opa ganz fest lieb. Seine Haare sind so grau, wie die von Merlin. Er hat aber nur mehr ganz wenige. Ich darf immer bei Opa in die Werkstatt. Die hat ganz viel Werkzeug. Sägen, Schraubenziehen, Hämmer. Heue zeige ich ihm zuerst meinen Regenschirm. Opa staunt, dass ich einen so grossen Schirm habe. ,,Der ist etwas ganz Besonders’’, sagt er. Ja, und darum will ich in seiner Werkstatt für ihn extra einen Regenschirmständer bauen, einen aus Holz. Opa muss mir natürlich dabei helfen. Aber ich kann schon ganz viel!
Als erstes macht Opa einen Plan. Dann müssen wir auf dem Holz Linien machen, damit wir wissen, wo wir sägen müssen. Aussägen machen ich und Opa zusammen. Er hält meine Hand. Ich mag die elektrische Säge. Dabei surrt es in meinem ganzen Körper. Danach müssen Opa und ich aber eine Pause machen. Die Arbeit als Schreiner ist anstrengend. Wir sitzen draussen auf der Bank und trinken einen Tee.
Nach der Pause schleifen wir. Wir machen die Ränder ganz fein, damit sich niemand eine Spriesse holen kann. Dann sind die Löcher für die Schrauben dran. Die macht Opa. Es ist schwierig die Bohrmaschine richtig zu halten. Die Schrauben reintun, kann ich wieder. Zwar nicht bis ganz hinein, dafür habe ich noch zu wenig Kraft. Opa macht den Rest. Das Anmalen mache ich wieder. Das nennt man Lackieren. Es ist eine durchsichtige Farbe. Ich stelle dann den Regenschirmständer zum Trocknen in die Sonne.
Zwei Tage später bringt mir Opa den trockenen Regenständer nach Hause. Ich freue mich! Ich platziere ihn neben dem anderen in den Flur. Meinen grossen gelben Regenschirm stelle ich natürlich sofort hinein. Er hat jetzt seinen eigenen Platz!

In der Schweiz gibt es das ß nicht, nur ss oder s.

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