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Als ich den Trockner zum ersten Mal sah, war er mir nicht unsympathisch. Im fahlen Licht der winzigen Wäschekammer im Keller unseres Miethauses sah ich ihn an der Wand stehen, unaufgeregt und anmutig. Der Vermieter führte mich durch das Gewölbe, um mir das zu meiner neuen Wohnung gehörende Abteil zu zeigen. Kurz blieb er stehen und deutete in das links vom Gang abgehende Zimmer.
„Ach ja, und in diesem Raum haben wir noch eine Waschmaschine und einen Trockner, die gegen Gebühr zu benutzen sind“, sagte er beiläufig, ehe er weiter den Gang hinunter schlenderte. Ich blieb noch kurz stehen und riskierte einen Blick. Links an der Wand stand eine handelsübliche Waschmaschine, daneben ein Wäschetrockner der Firma Miele. Der Trockner wirkte nicht mehr ganz jung, doch das traf letztlich auf das gesamte Haus zu, diesen senffarbenen Wohnblock, der in den frühen 1960ern direkt an der geschäftigen Leopoldstraße im Norden Schwabings hochgezogen wurde.
Ich war hocherfreut. „Toll“, rief ich dem Vermieter zu. „Da kann ich meine frisch gewaschene Wäsche ja gleich trocknen!“. „Dafür ist die Maschine da“, antwortete mein Vermieter lächelnd. Ich war begierig darauf, die Dienste des Trockners in Anspruch zu nehmen, ja ich freute mich darauf. Ich konnte damals noch nicht ahnen, welcher Albtraum mir bevor stand.
Wenige Tage später hatte ich meine neue Wohnung bezogen und brachte erstmals meine Schmutzwäsche in den Keller. Gluckend und gurgelnd sprang die Waschmaschine an und tat ohne weitere Umschweife das, wofür ich sie mit Geldmünzen bezahlt hatte. Eine knappe Stunde später hatte ich feuchte, wohlriechende Wäsche in meinen Händen. Nun würde ich erstmals die Dienste des Trockners in Anspruch nehmen.
„Sind wir startklar?“, fragte ich gut gelaunt, nachdem ich die Wäsche hinein geräumt und die Münze in den Zähler geworfen hatte. Ich sollte nicht mit einem Wäschetrockner sprechen, schoss es mir durch den Kopf, als ich den Startknopf betätigte. Ruckartig und kraftvoll setzte sich die Trommel in Bewegung. Ich blieb noch einige Sekunden stehen und lauschte dem gleichmäßigen Klicken und Klackern aus dem Trockner. Dann verließ ich befriedigt den Keller, in dem Wissen, dass das Werk in vollem Gange war.
Eine Stunde später stand ich wieder im Keller und öffnete die Tür des Trockners. Doch zu meiner Überraschung war die Wäsche noch angefeuchtet – genauer gesagt fast so feucht wie zu dem Zeitpunkt als ich sie hinein gesteckt hatte. Ich untersuchte das Flusensieb und stellte fest, dass fast nichts darin hängen geblieben war. Offenbar hatte die Maschine nach wenigen Minuten aufgehört zu trocknen.
Ich war überrascht und enttäuscht. Doch bei aller Entrüstung über diese Form der Arbeitsverweigerung war ich dennoch gewillt, dem Trockner eine zweite Chance zu geben. Ich warf eine weitere Münze ein und startete die Maschine mit der noch feuchten Wäsche erneut. Diesmal kam ich bereits nach einer halben Stunde zurück aus meiner Wohnung, um den Vorgang zu überprüfen. In der Tat rumorte der Trockner noch, als ich den Raum betrat. Gut, dachte ich mir, dann war es wohl doch nur ein einmaliger Aussetzer. Wir hatten einen schwierigen Start gehabt, aber der Trockner schien nun doch gewillt, mit mir zusammen zu arbeiten.
Doch gerade als ich das Licht im Keller ausknipsen und die Tür schließen wollte, verstummte das Geräusch aus dem Kämmerchen plötzlich. Ich rannte zurück in den Raum und fand den Trockner stumm und apathisch vor. Die Signalleuchte „Ende“ leuchtete auf.
„Was? Wie? Ende?“, entfuhr es mir. „Du hast noch eine halbe Stunde Dienst zu verrichten!“. Der Trockner reagierte nicht. Bockig und abweisend stand er nun da, ein hämisches Gefühl der Lustlosigkeit verströmend. Ich drückte erneut den Startknopf, woraufhin die Maschine sich mit einem widerspenstigen Unterton wieder in Gang setzte.
Zwar war meine Wäsche anschließend tatsächlich trocken, doch das Erlebte ließ mir keine Ruhe. Ich spürte, dass dies eine Arbeitsverweigerung mit System war, ja mehr noch, dass diese Maschine mich zum Besten hielt. Sie wollte mich demütigen, mich, einen Menschen! Fieberhaft überlegte ich, wie ich weiter verfahren sollte. Für eine Beschwerde beim Vermieter war es noch zu früh. Nach nur wenigen Tagen würde das doch sehr verklemmt und damit typisch deutsch wirken, und außerdem hatte ich noch nicht genügend Beweise für eine hinterliste Revolte im Waschraum. Ich brauchte noch mindestens einen weiteren Zeugen. Zufällig traf ich am nächsten Tag meinen Nachbarn auf dem Gang. Wir plauderten über dies und jenes, ehe ich ihm die Frage stellte, die mir auf der Seele brannte: „Hatten Sie eigentlich auch schon mal Probleme mit dem Trockner im Keller?“. Mein Nachbar, ein freundlicher Herr mittleren Alters in einer abgewetzten Lederjacke, schüttelte erstaunt den Kopf. „Nein, wieso? Was meinen Sie?“
„Ist der Trockner bei Ihnen noch nie von selbst ausgegangen?“
„Nein, das ist noch nie vorgekommen. Und meine Frau und ich benutzen das Gerät seit elf Jahren. Wenn da schon mal was gewesen wäre, hätten wir uns schon längst beim Vermieter beschwert.“
Nun wurde die Angelegenheit für mich komplizierter. Entweder war ich nun bereits zweimal Zeuge eines unglücklichen Zufalles geworden, oder hier war eine Art Verschwörung im Gange. War es vielleicht ein groteskes Initiationsritual für mich, den neuen Bewohner? Hatte einer der Nachbarn oder gar der Vermieter selbst den Trockner manipuliert, um mich auf eine Probe zu stellen? Ich wohnte noch nicht einmal eine Woche hier und schon jetzt bereit, derartiges nicht mehr auszuschließen.
Im Büro arbeitete ich unkonzentriert und war mit meinen Gedanken ständig beim Trockner. Ich musste einen Weg finden, ihm beizukommen. Abends traf ich mich mit Freunden, doch ich war abwesend und nahm kaum an der Konversation teil. Froh war ich, als ich mich endlich mit einer fadenscheinigen Ausrede die Kneipe verlassen und in meine Wohnung zurückkehren konnte, wo ich nur schwer in den Schlaf fand.
Am anderen Tag war es dann wieder soweit, dass ich genug Wäsche für eine neue Ladung beisammen hatte. Wie gewohnt arbeitete die Waschmaschine ohne Probleme. Begierig stopfte ich die feuchte Wäsche in den daneben wartenden Trockner und warf eine Münze ein.
„Wollen wir doch mal sehen“, sagte ich halblaut, als sich die Maschine in Gang setzte. Schon wieder hatte ich mit dem Trockner gesprochen. Diesmal war ich auf alle Eventualitäten vorbereitet, diesmal würde ich ganz auf Nummer sicher
Diese Kurzgeschichte beruht zum Teil auf einer wahren Begebenheit. Den widerspenstigen Trockner gab es tatsächlich.
"Mensch gegen Maschine" wurde auch in meinem Kurzgeschichten-Sammelband "Bevor es zu spät ist" veröffentlicht (erhältlich u.a. als Taschenbuch über Amazon).