Wenn sie heute so vor mir stehen, dann sehen sie aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben, doch ich weiß es besser.
Ich bin schon einige Jahrhunderte auf dieser Welt und ich werde mich nie an die Launenhaftigkeit und Aggressivität dieser Wesen gewöhnen.
Auf meinem besonderen Platz, abseits des inzwischen viel größer gewordenen Städtchens, spielten sich in der Vergangenheit grausige Dinge ab. Sie sind so grauenhaft, dass ich mich nur sehr widerwillig und mit größtem Unbehagen daran zurückerinnern möchte.
Ich lebe am Waldrand, auf einem Hügel, und habe die ganze Gegend im Blick. Ich kann die Herren dieses Planeten also schon von weitem kommen sehen. Und immer dann sage ich mir, Holzauge sei wachsam.
Vor etwa achthundert Jahren, als alles noch viel ruhiger war und das Städtchen bloß aus ein paar Hütten bestand, war auch das Wesen der Zweibeiner einfacher – aber gefährlicher, vor allem gegen die eigene Art.
Besonders pervers fand ich es, dass in meiner unmittelbaren Umgebung Weibchen als so genannte Hexen verbrannt wurden. Viele kannte ich schon als unschuldige Kinder oder verliebte Geschöpfe, die sich in meinem Schatten ihre Schäferstündchen gönnten.
Ja – sie können auch Gefühl zeigen, jene Wesen.
Aber nie werde ich die Todesschreie dieser armen Seelen vergessen.
Sehr oft wurde ich auch dafür benutzt, dass andere Geschöpfe an meinen Ästen aufgeknüpft wurden. Wie soll ich jemals eine andere Art Beziehung zu jenen Wesen aufbauen als diese Form von Symbiose, wenn Ihre Leichen in meinem Boden verscharrt wurden. Meine Wurzeln haben sie im Laufe der Zeit fast vollständig absorbiert, aber ich wollte das nicht, und es tut mir sehr leid.
Alles in allem ist diese Kultur noch lange nicht so weit, dass wir mit ihnen den Kontakt aufnehmen können, wie wir ihn schon auf anderen Welten haben.
Meine Sorge besteht nun noch darin, dass irgendwann die Raumschiffe meiner Ahnen unter den abschmelzenden Polkappen gefunden werden.
Dann müssen wir leider auch diesen Planeten verlassen.
Ohne uns werden sie untergehen, denn ich glaube nicht, dass sie die Erbmerkmale ihrer Ahnen bewusst ablegen können, und das wird ihnen das Genick brechen. Schade, wir hatten so große Hoffnungen in diese Spezies gelegt.
So werden wir noch einen Weile hier bleiben, ohne dass sie wissen, wer wir sind. Sie werden ihre große Chance vertun, während sie auch uns für ihre eigennützigen Zwecke missbrauchen.
Die eingewachsenen Stricke unter meiner Rinde stören mich gewaltig und die Knochen in meinen Wurzeln finde ich abartig, doch ich ertrage es, denn so ist meine Mission ...
Die Mission
von Michael Dahm
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Interne Verweise
- Autorin/Autor: Michael Dahm
- Prosa von Michael Dahm
- Prosakategorie und Thema: Fantasy, Kurzgeschichten & Kurzprosa
Kommentare
Mission erfüllt! -
Auch textlich gilt ...
LG Axel