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von Heiner Brückner

Ihr Finger zuckte. Es machte klick, sie hatte gekauft, hatte sich nicht anstellen brauchen, keinem auf Verkaufen programmierten Verkäufer ihren Kaufwunsch auseinanderlegen müssen. Er hätte ihr ein Regal voller genormter Angebote angepriesen und am Ende etwas aufgeschwatzt, was sie eigentlich so nicht hätte haben wollen. Sie hat keinen Parkplatz suchen brauchen. Und wer hätte ihr den Einkauf in den Kofferraum geschleppt und dann zu Hause wieder ausgeräumt, um festzustellen, dass die alten Gardinenringe nicht in die neuesten Schlaufen passten, weil die Normlänge um ein, zwei Zentimeter differierte? Alles dies hatte sie sich erspart.
Vom Schreibtischsessel aus hat sie geklickt und geklickt und Häkchen gesetzt. Bis ins kleinste Detail war alles aufgeführt: genormte Fenster, genormtes Zubehör, kein Abmessen, alles vorgezeichnet. Klasse, prima, sie hatte nur noch auszuwählen. Nach dem letzten Klick blinkte ihr ein Glückwunsch-Button zu und gratulierte zum erfolgreichen Einkauf. Die Ware werde in Kürze an die angegebene Adresse geliefert, sie könne den Sendungsverlauf über einen Link verfolgen. Ihre Bestellung sei nur noch einige Klicks entfernt. Gerne werde von anderen Kunden auch noch jene Ware dazu bestellt, die sie als Neukundin heute zum Super-Sale-Angebotspreis zusätzlich und zwar portofrei bestellen könne. Sie würde dann bei der Lieferung berücksichtigt.
Sie verließ ihren Schreibtisch und tippte einen Cappuccino in die Espressomaschine. Die Tasse, Zucker und Kakaopulver entnahm sie per Hand aus dem Küchenregal. Der Milchschäumer blubberte, es begann nach Kaffee zu riechen. Die gewonnene Zeit verbrachte sie auf ihrem Wohnsitzthron. Mein Sofa ist mein Schloss, erzählt sie ihren Freundinnen. Sie ist richtig glücklich damit und mächtig stolz auf die ausgedehnte Liege-Sitz-Ecke. Sie hatten sie in einem Möbelhaus besichtigt und getestet und dann online bestellt und liefern lassen. Alles hatte super geklappt. Ihr Mann hatte naturgemäß an der Federung etwas auszusetzen, aber das war wohl ein Eigentor, denn er war beim Testen dabei gewesen.
Die tägliche Lieblingsserie lief. Sie telefonierte währenddessen mit ihrer Freundin Cindy. Der Cappuccino schmeckte köstlich. Es läutete. Der Paketbote brachte ein Päckchen, das sie letzte Woche bestellt hatte. Sie quittierte und ging auf das Sofa zurück. Was sie auspackte, gefiel ihr nicht. Es war wirklich toll, aber den Farbton hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Sie packte den Karton wieder voll, füllte den Retourschein aus. Jetzt musste sie das Päckchen nur noch zur Paketstation bringen. Die nächste ist beim Supermarkt. Dort nahm sie konnte was Frischfertiges für das Abendessen mitnehmen. Das wärmt sie in der Mikrowelle auf, wenn ihr Mann vom Geschäft und die Tochter von der Nachmittagsbetreuung in ihr Schloss kommen.

Was sie denn heute wieder alles erledigt hätte, fragten ihre Lieben. Och, sie hätte Gardinen eingekauft für Sylvis Zimmer, spätestens übermorgen sollten sie da sein.
„Moment mal, ich kann es euch sofort ganz genau sagen.“ Sie öffnete das Tablet. Das Paket wurde als versendet gemeldet, es sei in einem Lkw zur Auslieferstation unterwegs und morgen zwischen 12.30 und 14.45 Uhr an der Haustür.
„Und ihr, was habt ihr heute so erlebt?“, fragte sie zurück. „Ach, nicht der Rede wert, das Übliche halt. Gott sei Dank sei jetzt mal Feierabend“, antwortete ihr Mann. „Ach ja, da sei noch ein Elternbrief zum Unterschreiben“, sagte die Tochter.

Am Tag darauf klingelte es an der Tür. Es war exakt 14.44 Uhr. Sie konnte das beim Quittieren auf dem Display lesen. Sie packte auf der Stelle aus und hängte die Gardine auf. Die Schlaufen passten, die Länge war okay, das Muster entsprach dem Foto am Bildschirm. Es war egal, ob sie es für links oder rechts verwendete, alles genormt und uni. Sie holte das zweite Teil aus dem Paket. Das heißt, sie wollte. Außer Füllmaterial war nur noch Luft in der Schachtel. „Haben die noch alle Sinne beisammen? Jedes Fenster braucht zwei Stores. Das weiß sogar mein Mann!“ Sie war echt genervt.
Sie mailte Reklamation. Wo denn das zweite Teil bliebe. Innerhalb einer halben Stunde hatte sie Antwort. Es könne vorkommen, dass aus logistischen Gründen eine Bestellung in zwei Lieferungen aufgeteilt würde, wodurch keinerlei weiteren Kosten für den Kunden entstünden. „In Ihrem Fall haben Sie bei der Anzahl nur einen Store angeklickt. Wir werden Ihnen gerne einen zweiten senden, wenn Sie eine weitere Bestellung aufgeben.“
Kein Problem. Sie hatte die Mail noch im Ordner „gesendet“. Einfach kopieren und ab mit Klick. Mail-wendend kam zurück: „Dieser Artikel ist im Moment nicht mehr in storage. Sold out. Neue Lieferung voraussichtlich in der XX. Kalenderwoche.“

Sylvi kam in ihr Zimmer. „Warum hast du den Vorhang rechts aufgehängt, Mutti?“, fragte sie. Sie ging ans Fenster. „Das ist doch total schepps.“ Sie zog den Store ein Stück. „In der Mitte macht er sich wesentlich besser“, meinte sie.

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