Mensch gegen Maschine - Page 2

Bild von Mark Read
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gehen. Aus meinem Kellerabteil holte ich einen Klappstuhl und setzte mich genau vor den Trockner. Als Lektüre hatte ich mir Becketts „Warten auf Godot“ mitgebracht, das bereits seit Jahren unbenutzt im Regal gestanden hatte. Nun schien mir der rechte Zeitpunkt, es endlich zu lesen.
Einige Minuten lang ging das gut. Doch allmählich wurden meine Augen schwerer, und ich musste die Sätze mehrfach lesen, um sie zu begreifen. Das gleichmäßige Rattern des Trockners wiegte mich langsam in den Schlaf. Doch gerade, als ich ins Reich der Träume abzugleiten drohte, schloss jemand die Kellertür auf. Ich schreckte hoch, und als ich mich umdrehte, sah ich einen verwunderten Hausbewohner hinter mir stehen.
„Sie fragen sich jetzt sicher, warum ich auf einem Klappstuhl vor dem Trockner sitze?“, ergriff ich gleich die Initiative. Doch der ältere Herr winkte ab. „Schon gut, erklären Sie mir nichts. In München gibt es wohl nichts, das es nicht gibt.“ Und schon war er weg.

Fast hätte der Trockner mich gehabt, schoss es mir durch den Kopf. Hätte mich um ein Haar ins Reich der Träume entführt mit seinem monotonen Gerattere, damit ich nicht mitbekomme, wie er mich aufs Neue zum Narren hält. Doch nun war ich wieder hellwach und kampfbereit. Ich sah auf die Uhr. Noch fünfundzwanzig Minuten durchhalten. Ich stand auf und machte in der winzigen Kammer Dehnübungen, hüpfte ein wenig umher und pfiff ein Liedchen. Irgendwann klackte das Zählwerk, der Trockner begann zu piepen und die Signallampe sprang auf „Ende“. Diesmal aber zu Recht.
Ich hatte es geschafft. Meine Anwesenheit hatte die Maschine eingeschüchtert, und sie hatte es nicht gewagt, mich erneut an der Nase herumzuführen. Ich hatte sie in die Knie gezwungen! Mensch gegen Maschine: Eins zu eins. Ein nie gekanntes Triumphgefühl durchströmte mich, als ich die angenehm warme und trockene Wäsche aus der Maschine zerrte.
„Netter Versuch, Kumpel“, sagte ich wieder halblaut und fand es gar nicht mehr seltsam, dass ich schon wieder mit einer Maschine sprach. Mit einem hämischen Grinsen im Gesicht kam ich zurück in meine Wohnung fiel in einen tiefen, gesunden Schlaf.

An den folgenden Tagen war ich wie berauscht. In der Arbeit stach ich durch einige gute Ideen hervor und verdiente mir vom Chef ein Extralob. Mit meinen Freunden saß ich abends bei einem gemütlichen Bier beisammen und unterhielt die Runde mit lustigen Geschichten und Anekdoten. Ich ergriff sogar, entgegen meiner sonst schüchternen Art, bei einer einsam aussehenden Frau die Initiative und verabredete mich mit ihr zum Essen. Es lief alles perfekt, und ich wusste, dass meine geballte Lebenskraft in diesen Tagen nur auf meinen Sieg über den Trockner zurückzuführen war. Mit grimmiger Vorfreude erwartete ich unser nächstes Aufeinandertreffen.
Schon bald hatte sich wieder genügend Wäsche angesammelt, die ich in die Maschine stecken konnte. Ungeduldig holte ich sie eine Stunde später heraus und stopfte sie mit lässiger Arroganz in den Trockner. Sicherheitshalber wartete ich einige Minuten, doch er lief wie gewohnt. Ich ging nach oben, legte mich zufrieden auf die Couch und hörte Musik. Die Rolling Stones, „Waiting on a friend“. Zurück im Keller, verflüchtigte sich meine gute Laune allerdings auf einen Schlag: Die Wäsche war immer noch feucht, der Trockner hatte erneut den Dienst verweigert.

„Wie kannst du es wagen?“, rief ich wütend. Diesmal gesellte sich zu der Überraschung noch ein Gefühl der Demütigung hinzu. Meine Hand verkrampfte sich zur Faust.
„Du bist nur ein Trockner! Du hast zu trocknen und sonst nichts!“, rief ich und schlug mit der Faust auf den weißen Kasten vor mir. Nichts rührte sich. Der Trockner nahm meinen Ausbruch völlig gleichgültig zur Kenntnis. Ich war wie gelähmt.
„Na warte!“, schrie ich schließlich und fuchtelte mit meinem Zeigefinger vor dem Trockner herum. „Dich kriege ich schon noch klein!“ Mit meiner feuchten Wäsche im Arm verließ ich den Keller und wurde von drei Hausbewohnern empfangen, die gerade die Treppe herunter kamen.
„Was ist denn da los?“, fragten sie. „Wir haben Schreie aus dem Keller gehört.“
„Schreie?“, gab ich mit verdutzter Miene zurück. „Nein, nicht dass ich wüsste. Ich habe zumindest nichts gehört. Aber vielleicht schauen Sie selbst noch mal nach.“
Die Leute maßen mich mit misstrauischen Blicken, gingen aber schließlich doch an mir vorbei in den Keller hinein. Währenddessen beeilte ich mich, zurück in meine Wohnung zu kommen. Allein sein wollte ich jetzt in meiner Verzweiflung.
Noch nie wurde ich von jemandem an der Nase herumgeführt wie von diesem Wäschetrockner. Ich fühlte mich völlig hilflos gegenüber diesem kastenförmigen Konstrukt aus Drähten, Leitungen und Wäschetrommel. Auf die Verabredung mit der Frau aus der Bar hatte ich meiner jetzigen Verfassung keine rechte Lust. Doch ich musste natürlich trotzdem hin. Das Gespräch kam nicht recht in Gang. Ich war fahrig und nervös, fand nicht die lockeren Worte, mein Charme von unserer letzten Begegnung schien im Waschkeller verschollen zu sein. Nach fünfzig zähen Minuten verabschiedeten wir uns überhöflich und verstockt voneinander mit der geheuchelten Absicht, das Treffen bald zu wiederholen.
Als ich alleine in der U-Bahn saß, schossen mir die Tränen in die Augen. An meiner Misere war nur der verdammte Trockner schuld! Er hatte mich erniedrigt, mir meine Lebensgeister geraubt. Mittlerweile war ich mir sicher, dass dahinter eine Verschwörung steckte. Die Waschmaschine musste mit dem Trockner unter eine Decke stecken. Ich konnte förmlich spüren, wie die beiden sich über meine Hilflosigkeit amüsierten. Es war unerträglich. Ich musste mich rächen, musste das Blatt endlich wenden.
Missmutig schloss ich wenige Tage später den Keller auf, um etwas in mein Abteil zu bringen. Es war bereits spät am Abend. Als ich an der Tür zum Waschraum vorbeiging, nahm ich eine selbstbewusste und stolze Haltung ein und vermied jeden Blick in Richtung Trockner. Er sollte nicht merken, wie sehr er mich bereits erniedrigt hatte. Als ich das Gerümpel in mein Kellerabteil gelegt hatte, kam mir eine Idee, wie ich die Maschinen überlisten konnte. Ich würde Beweise für die Verschwörung finden, unwiderlegbare Beweise!

Unauffällig und möglich entspannt öffnete ich die Kellertüre und knipste das Licht aus. Doch ich blieb stehen und trat ein paar Mal auf der Stelle, mit immer leiseren Schritten. Als die Tür schließlich ins Schloss fiel, war ich immer noch

Diese Kurzgeschichte beruht zum Teil auf einer wahren Begebenheit. Den widerspenstigen Trockner gab es tatsächlich.
"Mensch gegen Maschine" wurde auch in meinem Kurzgeschichten-Sammelband "Bevor es zu spät ist" veröffentlicht (erhältlich u.a. als Taschenbuch über Amazon).

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