Mein grosser gelber Regenschirm

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Der Einkauf

Ich bin Thomas. Ich bin mit Mama beim Einkaufen. Ich brauche nämlich einen neuen Regenschirm. Im Laden auf dem Regal hat es blaue, schwarze, rote, grosse und kleine Regenschirme zur Auswahl. Es hat auch welche mit Punkten und solche mit Streifen. Einer ist sogar durchsichtig. Mir gefällt am meisten der grosse gelbe Regenschirm! Darum nehme ich ihn vom Gestell herunter. Den will ich haben. Doch Mama sagt, dass ich einen anderen nehmen soll, einen kleineren – einer für Kinder. Ich will das aber nicht! Es ist der einzige gelbe Schirm und ich bin kein Baby mehr! Darum runzle ich meine Stirn und schaue Mama böse an. So wie Papa! Er macht das, wenn Mama das Abendessen noch nicht bereit hat, wenn er von der Arbeit kommt und hungrig ist. Oder wenn er im Geschäft nicht das bekommt, was er möchte. So wie ich jetzt! Aber Mama lacht nur über mein wütendes Gesicht. Sie bekommt keine Angst wie die Verkäufer bei Papa. Sie fragt mich daraufhin ruhig, warum ich den Schirm unbedingt haben will, wo er doch wirklich gross sei. Das ist eine schwierige Frage. Ich muss nachdenken. Das hat mir Mama beigebracht anstatt ärgerlich zu werden. Ein paar Augenblicke später erzähle ich Mama, dass der grosse gelbe Schirm wie die Sonne sei. Wenn die richtige Sonne während des Regens hinter den Wolken versteckt ist, sei der Schirm die Reservesonne! Mama antwortet darauf, dass ich ihr Sonnenschein sei. Das habe ich zwar nicht gemeint, doch jetzt ist sie mit dem Kauf einverstanden. Ich habe grosse Freude. Mein Herz hüpft wie auf dem Trampolin.
Zu Hause gehe ich mit dem neuen Regenschirm sofort ins Schlafzimmer. Ich will ihn nämlich meinem Teddy Kauz und meiner Puppe Dolly zeigen. Die beiden finden es gut, dass er gross ist. So haben wir alle Platz darunter. Ich versuche auch mehrmals den Regenschirm auf- und zuzumachen. Einmal klemme ich mir dabei meinen Finger ein! Aber ich schreie extra nicht laut, sonst denkt Mama vielleicht, dass der kleine Schirm doch besser gewesen sei. Es ist halt schon schwieriger, wenn man nicht so lange Arme hat.
Mama ruft, dass das Abendessen fertig sei. Ich stelle den Schirm neben das Bett und renne die Treppe hinunter. Es gibt Linseneintopf! Den liebe ich. Ich weiss, die meisten Kinder mögen lieber Pommes und Hamburger oder Pizza. Ich aber nicht! Linsen zu essen, ist lustig. Der Mund ist dann voller Kügelchen. Sie sind auch gesund. Das hat Mama gesagt. Und ich will auf jeden Fall gross und stark werden. Nach dem Linsenessen fühlt sich mein Bauch immer gut an, nicht wie bei Hamburger oder Pizza. Dann ist er schwer und tut mir sogar ein bisschen weh. Mama meint dazu, ich sei sensibel. Ich mag dieses Wort aber nicht. Das klingt nach einer Krankheit oder nach Mädchen. Ich bin Thomas, einfach nur Thomas - ohne sensibel oder so.
Beim Abendessen erzähle ich Papa von meinem neuen Regenschirm. Er liest aber die Zeitung und hört mir nicht zu. Das macht mich traurig. Darum konzentriere ich mich auf die Linsen. Doch heute schmecken sie nicht so gut. Irgendwann legt Papa die Zeitung auf die Seite und fragt er, was mit einem Regenschirm sei. Ich sage ,,Nichts!’’, obwohl das gar nicht stimmt. Wie mein Papa erzähle ich nicht gerne alles zweimal. Das sagt er, wenn ich keine Lust habe, die Spielsachen wegzuräumen. ,,Alles klar’’, sagt Papa jetzt. Dann essen wir alle ruhig weiter. Ich mag das, wenn nur wenig geredet wird. Es ist für mich einfacher, das wissen Mama und Papa. Bei Caroline ist das ganz anders. Sie hat drei Geschwister. Dort ist es, als hätte man drei Fernseher gleichzeitig eingeschaltet und alle auf einen anderen Sender eingestellt.
Später bringt mich Papa ins Bett. Er sieht den gelben Regenschirm und fragt mit einem Augenzwinkern, warum denn ein Schirm für Erwachsene in meinem Zimmer sei. Ich glaube, er hat vorhin doch zugehört! Er wollte vorher beim Lesen nur nicht gestört werden. ,,Das ist meiner!’’ sage ich freudestrahlend. Ich laufe damit im Zimmer herum, damit Papa ihn genau anschauen kann. Plötzlich laufe ich gegen die Stehlampe. Sie fällt mit ganz viel Krach zu Boden. Papa muss lachen. Zum Glück ist sie nicht kaputtgegangen! Ich habe sie nicht gesehen, weil ich mit dem riesigen Schirm fast nur den Fussboden sehe und nicht so gut nach vorne. Mama kommt ins Zimmer herein und fragt, warum wir so viel Lärm machen. Als sie mich mit dem offenen Schirm und die Lampe am Boden sieht, muss auch sie schmunzeln. ,,Der Regenschirm erhellt wirklich die Gemüter,’’ sagt Mama. Mama hat studiert. Das heisst sie ist ganz lange zur Schule gegangen. Darum sagt sie manchmal komische Sachen.
Ich stelle meinen Regenschirm neben dem Bett ab und krieche dann unter die kuschelige Bettdecke. Meine Eltern geben mir einen Gute-Nacht-Kuss. Kurz darauf schlafe ich ein. Ich träume. Der Traum macht mir Angst. Riesengrossen Bammel! Da ist nämlich ein grosses Monster, das mich fangen will. Es ist rot, knallrot. Es streckt seine dicken Arme aus, um mich zu packen und zu fressen. Solche Monster essen nämlich keine Pommes, nur Menschen! Es kommt immer näher. Ich zittere, weil ich so grosse Angst habe. Ich versuche wegzurennen, aber es geht nicht. Im Moment, wo das Monster mich fängt, erwache ich zum Glück. Sofort nehme ich meinen gelben Regenschirm in die Hände. Damit werde ich mich verteidigen, wenn das Monster wiederkommt. So fühle ich mich stark und kann wieder einschlafen.
Am nächsten Morgen sieht Mama, dass ich den Regenschirm mit ins Bett genommen habe und fragt mich nach dem Grund. Ich erzähle mit Stolz, dass ich damit das böse Monster im Traum vertrieben habe. Es habe nicht einmal versucht, ein zweites Mal aufzutauchen. Mama schaut zufrieden. Das mag ich.
Heute regnet es nicht. Das ist schade! Gerne hätte ich den Schirm in Echt ausprobiert. Nur so zu tun, ist nicht so cool. Aber irgendwann wird es wieder regnen. Papa sagt, auf Regen folgt Sonnenschein. Nach Sonnenschein gibt es aber auch immer wieder Regen. Das habe ich selber gesehen. Erwachsenen sind nicht

In der Schweiz gibt es das ß nicht, nur ss oder s.

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