Fortsetzung 'Loverboys', (5. Teil); Fortsetz. v. Dienstag, d. 13. Dez. 2016

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Ich checkte schließlich im „Europäischen Hof“ ein, einem Mittelklasse-Hotel, das in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs lag, duschte kurz und machte mich sofort auf den Weg zur Prostituierten- und Zuhälterszene rund um das Bahnhofsgelände. Obgleich dieses Viertel als Sperrbezirk deklariert und 'Anschaffen und Zuhälterei' verboten waren, gingen dort jede Menge Frauen 'auf den Strich'. Die Polizei fand sich demgegenüber, so hatte ich zuvor im Internet gelesen, insofern relativ machtlos, als die Leute, die dieser Szene angehörten, sich per Handy gegenseitig warnten, sobald dort Beamte anrückten. Höchstwahrscheinlich verhielt es sich so, dass selbst Polizisten in Zivil von den Zuhältern und Dealern auf den ersten Blick als solche erkannt wurden.

Ich schlenderte durch die Schillerstraße und warf einen Blick in mehrere Bars, um Sally ausfindig zu machen. Vor den Eingängen herrschte ein solches Gedränge, dass meine Stipvisiten niemandem auffielen und keinen Ärger erregten. Vor den Bars und am Straßenrand standen eine Reihe meist noch sehr junger Frauen, die vorüberfahrende Autos zu sich heranwinkten. Ich zog gerade Sallys Foto aus der Innentasche meiner Jeansjacke, um einige der Frauen zu fragen, ob sie meine Tochter irgendwo gesehen hätten, als ein Mann mittleren Alters auf mich zugewankt kam, mich an den Schultern packte, und mit ziemlich angeheiterter Stimme faselte: „Na, wie wär 's mit uns beiden, schöne Frau? Ich habe hier ganz in der Nähe ein Hotelzimmer gebucht mit allem Drum und Dran: Bar, riesige Badewanne, fast ein kleiner Pool, Kerzendinner zu zweit ...“
„Nein, danke“, sagte ich kühl und wollte schon weitergehen, aber der feiste Kerl nahm mich in den Schwitzkasten. Ich kannte die Griffe nicht, mit denen man sich aus solch einer Situation befreien konnte und hatte unglücklicherweise meine Handtasche im Hotel gelassen, in der mein Pfefferspray lag.

„Lass sofort die Frau los“, sagte plötzlich eine megatiefe Stimme neben mir, „sonst prügel ich dich windelweich – solange, bis du Sterne siehst.“

Der aufdringliche Kerl lockerte seinen Griff, ich richtete mich auf und blickte in die auffallend schönen dunklen Augen eines Hünen, der eine schwarze Damenperücke trug. Sein athletischer Körper war in ein enges schwarzes Minikleid gepresst, das in den Nähten zu bersten schien. Er trug schwarze Nylonstrümpfe und rosafarbene High Heels, die ihn weitaus größer erschienen ließen, als er ohnehin schon war. Ich stand zweifelsfrei einem Transvestiten gegenüber.

Bei Transvestiten handelt es sich meist um heterosexuelle Männer oder Frauen, die gerne ihre weibliche oder männliche Seite ausleben und mit Vorliebe die Kleider des anderen Geschlechts tragen. Diese Menschen seien keinesfalls psychisch krank, hatte mir einmal ein Arbeitskollege erzählt, sondern für seine Begriffe ziemlich mutig. Ich teilte seine Ansicht, fand es auch mutig, dass diese Menschen ihren sexuellen Neigungen folgten und sich nicht darum kümmerten, was andere Leute davon hielten. Transvestiten sind darüber hinaus zumeist äußerst sensible Menschen, die niemandem etwas zuleide tun, ganz im Gegenteil. Sie wollen lediglich in Ruhe gelassen werden, und das ist hierzulande gottlob kein Verbrechen.

Mein Angreifer hatte sich getrollt, nachdem er uns mit Schimpfwörtern vulgärer Art bedacht hatte, die ich an dieser Stelle nicht wiederholen möchte.

„Ich heiße Georg“, sagte mein Retter und hielt mir seine knochige Hand hin, deren Finger mit auffälligem Modeschmuck geschmückt waren. Am Daumen trug er gleich drei Ringe übereinander.
„Mit dem Heiligen Georg, der im Mittelalter zum Schutzheiligen der Ritter wurde, habe ich allerdings nichts zu tun. Und einen Drachen habe ich schon gar nicht getötet, noch nicht einmal einen Hausdrachen. Bin selber ein Ritter, weil immer ritterlich zu Damen.“ Georg lachte mich freundlich an und zeigte ein perfektes Gebiss.

Ich weiß bis heute nicht, woran es gelegen haben mag, dass ich mich in Georgs Nähe sofort wohl und bestens aufgehoben fühlte.

Nachdem ich ihm geschildert hatte, weshalb ich mich in einem Viertel herumtrieb, das 'Frauen, die aussähen wie ich, normalerweise nicht betreten', wie er meinen 'Ausflug' in die Prostituierten-Szene am Münchener Hauptbahnhof kommentiert hatte, nahm er mich unter den Arm und führte mich in ein kleines Lokal, das wunderhübsch eingerichtet und nicht überfüllt war wie die anderen, die ich kurz zuvor lediglich für einen Augen-Blick frequentiert hatte.
Wir setzten uns an einen der kleinen runden Tische und Georg forderte mich auf, ihm das Foto zu zeigen, worauf meine Sally abgebildet war.
Ich reichte es ihm und Georg nahm es an sich, warf einen kurzen Blick drauf und sagte: „Das haben wir gleich, Cordula. Wäre doch gelacht, wenn wir dein kleines hübsches Mädchen nicht finden. Warte hier einen Moment und bestell' dir 'ne Pizza. Die Dinger schmecken bei Klausi ganz ausgezeichnet. Du musst ja völlig ausgehungert sein nach der langen Fahrt.“
Daraufhin verschwand mein ritterlicher Retter Georg hinter einer weiß gestrichenen Tür, auf der mit schwarzen Lettern „Privat“ gepinselt stand.

Fortsetzung am Donnerstag, den 22. Dezember 2016

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